und sie also, nach Befinden, entweder verbie- ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob ein Buch mit nützlichen Lehren angefüllet, oder ob es Sätze in sich fasse, die der allgemeinen Ruhe zuwieder sind. Allein von der Wahr- heit oder Falschheit einer Lehre ein Urtheil zu fällen, das kömmt ihr nicht zu. Denn der Ver- stand ist keinem Gesetze unterworfen. Ob ein Buch gut, oder schlecht geschrieben; ob einer ein alberner oder kluger und verständiger Scri- bent sey, das kan sie nicht ausmachen. Die- ses kömmt auf den Ausspruch der Kenner an.
Die gelehrte Welt hat also vollkommeneEin jeder Gelehrter hat das Recht über die Schrif- ten ande- rer zu ur- theilen. Gewalt, über die Schriften zu urtheilen, die herauskommen, und ein jeder Gelehrter in- sonderheit ist befugt sich dieser Gewalt zu be- dienen. Diese Befugniß fliesset aus der be- sondern Verfassung der Republick der Gelehr- ten. Die Gelehrten haben kein sichtbares Ober-Haupt, und folglich kein sichtbares Tri- bunal, das über ihre Schriften urtheilen könnte. Sie erkennen die Vernunft vor ihre Köni- gin, die mit leiblichen Augen nicht zu sehen ist, und es ist kein Gelehrter, der sich nicht einbilde, seine Beherrscherin habe in seinem Gehirne ih- ren Thron aufgeschlagen. Man kan es kei- nem verwehren diese Einbildung zu haben, und folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab- sprechen, die Ehre seiner Monarchin, mit wel- cher er so genau vereiniget ist, und an deren Ma- jestät er so viel Antheil hat, wieder alle diejeni- gen zu retten, die er vor ihre Verächter hält.
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und ſie alſo, nach Befinden, entweder verbie- ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob ein Buch mit nuͤtzlichen Lehren angefuͤllet, oder ob es Saͤtze in ſich faſſe, die der allgemeinen Ruhe zuwieder ſind. Allein von der Wahr- heit oder Falſchheit einer Lehre ein Urtheil zu faͤllen, das koͤmmt ihr nicht zu. Denn der Ver- ſtand iſt keinem Geſetze unterworfen. Ob ein Buch gut, oder ſchlecht geſchrieben; ob einer ein alberner oder kluger und verſtaͤndiger Scri- bent ſey, das kan ſie nicht ausmachen. Die- ſes koͤmmt auf den Ausſpruch der Kenner an.
Die gelehrte Welt hat alſo vollkommeneEin jeder Gelehrter hat das Recht uͤber die Schrif- ten ande- rer zu ur- theilen. Gewalt, uͤber die Schriften zu urtheilen, die herauskommen, und ein jeder Gelehrter in- ſonderheit iſt befugt ſich dieſer Gewalt zu be- dienen. Dieſe Befugniß flieſſet aus der be- ſondern Verfaſſung der Republick der Gelehr- ten. Die Gelehrten haben kein ſichtbares Ober-Haupt, und folglich kein ſichtbares Tri- bunal, das uͤber ihre Schriften urtheilen koͤnnte. Sie erkennen die Vernunft vor ihre Koͤni- gin, die mit leiblichen Augen nicht zu ſehen iſt, und es iſt kein Gelehrter, der ſich nicht einbilde, ſeine Beherrſcherin habe in ſeinem Gehirne ih- ren Thron aufgeſchlagen. Man kan es kei- nem verwehren dieſe Einbildung zu haben, und folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab- ſprechen, die Ehre ſeiner Monarchin, mit wel- cher er ſo genau vereiniget iſt, und an deren Ma- jeſtaͤt er ſo viel Antheil hat, wieder alle diejeni- gen zu retten, die er vor ihre Veraͤchter haͤlt.
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und ſie alſo, nach Befinden, entweder verbie-
ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob
ein Buch mit nuͤtzlichen Lehren angefuͤllet, oder
ob es Saͤtze in ſich faſſe, die der allgemeinen
Ruhe zuwieder ſind. Allein von der Wahr-
heit oder Falſchheit einer Lehre ein Urtheil zu
faͤllen, das koͤmmt ihr nicht zu. Denn der Ver-
ſtand iſt keinem Geſetze unterworfen. Ob
ein Buch gut, oder ſchlecht geſchrieben; ob einer
ein alberner oder kluger und verſtaͤndiger Scri-
bent ſey, das kan ſie nicht ausmachen. Die-
ſes koͤmmt auf den Ausſpruch der Kenner an.
Die gelehrte Welt hat alſo vollkommene
Gewalt, uͤber die Schriften zu urtheilen, die
herauskommen, und ein jeder Gelehrter in-
ſonderheit iſt befugt ſich dieſer Gewalt zu be-
dienen. Dieſe Befugniß flieſſet aus der be-
ſondern Verfaſſung der Republick der Gelehr-
ten. Die Gelehrten haben kein ſichtbares
Ober-Haupt, und folglich kein ſichtbares Tri-
bunal, das uͤber ihre Schriften urtheilen koͤnnte.
Sie erkennen die Vernunft vor ihre Koͤni-
gin, die mit leiblichen Augen nicht zu ſehen iſt,
und es iſt kein Gelehrter, der ſich nicht einbilde,
ſeine Beherrſcherin habe in ſeinem Gehirne ih-
ren Thron aufgeſchlagen. Man kan es kei-
nem verwehren dieſe Einbildung zu haben, und
folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab-
ſprechen, die Ehre ſeiner Monarchin, mit wel-
cher er ſo genau vereiniget iſt, und an deren Ma-
jeſtaͤt er ſo viel Antheil hat, wieder alle diejeni-
gen zu retten, die er vor ihre Veraͤchter haͤlt.
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Ein jeder
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/351>, abgerufen am 31.10.2024.
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