fessur, die mir ohne das nichts einträget, und der ich auch mit Ehren nicht vorstehen kan, und mit derselben den närrischen Hochmuth, wozu sie mich verleitet hat, niederlegen, von vorne zu studiren anfangen, und mich, nechst göttlicher Hül- fe, in den Stand setzen, daß diejenigen, die sich so viele Mü- he gegeben haben, mich klug zu machen, Ehre und Freude an mir erleben solten. Aber ich kan dieses nicht hofen. Jch sühle wohl, daß ich sterben muß, und kan die wenigen Stun- den, die ich etwa noch zu leben übrig habe, nicht besser an- wenden, als daß ich der gelehrten Welt den Verdruß, den ich ihr durch meine Schriften erwecket habe, demüthig ab- bitte, und denenjenigen, die mich desfalls freundlich be- strafet, den verbindlichsten Danck abstatte. Sie, Mein Herr Doctor, werden die Güte haben, und, nach meinem Tode, von meiner Bekehrung zeugen. Sie können glau- ben, daß sie aufrichtig ist: Denn mein jetziger Zustand lei- det keine Verstellung. Er kehrete hierauf das Gesicht gegen die Wand, und weinete bitterlich.
Wenn ich nun diese vernünftigen Reden des Herrn Prof. Philippi recht erwege, so muß ich sie nothwendig vor ein sehr gefährliches Symptoma ansehen. Denn da es dem Herrn Prof. Philippi bey gesunden Tagen niemahlen begegnet, daß er ze- hen kluge Worte hinter einander geredet: Da Er sonst immer von allen Sachen gantz anders als kluge Leute zu dencken ge- wohnt, und daher der einzige gewesen, der, allen vernünftigen Menschen zum Trotz, sich vor einen grossen Mann, und sei- ne Schriften vor unverbesserlich gehalten: Sokan ich daraus, daß Er gantz vernünftig geredet, und von sich selbst, und seinen Schriften eben so geurtheilet, als bißher die gantze kluge, und vernünftige Welt gethan hat, nichts anders schliessen, als daß durch den Schlag über dem Kopf sein Gehirn gantz umgekeh- ret, und just in die Ordnung gesetzet worden, in welcher es sich bey Leuten von gesundem Verstande befindet.
Bey einer so entsetzlichen Verrückung und Erschütterung des Gehirnes kan der Hr. Prof. ohne Wunderwerck nicht über 24 Stunden leben, und ich halte also den Schlag über dem Kopf, und die dadurch verursachte Wunde vor tödlich. Ge- geben Halle den 20ten Junius 1734.
H. B. M. D.
(o)
feſſur, die mir ohne das nichts eintraͤget, und der ich auch mit Ehren nicht vorſtehen kan, und mit derſelben den naͤrriſchen Hochmuth, wozu ſie mich verleitet hat, niederlegen, von vorne zu ſtudiren anfangen, und mich, nechſt goͤttlicher Huͤl- fe, in den Stand ſetzen, daß diejenigen, die ſich ſo viele Muͤ- he gegeben haben, mich klug zu machen, Ehre und Freude an mir erleben ſolten. Aber ich kan dieſes nicht hofen. Jch ſuͤhle wohl, daß ich ſterben muß, und kan die wenigen Stun- den, die ich etwa noch zu leben uͤbrig habe, nicht beſſer an- wenden, als daß ich der gelehrten Welt den Verdruß, den ich ihr durch meine Schriften erwecket habe, demuͤthig ab- bitte, und denenjenigen, die mich desfalls freundlich be- ſtrafet, den verbindlichſten Danck abſtatte. Sie, Mein Herr Doctor, werden die Guͤte haben, und, nach meinem Tode, von meiner Bekehrung zeugen. Sie koͤnnen glau- ben, daß ſie aufrichtig iſt: Denn mein jetziger Zuſtand lei- det keine Verſtellung. Er kehrete hierauf das Geſicht gegen die Wand, und weinete bitterlich.
