Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
einer grössern Freudigkeit aufgetreten eine Rede zu
halten, als jetzo, und doch, da es recht angehen soll,
befinde ich mich in einer Verwirrung, die ich nicht
wohl zu beschreiben vermag. Jch lasse die Hände
sincken5), meine Lenden schüttern, und mir wird
grün und gelbe vor den Augen. Es scheinet, als wenn
Traurigkeit und Freude, zwo Gemüthsbewegun-
gen, die einander gerade entgegen lauffen, wenn sie
einen gewissen Grad erreichet haben, fast von einer-
ley Würckung sind. Eine gar zu grosse Traurigkeit
macht uns starr:

Curae leves loqvuntur, ingentes stupent6).

Und mir lähmet eine übermässige Freude die Zunge.
Jch verstumme beym Anfang meiner Rede7) ...
.... Wundern Sie sich nicht, Meine Herren, über
einen so besondern Zufall. Bedencken Sie vielmehr
die Grösse der Last, so Sie mir aufzulegen belieber.
Jch soll zu Bezeugung der innigsten Freude, so un-
sere Gesellschaft über die Erhebung des Herrn D.
Philippi zu der Profession der Deutschen Beredsam-
keit in Halle, empfindet, einem Manne eine Lobre-
de halten, der bisher aus sonderbahrer Demuth seine
Vortreflichkeit so geschickt zu verbergen gewust, daß

man
5) Hier ließ ich würcklich die Hände sincken, und zitterte
mit dem gantzen Leibe.
6) Seneca in Hippolito.
7) Hier schwieg ich einige Minuten still. Der geneigte
Leser beliebe zu mercken, wie meine Bestürtzung
stufenweise zugenommen. Welches Kunststück um
so viel grösser, je genauer es mit der Natur über-
ein kömmt.

(o)
einer groͤſſern Freudigkeit aufgetreten eine Rede zu
halten, als jetzo, und doch, da es recht angehen ſoll,
befinde ich mich in einer Verwirrung, die ich nicht
wohl zu beſchreiben vermag. Jch laſſe die Haͤnde
ſincken5), meine Lenden ſchuͤttern, und mir wird
gruͤn und gelbe vor den Augen. Es ſcheinet, als wenn
Traurigkeit und Freude, zwo Gemuͤthsbewegun-
gen, die einander gerade entgegen lauffen, wenn ſie
einen gewiſſen Grad erreichet haben, faſt von einer-
ley Wuͤrckung ſind. Eine gar zu groſſe Traurigkeit
macht uns ſtarr:

Curæ leves loqvuntur, ingentes ſtupent6).

Und mir laͤhmet eine uͤbermaͤſſige Freude die Zunge.
Jch verſtumme beym Anfang meiner Rede7)
.... Wundern Sie ſich nicht, Meine Herren, uͤber
einen ſo beſondern Zufall. Bedencken Sie vielmehr
die Groͤſſe der Laſt, ſo Sie mir aufzulegen belieber.
Jch ſoll zu Bezeugung der innigſten Freude, ſo un-
ſere Geſellſchaft uͤber die Erhebung des Herrn D.
Philippi zu der Profeſſion der Deutſchen Beredſam-
keit in Halle, empfindet, einem Manne eine Lobre-
de halten, der bisher aus ſonderbahrer Demuth ſeine
Vortreflichkeit ſo geſchickt zu verbergen gewuſt, daß

