sollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer- den. Sie hatte eine viel zu grosse Erkännt- niß GOttes, als daß man dieses, mit Grun- de, von ihr muthmassen könnte. Jst sie aber dennoch auf diese Thorheit verfallen, so wird man der Vernunft nicht verdencken, daß sie alles, was man sonst von den hohen Einsichten, und von der vortreflichen Er- känntniß des ersten Menschen sagt, vor falsch und erdichtet hält.
Man siehet demnach, daß die Zusätze des Herrn Reinbecks den Fall des ersten Menschen nicht wahrscheinlicher machen, als die Complimente, welche der Ertzbischof von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan- ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-
nunft
(*)
Diese Complimente lauten also: "O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo, "Ornat quam roseo praefulgens forma pudore. "Tu generi ventura parens, te maximus orbis "Exspectat matrem, tu prima & certa voluptas "Solamenque viri, sine qua nec vivere possit, "Vt major, sic jure tuo subjectus amori, "Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro- lem. "Vobis digna datur paradisi in vertice sedes "Vos subjecta tremit famulans substantia mundi &c. Eva ist nicht weniger höflich. Sie antwortet der Schlange: "Svavibus o pollens, coluber dulcissime, verbis, "Non, vt vere, Deus nobis jejunia svafit,
Nec
(o)
ſollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer- den. Sie hatte eine viel zu groſſe Erkaͤnnt- niß GOttes, als daß man dieſes, mit Grun- de, von ihr muthmaſſen koͤnnte. Jſt ſie aber dennoch auf dieſe Thorheit verfallen, ſo wird man der Vernunft nicht verdencken, daß ſie alles, was man ſonſt von den hohen Einſichten, und von der vortreflichen Er- kaͤnntniß des erſten Menſchen ſagt, vor falſch und erdichtet haͤlt.
Man ſiehet demnach, daß die Zuſaͤtze des Herrn Reinbecks den Fall des erſten Menſchen nicht wahrſcheinlicher machen, als die Complimente, welche der Ertzbiſchof von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan- ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-
nunft
(*)
Dieſe Complimente lauten alſo: „O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo, „Ornat quam roſeo præfulgens forma pudore. „Tu generi ventura parens, te maximus orbis „Exſpectat matrem, tu prima & certa voluptas „Solamenque viri, ſine qua nec vivere posſit, „Vt major, ſic jure tuo ſubjectus amori, „Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro- lem. „Vobis digna datur paradiſi in vertice ſedes „Vos ſubjecta tremit famulans ſubſtantia mundi &c. Eva iſt nicht weniger hoͤflich. Sie antwortet der Schlange: „Svavibus o pollens, coluber dulcisſime, verbis, „Non, vt vere, Deus nobis jejunia ſvafit,
Nec
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ſollte getrachtet haben, GOtt gleich zu wer-
den. Sie hatte eine viel zu groſſe Erkaͤnnt-
niß GOttes, als daß man dieſes, mit Grun-
de, von ihr muthmaſſen koͤnnte. Jſt ſie
aber dennoch auf dieſe Thorheit verfallen,
ſo wird man der Vernunft nicht verdencken,
daß ſie alles, was man ſonſt von den hohen
Einſichten, und von der vortreflichen Er-
kaͤnntniß des erſten Menſchen ſagt, vor
falſch und erdichtet haͤlt.
Man ſiehet demnach, daß die Zuſaͤtze
des Herrn Reinbecks den Fall des erſten
Menſchen nicht wahrſcheinlicher machen,
als die Complimente, welche der Ertzbiſchof
von Vienne, Alcimus Avitus der Schlan-
ge in den Mund leget (*), und daß die Ver-
nunft
(*) Dieſe Complimente lauten alſo:
„O felix, mundiquo decus pulcherrima virgo,
„Ornat quam roſeo præfulgens forma pudore.
„Tu generi ventura parens, te maximus orbis
„Exſpectat matrem, tu prima & certa voluptas
„Solamenque viri, ſine qua nec vivere posſit,
„Vt major, ſic jure tuo ſubjectus amori,
„Cui juncta es, pulchram reddas, vt tempore pro-
lem.
„Vobis digna datur paradiſi in vertice ſedes
„Vos ſubjecta tremit famulans ſubſtantia mundi &c.
Eva iſt nicht weniger hoͤflich. Sie antwortet der
Schlange:
„Svavibus o pollens, coluber dulcisſime, verbis,
„Non, vt vere, Deus nobis jejunia ſvafit,
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/690>, abgerufen am 22.11.2024.
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