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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)

Wir, unsers wenigen Orts, sind geneigt da-
zu: Aber da wir uns nun in einem so glück-
seeligen Zustande befinden, daß wir uns vor
höchst vollkommen halten, und glauben, wir
hätten noch Recht übrig: So ist es unmöglich,
daß wir den ersten Schritt thun. Ja wenn
es gleich möglich wäre, so müsten wir doch
besorgen, sie mögten es als einen Eingrif in
ihre Rechte ansehen, und, wenn wir nachge-
ben wollten, uns in dem Verdacht haben,
wir hielten uns vor klüger, als sie. Denn der
Klügste giebt allemahl nach. Es sey ferne von
uns, daß wir ihnen zu diesen Gedancken An-
laß geben sollten. Dadurch würde die Verbit-
terung noch grösser werden.

Wir haben, ob sie gleich unsere Feinde sind,
so viele Hochachtung gegen sie, daß wir ihnen
die Ehre des Nachgebens nicht streitig machen.
Und käme uns ja die Lust an, ihnen dieselbe
zu rauben; So würde doch unser natürliches
Unvermögen unsere thörigte Bemühung frucht-
loß machen. Denn wollten wir nachgeben, so
müsten wir zu ihnen hinauf steigen: Und dieses
leidet unser ausserordentlich schwerer Kopf nicht.
Wir erwarten also von unsern Feinden, daß
sie zu uns herunter kommen, und das von
Rechts wegen. Denn fallen ist leichter als
steigen.

Facilis
(o)

Wir, unſers wenigen Orts, ſind geneigt da-
zu: Aber da wir uns nun in einem ſo gluͤck-
ſeeligen Zuſtande befinden, daß wir uns vor
hoͤchſt vollkommen halten, und glauben, wir
haͤtten noch Recht uͤbrig: So iſt es unmoͤglich,
daß wir den erſten Schritt thun. Ja wenn
es gleich moͤglich waͤre, ſo muͤſten wir doch
beſorgen, ſie moͤgten es als einen Eingrif in
ihre Rechte anſehen, und, wenn wir nachge-
ben wollten, uns in dem Verdacht haben,
wir hielten uns vor kluͤger, als ſie. Denn der
Kluͤgſte giebt allemahl nach. Es ſey ferne von
uns, daß wir ihnen zu dieſen Gedancken An-
laß geben ſollten. Dadurch wuͤrde die Verbit-
terung noch groͤſſer werden.

Wir haben, ob ſie gleich unſere Feinde ſind,
ſo viele Hochachtung gegen ſie, daß wir ihnen
die Ehre des Nachgebens nicht ſtreitig machen.
Und kaͤme uns ja die Luſt an, ihnen dieſelbe
zu rauben; So wuͤrde doch unſer natuͤrliches
Unvermoͤgen unſere thoͤrigte Bemuͤhung frucht-
loß machen. Denn wollten wir nachgeben, ſo
muͤſten wir zu ihnen hinauf ſteigen: Und dieſes
leidet unſer auſſerordentlich ſchwerer Kopf nicht.
Wir erwarten alſo von unſern Feinden, daß
ſie zu uns herunter kommen, und das von
Rechts wegen. Denn fallen iſt leichter als
ſteigen.

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[572/0664] (o) Wir, unſers wenigen Orts, ſind geneigt da- zu: Aber da wir uns nun in einem ſo gluͤck- ſeeligen Zuſtande befinden, daß wir uns vor hoͤchſt vollkommen halten, und glauben, wir haͤtten noch Recht uͤbrig: So iſt es unmoͤglich, daß wir den erſten Schritt thun. Ja wenn es gleich moͤglich waͤre, ſo muͤſten wir doch beſorgen, ſie moͤgten es als einen Eingrif in ihre Rechte anſehen, und, wenn wir nachge- ben wollten, uns in dem Verdacht haben, wir hielten uns vor kluͤger, als ſie. Denn der Kluͤgſte giebt allemahl nach. Es ſey ferne von uns, daß wir ihnen zu dieſen Gedancken An- laß geben ſollten. Dadurch wuͤrde die Verbit- terung noch groͤſſer werden. Wir haben, ob ſie gleich unſere Feinde ſind, ſo viele Hochachtung gegen ſie, daß wir ihnen die Ehre des Nachgebens nicht ſtreitig machen. Und kaͤme uns ja die Luſt an, ihnen dieſelbe zu rauben; So wuͤrde doch unſer natuͤrliches Unvermoͤgen unſere thoͤrigte Bemuͤhung frucht- loß machen. Denn wollten wir nachgeben, ſo muͤſten wir zu ihnen hinauf ſteigen: Und dieſes leidet unſer auſſerordentlich ſchwerer Kopf nicht. Wir erwarten alſo von unſern Feinden, daß ſie zu uns herunter kommen, und das von Rechts wegen. Denn fallen iſt leichter als ſteigen. Facilis

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/664>, abgerufen am 22.11.2024.