man
5) Hier ließ ich wuͤrcklich die Haͤnde ſincken, und zitterte
mit dem gantzen Leibe.
6) Seneca in Hippolito.
7) Hier ſchwieg ich einige Minuten ſtill. Der geneigte
Leſer beliebe zu mercken, wie meine Beſtuͤrtzung
ſtufenweiſe zugenommen. Welches Kunſtſtuͤck um
ſo viel groͤſſer, je genauer es mit der Natur uͤber-
ein koͤmmt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0233" n="141"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
einer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Freudigkeit aufgetreten eine Rede zu<lb/>
halten, als jetzo, und doch, da es recht angehen &#x017F;oll,<lb/>
befinde ich mich in einer Verwirrung, die ich nicht<lb/>
wohl zu be&#x017F;chreiben vermag. Jch la&#x017F;&#x017F;e die Ha&#x0364;nde<lb/>
&#x017F;incken<note place="foot" n="5)">Hier ließ ich wu&#x0364;rcklich die Ha&#x0364;nde &#x017F;incken, und zitterte<lb/>
mit dem gantzen Leibe.</note>, meine Lenden &#x017F;chu&#x0364;ttern, und mir wird<lb/>
gru&#x0364;n und gelbe vor den Augen. Es &#x017F;cheinet, als wenn<lb/>
Traurigkeit und Freude, zwo Gemu&#x0364;thsbewegun-<lb/>
gen, die einander gerade entgegen lauffen, wenn &#x017F;ie<lb/>
einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad erreichet haben, fa&#x017F;t von einer-<lb/>
ley Wu&#x0364;rckung &#x017F;ind. Eine gar zu gro&#x017F;&#x017F;e Traurigkeit<lb/>
macht uns &#x017F;tarr:</p><lb/>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Curæ leves loqvuntur, ingentes &#x017F;tupent</hi><note place="foot" n="6)"><hi rendition="#i">Seneca in Hippolito.</hi></note>.</hi> </quote>
            </cit><lb/>
            <p>Und mir la&#x0364;hmet eine u&#x0364;berma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Freude die Zunge.<lb/>
Jch ver&#x017F;tumme beym Anfang meiner Rede<note place="foot" n="7)">Hier &#x017F;chwieg ich einige Minuten &#x017F;till. Der geneigte<lb/>
Le&#x017F;er beliebe zu mercken, wie meine Be&#x017F;tu&#x0364;rtzung<lb/>
&#x017F;tufenwei&#x017F;e zugenommen. Welches Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck um<lb/>
&#x017F;o viel gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, je genauer es mit der Natur u&#x0364;ber-<lb/>
ein ko&#x0364;mmt.</note> &#x2026;<lb/>
.... Wundern Sie &#x017F;ich nicht, Meine Herren, u&#x0364;ber<lb/>
einen &#x017F;o be&#x017F;ondern Zufall. Bedencken Sie vielmehr<lb/>
die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der La&#x017F;t, &#x017F;o Sie mir aufzulegen belieber.<lb/>
Jch &#x017F;oll zu Bezeugung der innig&#x017F;ten Freude, &#x017F;o un-<lb/>
&#x017F;ere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft u&#x0364;ber die Erhebung des Herrn <hi rendition="#aq">D.</hi><lb/>
Philippi zu der Profe&#x017F;&#x017F;ion der Deut&#x017F;chen Bered&#x017F;am-<lb/>
keit in Halle, empfindet, einem Manne eine Lobre-<lb/>
de halten, der bisher aus &#x017F;onderbahrer Demuth &#x017F;eine<lb/>
Vortreflichkeit &#x017F;o ge&#x017F;chickt zu verbergen gewu&#x017F;t, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0233] (o) einer groͤſſern Freudigkeit aufgetreten eine Rede zu halten, als jetzo, und doch, da es recht angehen ſoll, befinde ich mich in einer Verwirrung, die ich nicht wohl zu beſchreiben vermag. Jch laſſe die Haͤnde ſincken 5), meine Lenden ſchuͤttern, und mir wird gruͤn und gelbe vor den Augen. Es ſcheinet, als wenn Traurigkeit und Freude, zwo Gemuͤthsbewegun- gen, die einander gerade entgegen lauffen, wenn ſie einen gewiſſen Grad erreichet haben, faſt von einer- ley Wuͤrckung ſind. Eine gar zu groſſe Traurigkeit macht uns ſtarr: Curæ leves loqvuntur, ingentes ſtupent 6). Und mir laͤhmet eine uͤbermaͤſſige Freude die Zunge. Jch verſtumme beym Anfang meiner Rede 7) … .... Wundern Sie ſich nicht, Meine Herren, uͤber einen ſo beſondern Zufall. Bedencken Sie vielmehr die Groͤſſe der Laſt, ſo Sie mir aufzulegen belieber. Jch ſoll zu Bezeugung der innigſten Freude, ſo un- ſere Geſellſchaft uͤber die Erhebung des Herrn D. Philippi zu der Profeſſion der Deutſchen Beredſam- keit in Halle, empfindet, einem Manne eine Lobre- de halten, der bisher aus ſonderbahrer Demuth ſeine Vortreflichkeit ſo geſchickt zu verbergen gewuſt, daß man 5) Hier ließ ich wuͤrcklich die Haͤnde ſincken, und zitterte mit dem gantzen Leibe. 6) Seneca in Hippolito. 7) Hier ſchwieg ich einige Minuten ſtill. Der geneigte Leſer beliebe zu mercken, wie meine Beſtuͤrtzung ſtufenweiſe zugenommen. Welches Kunſtſtuͤck um ſo viel groͤſſer, je genauer es mit der Natur uͤber- ein koͤmmt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/233
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/233>, abgerufen am 23.11.2024.