Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
heit desselben urtheilen. Aber Ew. Hochwohlg. sind
nicht so unerfahren in der Vernunft-Lehre, daß Sie
nicht sehen solten, daß derjenige, der mir diesen Ein-
wurf zu machen sich unterstehen wolte, denjenigen lo-
gicalischen Schnitzer begehen würde, den man Cir-
culum
nennet. Denn der Herr Prof. Manzel setzt
voraus, daß der Mensch die allervortreflichste Crea-
tur seyn sollen, und sucht daher zu beweisen, er müsse
sich ehedessen in einem vollkommenern und glückseli-
gern Zustande befunden haben. Er kan demnach,
ohne unerträglich zu schliessen, diesen vollkommenen
Zustand nicht zum Grunde legen, wenn er beweisen
will, daß der Mensch das allervortreflichste Thier
seyn sollen. Denn wer wolte über einen so ungereim-
ten Schluß nicht lachen? Der Mensch muß in ei-
nem vollkommenen Zustande erschafen seyn, weil er
das allervortreflichste Geschöpfe seyn sollen, und der
Mensch hat das allervortreflichste Thier seyn sollen,
weil er vollkommen erschafen worden.

Da es nun also noch sehr zweifelhaft ist, ob der
Mensch das vortreflichste Thier seyn sollen; so siehet
man klar, daß der Herr Manzel viel zu frühe aus un-
serm Elende eine Veränderung unsers ursprünglichen
Zustandes schliesset. Wer sagt uns, daß der Mensch
nicht so seyn sollen, wie er ist? Die Vernunft nicht.
Die begreift wohl, daß es ein Hochmuth ist, sich über
die andern Geschöpfe zu erheben, da uns doch viel-
mehr die Empfindung unsers Elendes die Beschei-
denheit lehren solte.

Es ist ein Glück vor uns, daß die Thiere nicht
wissen, was wir vor schöne Sachen von unserer Vor-
treflichkeit schwatzen. Würden sie uns nicht ausla-

chen,
T t 5

(o)
heit deſſelben urtheilen. Aber Ew. Hochwohlg. ſind
nicht ſo unerfahren in der Vernunft-Lehre, daß Sie
nicht ſehen ſolten, daß derjenige, der mir dieſen Ein-
wurf zu machen ſich unterſtehen wolte, denjenigen lo-
gicaliſchen Schnitzer begehen wuͤrde, den man Cir-
culum
nennet. Denn der Herr Prof. Manzel ſetzt
voraus, daß der Menſch die allervortreflichſte Crea-
tur ſeyn ſollen, und ſucht daher zu beweiſen, er muͤſſe
ſich ehedeſſen in einem vollkommenern und gluͤckſeli-
gern Zuſtande befunden haben. Er kan demnach,
ohne unertraͤglich zu ſchlieſſen, dieſen vollkommenen
Zuſtand nicht zum Grunde legen, wenn er beweiſen
will, daß der Menſch das allervortreflichſte Thier
ſeyn ſollen. Denn wer wolte uͤber einen ſo ungereim-
ten Schluß nicht lachen? Der Menſch muß in ei-
nem vollkommenen Zuſtande erſchafen ſeyn, weil er
das allervortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen, und der
Menſch hat das allervortreflichſte Thier ſeyn ſollen,
weil er vollkommen erſchafen worden.

Da es nun alſo noch ſehr zweifelhaft iſt, ob der
Menſch das vortreflichſte Thier ſeyn ſollen; ſo ſiehet
man klar, daß der Herr Manzel viel zu fruͤhe aus un-
ſerm Elende eine Veraͤnderung unſers urſpruͤnglichen
Zuſtandes ſchlieſſet. Wer ſagt uns, daß der Menſch
nicht ſo ſeyn ſollen, wie er iſt? Die Vernunft nicht.
Die begreift wohl, daß es ein Hochmuth iſt, ſich uͤber
die andern Geſchoͤpfe zu erheben, da uns doch viel-
mehr die Empfindung unſers Elendes die Beſchei-
denheit lehren ſolte.

Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die Thiere nicht
wiſſen, was wir vor ſchoͤne Sachen von unſerer Vor-
treflichkeit ſchwatzen. Wuͤrden ſie uns nicht ausla-

