Gar nachdenckliche Worte sind es, geneig- ter und andächtiger Leser, die wir bey dem grossen römischen Redner Cicero lesen, wenn es heist: Negligere qvid de se qvis- qve sentiat, non solum arrogantis est, sed etiam hominis omnino dissoluti. "Nicht achten, was die Leute von einem sagen, zeigt nicht nur einen Hochmuth, sondern auch eine grosse Liederlichkeit an.
Es will der vortrefliche Tullius hiemit so viel sagen, daß man sich bestreben müsse, einen guten Nahmen zu haben. Negligere, spricht er, qvid de se qvisqve sentiat, non solum arrogantis est, sed etiam hominis omnino dissoluti. Man muß nicht meynen, daß dieser grosse Mann durch diese güldenen Worte die Menschen zu einem thörigten Ehrgeitz verleiten wolle; seine Absicht ist nur, die- selbe zu bereden, es sey nicht gleich viel, was die Welt von uns dencke.
Das Wort, das im Grunde liegt, ist von gar besonderm Nachdruck. Es heist: Negligere qvid de se qvisqve sentiat. Qvisqve heist einjeder, alle Menschen ohne Ausnahme. Er will demnach so viel sagen, daß man nicht aller Menschen Ur- theil verachten müsse. Non - omnium hominum. Welches eben soviel gesagt ist, als, man müsse einiger Menschen Urtheil nicht verachten; nach dem bekannten
Non - omnis qvidam non, sed omnis - non qvasi nullus.
Jeder-
(o)
Vorbericht.
Gar nachdenckliche Worte ſind es, geneig- ter und andaͤchtiger Leſer, die wir bey dem groſſen roͤmiſchen Redner Cicero leſen, wenn es heiſt: Negligere qvid de ſe qvis- qve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt, ſed etiam hominis omnino diſſoluti. „Nicht achten, was die Leute von einem ſagen, zeigt nicht nur einen Hochmuth, ſondern auch eine groſſe Liederlichkeit an.
Es will der vortrefliche Tullius hiemit ſo viel ſagen, daß man ſich beſtreben muͤſſe, einen guten Nahmen zu haben. Negligere, ſpricht er, qvid de ſe qvisqve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt, ſed etiam hominis omnino diſſoluti. Man muß nicht meynen, daß dieſer groſſe Mann durch dieſe guͤldenen Worte die Menſchen zu einem thoͤrigten Ehrgeitz verleiten wolle; ſeine Abſicht iſt nur, die- ſelbe zu bereden, es ſey nicht gleich viel, was die Welt von uns dencke.
Das Wort, das im Grunde liegt, iſt von gar beſonderm Nachdruck. Es heiſt: Negligere qvid de ſe qvisqve ſentiat. Qvisqve heiſt einjeder, alle Menſchen ohne Ausnahme. Er will demnach ſo viel ſagen, daß man nicht aller Menſchen Ur- theil verachten muͤſſe. Non - omnium hominum. Welches eben ſoviel geſagt iſt, als, man muͤſſe einiger Menſchen Urtheil nicht verachten; nach dem bekannten
Non - omnis qvidam non, ſed omnis - non qvaſi nullus.
Jeder-
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Vorbericht.
Gar nachdenckliche Worte ſind es, geneig-
ter und andaͤchtiger Leſer, die wir bey
dem groſſen roͤmiſchen Redner Cicero
leſen, wenn es heiſt: Negligere qvid de ſe qvis-
qve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt, ſed etiam
hominis omnino diſſoluti. „Nicht achten, was
die Leute von einem ſagen, zeigt nicht nur einen
Hochmuth, ſondern auch eine groſſe Liederlichkeit
an.
Es will der vortrefliche Tullius hiemit ſo viel
ſagen, daß man ſich beſtreben muͤſſe, einen guten
Nahmen zu haben. Negligere, ſpricht er, qvid
de ſe qvisqve ſentiat, non ſolum arrogantis eſt,
ſed etiam hominis omnino diſſoluti. Man muß
nicht meynen, daß dieſer groſſe Mann durch dieſe
guͤldenen Worte die Menſchen zu einem thoͤrigten
Ehrgeitz verleiten wolle; ſeine Abſicht iſt nur, die-
ſelbe zu bereden, es ſey nicht gleich viel, was die
Welt von uns dencke.
Das Wort, das im Grunde liegt, iſt von gar
beſonderm Nachdruck. Es heiſt: Negligere qvid
de ſe qvisqve ſentiat. Qvisqve heiſt einjeder, alle
Menſchen ohne Ausnahme. Er will demnach ſo
viel ſagen, daß man nicht aller Menſchen Ur-
theil verachten muͤſſe. Non - omnium hominum.
Welches eben ſoviel geſagt iſt, als, man muͤſſe
einiger Menſchen Urtheil nicht verachten; nach
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/190>, abgerufen am 24.11.2024.
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