Da nun ein böser Scribent die Majestät der gesunden Vernunft, als des unsichtbaren Haupts der gelehrten Welt beleidiget, so kan ein jeder Gelehrter ihn desfals abstrafen, ohne daß er sich über Unrecht beschweren könne: Ein solcher Stümper ist, so zu reden, vogelfrey. Es kan ihn schlagen wer ihn findet.
Es kan sich niemand beschwe- ren, wenn seine schrift benrtheilet wird.
Ein Gelehrter nun, der sich dieses, ihm un- streitig zustehenden Rechtes bedienet, thut nichts unrechtes, nemini facit injuriam qui jure suo utitur. Ein böser Scribent, der empfähet, was seine Thaten werth sind, darf sich nicht vor beleidiget achten. Er hat nicht Ursach über Gewalt zu schreien. Und dieses um so viel weniger, weil es ihm allemahl erlaubt ist, seine Nothdurft vorzubringen. Die Sententz, die ein Gelehrter über ihn, und seine Schrift gesprochen, wird nicht gleich rechts- kräftig. Er kan davon an die gantze Schaar der Gelehrten appelliren; ja er kan, wenn es ihm beliebt, aus eigener Macht, dieselbe vor ungerecht erklären. Es stehet ihm allemahl frey, selbst seine Richter zu richten. Nur kömmt es darauf an, daß er wohl richtet. Thut er dieses nicht, so bekräftiget er den, wieder ihn gefällten Spruch, und wird immer lächerli- cher. Und wenn er sich dann gleich auch noch so übel verantwortet, und zu seiner Vertheidi- gung so ungereimte Dinge vorbringet, daß al- le Welt das Urtheil, wodurch er sich beleidiget achtet, vor gegründet hält, so hat er doch noch vollkommene Freyheit, nicht nur seine un-
billige
(o)
Da nun ein boͤſer Scribent die Majeſtaͤt der geſunden Vernunft, als des unſichtbaren Haupts der gelehrten Welt beleidiget, ſo kan ein jeder Gelehrter ihn desfals abſtrafen, ohne daß er ſich uͤber Unrecht beſchweren koͤnne: Ein ſolcher Stuͤmper iſt, ſo zu reden, vogelfrey. Es kan ihn ſchlagen wer ihn findet.
Es kan ſich niemand beſchwe- ren, wenn ſeine ſchrift benꝛtheilet wird.
Ein Gelehrter nun, der ſich dieſes, ihm un- ſtreitig zuſtehenden Rechtes bedienet, thut nichts unrechtes, nemini facit injuriam qui jure ſuo utitur. Ein boͤſer Scribent, der empfaͤhet, was ſeine Thaten werth ſind, darf ſich nicht vor beleidiget achten. Er hat nicht Urſach uͤber Gewalt zu ſchreien. Und dieſes um ſo viel weniger, weil es ihm allemahl erlaubt iſt, ſeine Nothdurft vorzubringen. Die Sententz, die ein Gelehrter uͤber ihn, und ſeine Schrift geſprochen, wird nicht gleich rechts- kraͤftig. Er kan davon an die gantze Schaar der Gelehrten appelliren; ja er kan, wenn es ihm beliebt, aus eigener Macht, dieſelbe vor ungerecht erklaͤren. Es ſtehet ihm allemahl frey, ſelbſt ſeine Richter zu richten. Nur koͤmmt es darauf an, daß er wohl richtet. Thut er dieſes nicht, ſo bekraͤftiget er den, wieder ihn gefaͤllten Spruch, und wird immer laͤcherli- cher. Und wenn er ſich dann gleich auch noch ſo uͤbel verantwortet, und zu ſeiner Vertheidi- gung ſo ungereimte Dinge vorbringet, daß al- le Welt das Urtheil, wodurch er ſich beleidiget achtet, vor gegruͤndet haͤlt, ſo hat er doch noch vollkommene Freyheit, nicht nur ſeine un-
billige
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(o)
Da nun ein boͤſer Scribent die Majeſtaͤt der
geſunden Vernunft, als des unſichtbaren
Haupts der gelehrten Welt beleidiget, ſo kan
ein jeder Gelehrter ihn desfals abſtrafen, ohne
daß er ſich uͤber Unrecht beſchweren koͤnne: Ein
ſolcher Stuͤmper iſt, ſo zu reden, vogelfrey.
Es kan ihn ſchlagen wer ihn findet.
Ein Gelehrter nun, der ſich dieſes, ihm un-
ſtreitig zuſtehenden Rechtes bedienet, thut
nichts unrechtes, nemini facit injuriam qui
jure ſuo utitur. Ein boͤſer Scribent, der
empfaͤhet, was ſeine Thaten werth ſind, darf
ſich nicht vor beleidiget achten. Er hat nicht
Urſach uͤber Gewalt zu ſchreien. Und dieſes um
ſo viel weniger, weil es ihm allemahl erlaubt
iſt, ſeine Nothdurft vorzubringen. Die
Sententz, die ein Gelehrter uͤber ihn, und ſeine
Schrift geſprochen, wird nicht gleich rechts-
kraͤftig. Er kan davon an die gantze Schaar
der Gelehrten appelliren; ja er kan, wenn es
ihm beliebt, aus eigener Macht, dieſelbe vor
ungerecht erklaͤren. Es ſtehet ihm allemahl
frey, ſelbſt ſeine Richter zu richten. Nur
koͤmmt es darauf an, daß er wohl richtet. Thut
er dieſes nicht, ſo bekraͤftiget er den, wieder ihn
gefaͤllten Spruch, und wird immer laͤcherli-
cher. Und wenn er ſich dann gleich auch noch
ſo uͤbel verantwortet, und zu ſeiner Vertheidi-
gung ſo ungereimte Dinge vorbringet, daß al-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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