Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
Natur nicht standesmäßig gehalten. Wir sind elend.
Das ist wahr; Aber laßt uns dieses Elend durch et-
was anders, als durch süsse Träume von einer verlohr-
nen Vortreflichkeit, zu versussen suchen. Wir thun
klüger, wenn wir mit unserm Zustande zufrieden sind,
und uns bemühen, denselben so erträglich zu ma-
chen, als es möglich ist.

Es ist kein Thier in der Welt, daß nicht mit eben
so gutem Grunde, als wir, das vortreflichste zu seyn
verlangen, und also sein Elend, darinn es sich befin-
det, als etwas ausserordentliches, und aus einem
Versehen seiner Vorfahren herrührendes, ansehen
könnte. Auch die Thiere haben ihre Noth; und
wenn sonst nichts wäre, darüber sie sich zu beklagen,
und allerhand Gedancken zu machen Ursache hätten,
so wäre es gewiß die Grausamkeit des Menschen,
und alles, das Böse, so sie von diesem artigen Thiere
erdulden müssen.

Sie könnten also alles dasjenige, was der Herr
Prof. Manzel zum Beweiß der ursprünglichen Vol-
lenkommenheit und Glückseeligkeit des Menschen
vorgebracht hat, vor sich anführen. Jch glaube
wohl, wir würden sie auslachen: Allein womit wol-
ten wir sie wiederlegen? Gewiß nicht aus der Ver-
nunft. Die ist nicht vor uns. Sie siehet unsere
Vortreflikeit nicht, wofern sie nicht das Vergrös-
serungs-Glaß eines thörichten Hochmuths gebrau-
chet.

Es würde lächerlich seyn, wenn wir unsere Zu-
flucht zur Ofenbahrung nehmen, und ihnen darinn
unsere Vorzüge weisen wolten. Denn dieses würde
bey den Thieren wenig verfangen. Sie würden un-

sere

(o)
Natur nicht ſtandesmaͤßig gehalten. Wir ſind elend.
Das iſt wahr; Aber laßt uns dieſes Elend durch et-
was anders, als durch ſuͤſſe Traͤume von einer verlohr-
nen Vortreflichkeit, zu verſuſſen ſuchen. Wir thun
kluͤger, wenn wir mit unſerm Zuſtande zufrieden ſind,
und uns bemuͤhen, denſelben ſo ertraͤglich zu ma-
chen, als es moͤglich iſt.

Es iſt kein Thier in der Welt, daß nicht mit eben
ſo gutem Grunde, als wir, das vortreflichſte zu ſeyn
verlangen, und alſo ſein Elend, darinn es ſich befin-
det, als etwas auſſerordentliches, und aus einem
Verſehen ſeiner Vorfahren herruͤhrendes, anſehen
koͤnnte. Auch die Thiere haben ihre Noth; und
wenn ſonſt nichts waͤre, daruͤber ſie ſich zu beklagen,
und allerhand Gedancken zu machen Urſache haͤtten,
ſo waͤre es gewiß die Grauſamkeit des Menſchen,
und alles, das Boͤſe, ſo ſie von dieſem artigen Thiere
erdulden muͤſſen.

Sie koͤnnten alſo alles dasjenige, was der Herr
Prof. Manzel zum Beweiß der urſpruͤnglichen Vol-
lenkommenheit und Gluͤckſeeligkeit des Menſchen
vorgebracht hat, vor ſich anfuͤhren. Jch glaube
wohl, wir wuͤrden ſie auslachen: Allein womit wol-
ten wir ſie wiederlegen? Gewiß nicht aus der Ver-
nunft. Die iſt nicht vor uns. Sie ſiehet unſere
Vortreflikeit nicht, wofern ſie nicht das Vergroͤſ-
ſerungs-Glaß eines thoͤrichten Hochmuths gebrau-
chet.

Es wuͤrde laͤcherlich ſeyn, wenn wir unſere Zu-
flucht zur Ofenbahrung nehmen, und ihnen darinn
unſere Vorzuͤge weiſen wolten. Denn dieſes wuͤrde
bey den Thieren wenig verfangen. Sie wuͤrden un-

