Der Ochse hat gewiß nicht vom verbote- nen Baum gegessen: Und dennoch frisst ihn der Löwe. Der Mensch indessen, der al- lein gesündiget hat, empfindet von alle dem Ungemach, das mit der Veränderung der Natur der Thiere verknüpfet ist, nichts. GOtt hat ihn, sagt man, dadurch strafen, und seiner Herrschaft über die Thiere berau- ben wollen: Aber er weiß seine Herrschaft schon zu behaupten. Die nützlichsten unter den Thieren sind ihm entweder getreu ver- blieben, oder er hat sie auch wieder unter sein Joch gebracht; und die übrigen, die würcklich wild bleiben, die fürchten ihn, in der That, noch mehr, als er sie. Sie sind froh, wenn sie nur Friede haben können. Allein der Mensch lässet ihnen keine Ruhe.
Sectamur ultro, quos opimus Fallere & effugere est triumphus(18).
Er findet in ihrer Verfolgung ein unaus- sprechliches Vergnügen, dessen er noth- wendig entbehren müste, wenn diese Thie- re nicht wild wären. Man kan also mit Wahrheit sagen, daß der Mensch die Jagd, die Königliche Lust, bloß seiner Ubertretung zu dancken hat. Was ihm eine Strafe
seyn
(18)Horat. Lib. IV. Od. 4.
(o)
Der Ochſe hat gewiß nicht vom verbote- nen Baum gegeſſen: Und dennoch friſſt ihn der Loͤwe. Der Menſch indeſſen, der al- lein geſuͤndiget hat, empfindet von alle dem Ungemach, das mit der Veraͤnderung der Natur der Thiere verknuͤpfet iſt, nichts. GOtt hat ihn, ſagt man, dadurch ſtrafen, und ſeiner Herrſchaft uͤber die Thiere berau- ben wollen: Aber er weiß ſeine Herrſchaft ſchon zu behaupten. Die nuͤtzlichſten unter den Thieren ſind ihm entweder getreu ver- blieben, oder er hat ſie auch wieder unter ſein Joch gebracht; und die uͤbrigen, die wuͤrcklich wild bleiben, die fuͤrchten ihn, in der That, noch mehr, als er ſie. Sie ſind froh, wenn ſie nur Friede haben koͤnnen. Allein der Menſch laͤſſet ihnen keine Ruhe.
Sectamur ultrò, quos opimus Fallere & effugere eſt triumphus(18).
Er findet in ihrer Verfolgung ein unaus- ſprechliches Vergnuͤgen, deſſen er noth- wendig entbehren muͤſte, wenn dieſe Thie- re nicht wild waͤren. Man kan alſo mit Wahrheit ſagen, daß der Menſch die Jagd, die Koͤnigliche Luſt, bloß ſeiner Ubertretung zu dancken hat. Was ihm eine Strafe
ſeyn
(18)Horat. Lib. IV. Od. 4.
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Der Ochſe hat gewiß nicht vom verbote-
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lein geſuͤndiget hat, empfindet von alle dem
Ungemach, das mit der Veraͤnderung der
Natur der Thiere verknuͤpfet iſt, nichts.
GOtt hat ihn, ſagt man, dadurch ſtrafen,
und ſeiner Herrſchaft uͤber die Thiere berau-
ben wollen: Aber er weiß ſeine Herrſchaft
ſchon zu behaupten. Die nuͤtzlichſten unter
den Thieren ſind ihm entweder getreu ver-
blieben, oder er hat ſie auch wieder unter
ſein Joch gebracht; und die uͤbrigen, die
wuͤrcklich wild bleiben, die fuͤrchten ihn, in
der That, noch mehr, als er ſie. Sie ſind
froh, wenn ſie nur Friede haben koͤnnen.
Allein der Menſch laͤſſet ihnen keine Ruhe.
Sectamur ultrò, quos opimus
Fallere & effugere eſt triumphus (18).
Er findet in ihrer Verfolgung ein unaus-
ſprechliches Vergnuͤgen, deſſen er noth-
wendig entbehren muͤſte, wenn dieſe Thie-
re nicht wild waͤren. Man kan alſo mit
Wahrheit ſagen, daß der Menſch die Jagd,
die Koͤnigliche Luſt, bloß ſeiner Ubertretung
zu dancken hat. Was ihm eine Strafe
ſeyn
(18) Horat. Lib. IV. Od. 4.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/714>, abgerufen am 22.11.2024.
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