nicht auf eine gewisse Eigenschaft des Men- schen; sondern auf die zahme Natur der Thie- re. Es müste also durch den Fall des Menschen auch die Natur der Thiere geändert seyn. Wer kan das fassen? Der Wolf wohnte bey den Lämmern, und die Löwen spielten mit den Kälbern in gröster Eintracht und Vertraulichkeit: Aber auf einmahl fährt der Wolf zu, und frisst das Lamm, und der Löwe zerreisset das Kalb: Und warum das? Aus keiner andern Ursache, als weil der Mensch von einem Apfel gegessen hatte. Dieses ist der Vernunft zu hoch.
Es ist leicht gesagt, daß GOtt die Natur der Thiere geändert habe, um den Menschen zu strafen, und ihn der Herrschafft über die Thiere, und der daraus fliessenden Bequem- lichkeiten zu berauben: Aber der Beweiß ist schwer. Die Vernunft kan sich in eine Strafe nicht finden, die nur die Unschuldi- gen trift, und welche der Sünder nicht füh- let. Was kan das Schaaf davor, daß A- dam gesündiget hat? Warum muß es des- falls ein Raub des Wolfes seyn?
Quid meruere boves, animal sine frau- de deloque Innocuum . . . . . . ? (17)
Der
(17)Ovid. Lib. XV. Metam. v. 120. 121.
(o)
nicht auf eine gewiſſe Eigenſchaft des Men- ſchen; ſondern auf die zahme Natur der Thie- re. Es muͤſte alſo duꝛch den Fall des Menſchen auch die Natur der Thiere geaͤndert ſeyn. Wer kan das faſſen? Der Wolf wohnte bey den Laͤmmern, und die Loͤwen ſpielten mit den Kaͤlbern in groͤſter Eintracht und Vertraulichkeit: Aber auf einmahl faͤhrt der Wolf zu, und friſſt das Lamm, und der Loͤwe zerreiſſet das Kalb: Und warum das? Aus keiner andern Urſache, als weil der Menſch von einem Apfel gegeſſen hatte. Dieſes iſt der Vernunft zu hoch.
Es iſt leicht geſagt, daß GOtt die Natur der Thiere geaͤndert habe, um den Menſchen zu ſtrafen, und ihn der Herrſchafft uͤber die Thiere, und der daraus flieſſenden Bequem- lichkeiten zu berauben: Aber der Beweiß iſt ſchwer. Die Vernunft kan ſich in eine Strafe nicht finden, die nur die Unſchuldi- gen trift, und welche der Suͤnder nicht fuͤh- let. Was kan das Schaaf davor, daß A- dam geſuͤndiget hat? Warum muß es des- falls ein Raub des Wolfes ſeyn?
Quid meruêre boves, animal ſine frau- de deloque Innocuum . . . . . . ? (17)
Der
(17)Ovid. Lib. XV. Metam. v. 120. 121.
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(o)
nicht auf eine gewiſſe Eigenſchaft des Men-
ſchen; ſondern auf die zahme Natur der Thie-
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auch die Natur der Thiere geaͤndert ſeyn.
Wer kan das faſſen? Der Wolf wohnte
bey den Laͤmmern, und die Loͤwen ſpielten
mit den Kaͤlbern in groͤſter Eintracht und
Vertraulichkeit: Aber auf einmahl faͤhrt
der Wolf zu, und friſſt das Lamm, und der
Loͤwe zerreiſſet das Kalb: Und warum
das? Aus keiner andern Urſache, als weil
der Menſch von einem Apfel gegeſſen hatte.
Dieſes iſt der Vernunft zu hoch.
Es iſt leicht geſagt, daß GOtt die Natur
der Thiere geaͤndert habe, um den Menſchen
zu ſtrafen, und ihn der Herrſchafft uͤber die
Thiere, und der daraus flieſſenden Bequem-
lichkeiten zu berauben: Aber der Beweiß
iſt ſchwer. Die Vernunft kan ſich in eine
Strafe nicht finden, die nur die Unſchuldi-
gen trift, und welche der Suͤnder nicht fuͤh-
let. Was kan das Schaaf davor, daß A-
dam geſuͤndiget hat? Warum muß es des-
falls ein Raub des Wolfes ſeyn?
Quid meruêre boves, animal ſine frau-
de deloque
Innocuum . . . . . . ? (17)
Der
(17) Ovid. Lib. XV. Metam. v. 120. 121.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/713>, abgerufen am 22.11.2024.
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