ſere
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0759" n="667"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
Natur nicht &#x017F;tandesma&#x0364;ßig gehalten. Wir &#x017F;ind elend.<lb/>
Das i&#x017F;t wahr; Aber laßt uns die&#x017F;es Elend durch et-<lb/>
was anders, als durch &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Tra&#x0364;ume von einer verlohr-<lb/>
nen Vortreflichkeit, zu ver&#x017F;u&#x017F;&#x017F;en &#x017F;uchen. Wir thun<lb/>
klu&#x0364;ger, wenn wir mit un&#x017F;erm Zu&#x017F;tande zufrieden &#x017F;ind,<lb/>
und uns bemu&#x0364;hen, den&#x017F;elben &#x017F;o ertra&#x0364;glich zu ma-<lb/>
chen, als es mo&#x0364;glich i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t kein Thier in der Welt, daß nicht mit eben<lb/>
&#x017F;o gutem Grunde, als wir, das vortreflich&#x017F;te zu &#x017F;eyn<lb/>
verlangen, und al&#x017F;o &#x017F;ein Elend, darinn es &#x017F;ich befin-<lb/>
det, als etwas au&#x017F;&#x017F;erordentliches, und aus einem<lb/>
Ver&#x017F;ehen &#x017F;einer Vorfahren herru&#x0364;hrendes, an&#x017F;ehen<lb/>
ko&#x0364;nnte. Auch die Thiere haben ihre Noth; und<lb/>
wenn &#x017F;on&#x017F;t nichts wa&#x0364;re, daru&#x0364;ber &#x017F;ie &#x017F;ich zu beklagen,<lb/>
und allerhand Gedancken zu machen Ur&#x017F;ache ha&#x0364;tten,<lb/>
&#x017F;o wa&#x0364;re es gewiß die Grau&#x017F;amkeit des Men&#x017F;chen,<lb/>
und alles, das Bo&#x0364;&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;ie von die&#x017F;em artigen Thiere<lb/>
erdulden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Sie ko&#x0364;nnten al&#x017F;o alles dasjenige, was der Herr<lb/>
Prof. Manzel zum Beweiß der ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Vol-<lb/>
lenkommenheit und Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit des Men&#x017F;chen<lb/>
vorgebracht hat, vor &#x017F;ich anfu&#x0364;hren. Jch glaube<lb/>
wohl, wir wu&#x0364;rden &#x017F;ie auslachen: Allein womit wol-<lb/>
ten wir &#x017F;ie wiederlegen? Gewiß nicht aus der Ver-<lb/>
nunft. Die i&#x017F;t nicht vor uns. Sie &#x017F;iehet un&#x017F;ere<lb/>
Vortreflikeit nicht, wofern &#x017F;ie nicht das Vergro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erungs-Glaß eines tho&#x0364;richten Hochmuths gebrau-<lb/>
chet.</p><lb/>
          <p>Es wu&#x0364;rde la&#x0364;cherlich &#x017F;eyn, wenn wir un&#x017F;ere Zu-<lb/>
flucht zur Ofenbahrung nehmen, und ihnen darinn<lb/>
un&#x017F;ere Vorzu&#x0364;ge wei&#x017F;en wolten. Denn die&#x017F;es wu&#x0364;rde<lb/>
bey den Thieren wenig verfangen. Sie wu&#x0364;rden un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ere</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[667/0759] (o) Natur nicht ſtandesmaͤßig gehalten. Wir ſind elend. Das iſt wahr; Aber laßt uns dieſes Elend durch et- was anders, als durch ſuͤſſe Traͤume von einer verlohr- nen Vortreflichkeit, zu verſuſſen ſuchen. Wir thun kluͤger, wenn wir mit unſerm Zuſtande zufrieden ſind, und uns bemuͤhen, denſelben ſo ertraͤglich zu ma- chen, als es moͤglich iſt. Es iſt kein Thier in der Welt, daß nicht mit eben ſo gutem Grunde, als wir, das vortreflichſte zu ſeyn verlangen, und alſo ſein Elend, darinn es ſich befin- det, als etwas auſſerordentliches, und aus einem Verſehen ſeiner Vorfahren herruͤhrendes, anſehen koͤnnte. Auch die Thiere haben ihre Noth; und wenn ſonſt nichts waͤre, daruͤber ſie ſich zu beklagen, und allerhand Gedancken zu machen Urſache haͤtten, ſo waͤre es gewiß die Grauſamkeit des Menſchen, und alles, das Boͤſe, ſo ſie von dieſem artigen Thiere erdulden muͤſſen. Sie koͤnnten alſo alles dasjenige, was der Herr Prof. Manzel zum Beweiß der urſpruͤnglichen Vol- lenkommenheit und Gluͤckſeeligkeit des Menſchen vorgebracht hat, vor ſich anfuͤhren. Jch glaube wohl, wir wuͤrden ſie auslachen: Allein womit wol- ten wir ſie wiederlegen? Gewiß nicht aus der Ver- nunft. Die iſt nicht vor uns. Sie ſiehet unſere Vortreflikeit nicht, wofern ſie nicht das Vergroͤſ- ſerungs-Glaß eines thoͤrichten Hochmuths gebrau- chet. Es wuͤrde laͤcherlich ſeyn, wenn wir unſere Zu- flucht zur Ofenbahrung nehmen, und ihnen darinn unſere Vorzuͤge weiſen wolten. Denn dieſes wuͤrde bey den Thieren wenig verfangen. Sie wuͤrden un- ſere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/759
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/759>, abgerufen am 31.10.2024.