theil sie so viel trauen, auf die Zierlichkeit, um deren Mangel ihnen unsere Schreib-Art so scheuß- lich vorkommt, gehalten hat. Cujuscumque, sagt er (55), orationem videris sollicitam & po- litam, scito animum quoque non minus pusil- lis occupatum. Magnus ille remissius loquitur & securius: quaecumque dicit plus habent fidu- ciae, quam curae. Nosti complures juvenes, barba & coma nitidos, de capsula totos: nihil ab illis speraveris forte, nihil solidum. Oratio vultus animi est, si circum tonsa est, & fucata, & manufacta, ostendit illum quoque non esse sincerum, & habere aliquid fracti. Non est ornamentum virile, concinnitas. Güldene Worte! Jst es nicht, als wenn der vortrefliche Seneca den Vorsatz gehabt hätte, uns wider un- sere unbillige Verfolger zu vertheidigen? Er hat es so nachdrücklich gethan, daß ich es nicht besser zu machen weiß. Unsere Feinde können von ihm lernen, wie eitel und weibisch ihre Bemühung, und wie unanständig einem rechtschafenen Mann eine zierliche Schreib-Art sey. Sie werden demnach so gütig seyn, und die Unzierlichkeit der unsrigen nicht weiter verachten. Wir haben es ihnen so oft gesagt, daß wir männlich schreiben, und nun hö- ren sie von einem Scribenten, denn sie gewiß kei- ner Partheylichkeit beschuldigen können, daß eine männliche Schreib-Art keinen Zierrath leide. Wenn sie dadurch nicht bekehret werden, so ist alle Hof- nung an ihnen verlohren.
Sie
(55)Epist. 115.
(o)
theil ſie ſo viel trauen, auf die Zierlichkeit, um deren Mangel ihnen unſere Schreib-Art ſo ſcheuß- lich vorkommt, gehalten hat. Cujuscumque, ſagt er (55), orationem videris ſollicitam & po- litam, ſcito animum quoque non minus puſil- lis occupatum. Magnus ille remiſſius loquitur & ſecurius: quæcumque dicit plus habent fidu- ciæ, quam curæ. Noſti complures juvenes, barba & coma nitidos, de capſula totos: nihil ab illis ſperaveris forte, nihil ſolidum. Oratio vultus animi eſt, ſi circum tonſa eſt, & fucata, & manufacta, oſtendit illum quoque non eſſe ſincerum, & habere aliquid fracti. Non eſt ornamentum virile, concinnitas. Guͤldene Worte! Jſt es nicht, als wenn der vortrefliche Seneca den Vorſatz gehabt haͤtte, uns wider un- ſere unbillige Verfolger zu vertheidigen? Er hat es ſo nachdruͤcklich gethan, daß ich es nicht beſſer zu machen weiß. Unſere Feinde koͤnnen von ihm lernen, wie eitel und weibiſch ihre Bemuͤhung, und wie unanſtaͤndig einem rechtſchafenen Mann eine zierliche Schreib-Art ſey. Sie werden demnach ſo guͤtig ſeyn, und die Unzierlichkeit der unſrigen nicht weiter verachten. Wir haben es ihnen ſo oft geſagt, daß wir maͤnnlich ſchreiben, und nun hoͤ- ren ſie von einem Scribenten, denn ſie gewiß kei- ner Partheylichkeit beſchuldigen koͤnnen, daß eine maͤnnliche Schreib-Art keinen Zierrath leide. Wenn ſie dadurch nicht bekehret werden, ſo iſt alle Hof- nung an ihnen verlohren.
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(55)Epiſt. 115.
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theil ſie ſo viel trauen, auf die Zierlichkeit, um
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lich vorkommt, gehalten hat. Cujuscumque,
ſagt er (55), orationem videris ſollicitam & po-
litam, ſcito animum quoque non minus puſil-
lis occupatum. Magnus ille remiſſius loquitur
& ſecurius: quæcumque dicit plus habent fidu-
ciæ, quam curæ. Noſti complures juvenes,
barba & coma nitidos, de capſula totos: nihil
ab illis ſperaveris forte, nihil ſolidum. Oratio
vultus animi eſt, ſi circum tonſa eſt, & fucata,
& manufacta, oſtendit illum quoque non eſſe
ſincerum, & habere aliquid fracti. Non eſt
ornamentum virile, concinnitas. Guͤldene
Worte! Jſt es nicht, als wenn der vortrefliche
Seneca den Vorſatz gehabt haͤtte, uns wider un-
ſere unbillige Verfolger zu vertheidigen? Er hat
es ſo nachdruͤcklich gethan, daß ich es nicht beſſer
zu machen weiß. Unſere Feinde koͤnnen von ihm
lernen, wie eitel und weibiſch ihre Bemuͤhung, und
wie unanſtaͤndig einem rechtſchafenen Mann eine
zierliche Schreib-Art ſey. Sie werden demnach
ſo guͤtig ſeyn, und die Unzierlichkeit der unſrigen
nicht weiter verachten. Wir haben es ihnen ſo oft
geſagt, daß wir maͤnnlich ſchreiben, und nun hoͤ-
ren ſie von einem Scribenten, denn ſie gewiß kei-
ner Partheylichkeit beſchuldigen koͤnnen, daß eine
maͤnnliche Schreib-Art keinen Zierrath leide. Wenn
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/650>, abgerufen am 22.11.2024.
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