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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
.. egregium cum me vicinia dicat
Non credam?
. . . . . . . (37).

Und muß man also nicht über die Frechheit unserer
Feinde erstaunen, die sich nicht scheuen, der uns
bewundernden Menge ins Angesicht zu widerspre-
chen, und, ob sie gleich überstimmet sind, dennoch
von der übeln Meinung, welche sie von uns hegen,
nichts fallen lassen wollen?

Daß sie sprechen: Die Mehrheit der Stimmen
gelte in diesem Falle nicht, kan gewiß ihr Verfah-
ren nicht rechtfertigen. So reden die Ketzer auch,
und haben doch Unrecht, weil sie Ketzer, das ist,
überstimmet sind. Unsere Feinde müssen gewiß
auch nicht reiner Lehre seyn; denn wie wäre es sonst
möglich, daß sie auf so gottlose Gedancken verfie-
len? Wenn die Frage von der Güte einer Schrift,
oder von der Wahrheit eines Satzes ist, so hat die
Mehrheit der Stimmen kein statt, sagen sie: Heis-
set dieses aber nicht offenbar der Kirche Christi, die
es zu allen Zeiten, in weit wichtigern Fällen, auf
die Mehrheit der Stimmen hat ankommen lassen,
eine entsetzliche Thorheit und Ungerechtigkeit vor-
werfen? Es ist ein Glück vor uns, daß die heili-
gen Kirchen-Väter klüger gewesen sind. Hätten
unsere Feinde vor 13. oder 1400. Jahren gelebet,
und etwas zu sagen gehabt, so wäre kein einziges
Concilium gehalten worden, und die Ketzer würden
freye Hände gehabt haben, den Weinberg der
christlichen Kirche, nach Belieben, zu verwüsten.

Jch erschrecke, wann ich daran gedencke, und

bitte
(37) Persius Sat. 4.
(o)
.. egregium cum me vicinia dicat
Non credam?
. . . . . . . (37).

Und muß man alſo nicht uͤber die Frechheit unſerer
Feinde erſtaunen, die ſich nicht ſcheuen, der uns
bewundernden Menge ins Angeſicht zu widerſpre-
chen, und, ob ſie gleich uͤberſtimmet ſind, dennoch
von der uͤbeln Meinung, welche ſie von uns hegen,
nichts fallen laſſen wollen?

Daß ſie ſprechen: Die Mehrheit der Stimmen
gelte in dieſem Falle nicht, kan gewiß ihr Verfah-
ren nicht rechtfertigen. So reden die Ketzer auch,
und haben doch Unrecht, weil ſie Ketzer, das iſt,
uͤberſtimmet ſind. Unſere Feinde muͤſſen gewiß
auch nicht reiner Lehre ſeyn; denn wie waͤre es ſonſt
moͤglich, daß ſie auf ſo gottloſe Gedancken verfie-
len? Wenn die Frage von der Guͤte einer Schrift,
oder von der Wahrheit eines Satzes iſt, ſo hat die
Mehrheit der Stimmen kein ſtatt, ſagen ſie: Heiſ-
ſet dieſes aber nicht offenbar der Kirche Chriſti, die
es zu allen Zeiten, in weit wichtigern Faͤllen, auf
die Mehrheit der Stimmen hat ankommen laſſen,
eine entſetzliche Thorheit und Ungerechtigkeit vor-
werfen? Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die heili-
gen Kirchen-Vaͤter kluͤger geweſen ſind. Haͤtten
unſere Feinde vor 13. oder 1400. Jahren gelebet,
und etwas zu ſagen gehabt, ſo waͤre kein einziges
Concilium gehalten worden, und die Ketzer wuͤrden
freye Haͤnde gehabt haben, den Weinberg der
chriſtlichen Kirche, nach Belieben, zu verwuͤſten.

Jch erſchrecke, wann ich daran gedencke, und

bitte
(37) Perſius Sat. 4.
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[528/0620] (o) .. egregium cum me vicinia dicat Non credam? . . . . . . . (37). Und muß man alſo nicht uͤber die Frechheit unſerer Feinde erſtaunen, die ſich nicht ſcheuen, der uns bewundernden Menge ins Angeſicht zu widerſpre- chen, und, ob ſie gleich uͤberſtimmet ſind, dennoch von der uͤbeln Meinung, welche ſie von uns hegen, nichts fallen laſſen wollen? Daß ſie ſprechen: Die Mehrheit der Stimmen gelte in dieſem Falle nicht, kan gewiß ihr Verfah- ren nicht rechtfertigen. So reden die Ketzer auch, und haben doch Unrecht, weil ſie Ketzer, das iſt, uͤberſtimmet ſind. Unſere Feinde muͤſſen gewiß auch nicht reiner Lehre ſeyn; denn wie waͤre es ſonſt moͤglich, daß ſie auf ſo gottloſe Gedancken verfie- len? Wenn die Frage von der Guͤte einer Schrift, oder von der Wahrheit eines Satzes iſt, ſo hat die Mehrheit der Stimmen kein ſtatt, ſagen ſie: Heiſ- ſet dieſes aber nicht offenbar der Kirche Chriſti, die es zu allen Zeiten, in weit wichtigern Faͤllen, auf die Mehrheit der Stimmen hat ankommen laſſen, eine entſetzliche Thorheit und Ungerechtigkeit vor- werfen? Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die heili- gen Kirchen-Vaͤter kluͤger geweſen ſind. Haͤtten unſere Feinde vor 13. oder 1400. Jahren gelebet, und etwas zu ſagen gehabt, ſo waͤre kein einziges Concilium gehalten worden, und die Ketzer wuͤrden freye Haͤnde gehabt haben, den Weinberg der chriſtlichen Kirche, nach Belieben, zu verwuͤſten. Jch erſchrecke, wann ich daran gedencke, und bitte (37) Perſius Sat. 4.

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/620>, abgerufen am 22.11.2024.