Wenn ich nun dieſe vernuͤnftigen Reden des Herrn Prof. Philippi recht erwege, ſo muß ich ſie nothwendig vor ein ſehr gefaͤhrliches Symptoma anſehen. Denn da es dem Herrn Prof. Philippi bey geſunden Tagen niemahlen begegnet, daß er ze- hen kluge Worte hinter einander geredet: Da Er ſonſt immer von allen Sachen gantz anders als kluge Leute zu dencken ge- wohnt, und daher der einzige geweſen, der, allen vernuͤnftigen Menſchen zum Trotz, ſich vor einen groſſen Mann, und ſei- ne Schriften vor unverbeſſerlich gehalten: Sokan ich daraus, daß Er gantz vernuͤnftig geredet, und von ſich ſelbſt, und ſeinen Schriften eben ſo geurtheilet, als bißher die gantze kluge, und vernuͤnftige Welt gethan hat, nichts anders ſchlieſſen, als daß durch den Schlag uͤber dem Kopf ſein Gehirn gantz umgekeh- ret, und juſt in die Ordnung geſetzet worden, in welcher es ſich bey Leuten von geſundem Verſtande befindet.
Bey einer ſo entſetzlichen Verruͤckung und Erſchuͤtterung des Gehirnes kan der Hr. Prof. ohne Wunderwerck nicht uͤber 24 Stunden leben, und ich halte alſo den Schlag uͤber dem Kopf, und die dadurch verurſachte Wunde vor toͤdlich. Ge- geben Halle den 20ten Junius 1734.
H. B. M. D.
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Hochmuth, wozu ſie mich verleitet hat, niederlegen, von
vorne zu ſtudiren anfangen, und mich, nechſt goͤttlicher Huͤl-
fe, in den Stand ſetzen, daß diejenigen, die ſich ſo viele Muͤ-
he gegeben haben, mich klug zu machen, Ehre und Freude an
mir erleben ſolten. Aber ich kan dieſes nicht hofen. Jch
ſuͤhle wohl, daß ich ſterben muß, und kan die wenigen Stun-
den, die ich etwa noch zu leben uͤbrig habe, nicht beſſer an-
wenden, als daß ich der gelehrten Welt den Verdruß, den
ich ihr durch meine Schriften erwecket habe, demuͤthig ab-
bitte, und denenjenigen, die mich desfalls freundlich be-
ſtrafet, den verbindlichſten Danck abſtatte. Sie, Mein
Herr Doctor, werden die Guͤte haben, und, nach meinem
Tode, von meiner Bekehrung zeugen. Sie koͤnnen glau-
ben, daß ſie aufrichtig iſt: Denn mein jetziger Zuſtand lei-
det keine Verſtellung. Er kehrete hierauf das Geſicht gegen
die Wand, und weinete bitterlich.
Wenn ich nun dieſe vernuͤnftigen Reden des Herrn Prof.
Philippi recht erwege, ſo muß ich ſie nothwendig vor ein ſehr
gefaͤhrliches Symptoma anſehen. Denn da es dem Herrn Prof.
Philippi bey geſunden Tagen niemahlen begegnet, daß er ze-
hen kluge Worte hinter einander geredet: Da Er ſonſt immer
von allen Sachen gantz anders als kluge Leute zu dencken ge-
wohnt, und daher der einzige geweſen, der, allen vernuͤnftigen
Menſchen zum Trotz, ſich vor einen groſſen Mann, und ſei-
ne Schriften vor unverbeſſerlich gehalten: Sokan ich daraus,
daß Er gantz vernuͤnftig geredet, und von ſich ſelbſt, und ſeinen
Schriften eben ſo geurtheilet, als bißher die gantze kluge, und
vernuͤnftige Welt gethan hat, nichts anders ſchlieſſen, als daß
durch den Schlag uͤber dem Kopf ſein Gehirn gantz umgekeh-
ret, und juſt in die Ordnung geſetzet worden, in welcher es
ſich bey Leuten von geſundem Verſtande befindet.
Bey einer ſo entſetzlichen Verruͤckung und Erſchuͤtterung
des Gehirnes kan der Hr. Prof. ohne Wunderwerck nicht uͤber
24 Stunden leben, und ich halte alſo den Schlag uͤber dem
Kopf, und die dadurch verurſachte Wunde vor toͤdlich. Ge-
geben Halle den 20ten Junius 1734.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/542>, abgerufen am 22.11.2024.
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