chen,
T t 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0757" n="665"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
heit de&#x017F;&#x017F;elben urtheilen. Aber Ew. Hochwohlg. &#x017F;ind<lb/>
nicht &#x017F;o unerfahren in der Vernunft-Lehre, daß Sie<lb/>
nicht &#x017F;ehen &#x017F;olten, daß derjenige, der mir die&#x017F;en Ein-<lb/>
wurf zu machen &#x017F;ich unter&#x017F;tehen wolte, denjenigen lo-<lb/>
gicali&#x017F;chen Schnitzer begehen wu&#x0364;rde, den man <hi rendition="#aq">Cir-<lb/>
culum</hi> nennet. Denn der Herr Prof. Manzel &#x017F;etzt<lb/>
voraus, daß der Men&#x017F;ch die allervortreflich&#x017F;te Crea-<lb/>
tur &#x017F;eyn &#x017F;ollen, und &#x017F;ucht daher zu bewei&#x017F;en, er mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ich ehede&#x017F;&#x017F;en in einem vollkommenern und glu&#x0364;ck&#x017F;eli-<lb/>
gern Zu&#x017F;tande befunden haben. Er kan demnach,<lb/>
ohne unertra&#x0364;glich zu &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, die&#x017F;en vollkommenen<lb/>
Zu&#x017F;tand nicht zum Grunde legen, wenn er bewei&#x017F;en<lb/>
will, daß der Men&#x017F;ch das allervortreflich&#x017F;te Thier<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollen. Denn wer wolte u&#x0364;ber einen &#x017F;o ungereim-<lb/>
ten Schluß nicht lachen? Der Men&#x017F;ch muß in ei-<lb/>
nem vollkommenen Zu&#x017F;tande er&#x017F;chafen &#x017F;eyn, weil er<lb/>
das allervortreflich&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe &#x017F;eyn &#x017F;ollen, und der<lb/>
Men&#x017F;ch hat das allervortreflich&#x017F;te Thier &#x017F;eyn &#x017F;ollen,<lb/>
weil er vollkommen er&#x017F;chafen worden.</p><lb/>
          <p>Da es nun al&#x017F;o noch &#x017F;ehr zweifelhaft i&#x017F;t, ob der<lb/>
Men&#x017F;ch das vortreflich&#x017F;te Thier &#x017F;eyn &#x017F;ollen; &#x017F;o &#x017F;iehet<lb/>
man klar, daß der Herr Manzel viel zu fru&#x0364;he aus un-<lb/>
&#x017F;erm Elende eine Vera&#x0364;nderung un&#x017F;ers ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
Zu&#x017F;tandes &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;et. Wer &#x017F;agt uns, daß der Men&#x017F;ch<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;eyn &#x017F;ollen, wie er i&#x017F;t? Die Vernunft nicht.<lb/>
Die begreift wohl, daß es ein Hochmuth i&#x017F;t, &#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
die andern Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe zu erheben, da uns doch viel-<lb/>
mehr die Empfindung un&#x017F;ers Elendes die Be&#x017F;chei-<lb/>
denheit lehren &#x017F;olte.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t ein Glu&#x0364;ck vor uns, daß die Thiere nicht<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, was wir vor &#x017F;cho&#x0364;ne Sachen von un&#x017F;erer Vor-<lb/>
treflichkeit &#x017F;chwatzen. Wu&#x0364;rden &#x017F;ie uns nicht ausla-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T t 5</fw><fw place="bottom" type="catch">chen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[665/0757] (o) heit deſſelben urtheilen. Aber Ew. Hochwohlg. ſind nicht ſo unerfahren in der Vernunft-Lehre, daß Sie nicht ſehen ſolten, daß derjenige, der mir dieſen Ein- wurf zu machen ſich unterſtehen wolte, denjenigen lo- gicaliſchen Schnitzer begehen wuͤrde, den man Cir- culum nennet. Denn der Herr Prof. Manzel ſetzt voraus, daß der Menſch die allervortreflichſte Crea- tur ſeyn ſollen, und ſucht daher zu beweiſen, er muͤſſe ſich ehedeſſen in einem vollkommenern und gluͤckſeli- gern Zuſtande befunden haben. Er kan demnach, ohne unertraͤglich zu ſchlieſſen, dieſen vollkommenen Zuſtand nicht zum Grunde legen, wenn er beweiſen will, daß der Menſch das allervortreflichſte Thier ſeyn ſollen. Denn wer wolte uͤber einen ſo ungereim- ten Schluß nicht lachen? Der Menſch muß in ei- nem vollkommenen Zuſtande erſchafen ſeyn, weil er das allervortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen, und der Menſch hat das allervortreflichſte Thier ſeyn ſollen, weil er vollkommen erſchafen worden. Da es nun alſo noch ſehr zweifelhaft iſt, ob der Menſch das vortreflichſte Thier ſeyn ſollen; ſo ſiehet man klar, daß der Herr Manzel viel zu fruͤhe aus un- ſerm Elende eine Veraͤnderung unſers urſpruͤnglichen Zuſtandes ſchlieſſet. Wer ſagt uns, daß der Menſch nicht ſo ſeyn ſollen, wie er iſt? Die Vernunft nicht. Die begreift wohl, daß es ein Hochmuth iſt, ſich uͤber die andern Geſchoͤpfe zu erheben, da uns doch viel- mehr die Empfindung unſers Elendes die Beſchei- denheit lehren ſolte. Es iſt ein Gluͤck vor uns, daß die Thiere nicht wiſſen, was wir vor ſchoͤne Sachen von unſerer Vor- treflichkeit ſchwatzen. Wuͤrden ſie uns nicht ausla- chen, T t 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/757
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/757>, abgerufen am 21.11.2024.