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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
Saame, ohne menschliche Bemühung, in die Erde
komme, und aufgehe.

Wenn die Menschen sich des Korns zu ihrer Nah-
rung nicht bedienten, so würde der Saame, wann er
seine Reife erlanget, auf die Erde fallen, und Frucht
bringen, ohne alle Bemühung der Menschen: Und daß
dieses nicht im Stande der Unschuld allein möglich ge-
wesen, ist daher klar, weil man auch noch heutiges Ta-
ges siehet, daß auch an Oertern Korn wächset, da kei-
nes gesäet ist; sondern da nur von ungefehr einige Kör-
ner niedergefallen sind. Man hat Exempel von gan-
tzen Aeckern, welche, weil man das darauf gewachsene
Korn nicht eingesammlet, sondern auf die Erde fallen
lassen, das folgende Jahr, ohne daß sie besäet worden,
reichlich Frucht getragen haben.

Was findet also der Hr. Prof. sonderliches an
dem Korn, daher er eine gewaltsame Veränderung
in der Natur muthmassen könnte? Es würde im
Stande der Unschuld eben so gegangen seyn, falls der
Mensch sich des Getreydes so häufig bedienet hätte,
als ietzo: Und man versuche es nur mit allen andern
Gewächsen, die durch ihren Saamen fortgepflan-
tzet werden (welches ich dann von allen, das gemei-
ne Graß etwan ausgenommen, glaube) und ver-
hindere, daß nicht das geringste von dem Saamen
auf die Erde falle, so wird man finden, daß es, wie
das Korn, ohne menschliche Hülfe nicht wieder
hervor komme.

VII. Da man also eine natürliche Ursache geben
kan, warum das Korn auf die Art, als wir ietzo sehen,
fortgepflantzet werden muß; so ist es nicht nöthig, die-
selbe in einem Fluch, der auf die Erde haften soll, zu

suchen.
U u 3

(o)
Saame, ohne menſchliche Bemuͤhung, in die Erde
komme, und aufgehe.

Wenn die Menſchen ſich des Korns zu ihrer Nah-
rung nicht bedienten, ſo wuͤrde der Saame, wann er
ſeine Reife erlanget, auf die Erde fallen, und Frucht
bringen, ohne alle Bemuͤhung der Menſchen: Und daß
dieſes nicht im Stande der Unſchuld allein moͤglich ge-
weſen, iſt daher klar, weil man auch noch heutiges Ta-
ges ſiehet, daß auch an Oertern Korn waͤchſet, da kei-
nes geſaͤet iſt; ſondern da nur von ungefehr einige Koͤr-
ner niedergefallen ſind. Man hat Exempel von gan-
tzen Aeckern, welche, weil man das darauf gewachſene
Korn nicht eingeſammlet, ſondern auf die Erde fallen
laſſen, das folgende Jahr, ohne daß ſie beſaͤet worden,
reichlich Frucht getragen haben.

Was findet alſo der Hr. Prof. ſonderliches an
dem Korn, daher er eine gewaltſame Veraͤnderung
in der Natur muthmaſſen koͤnnte? Es wuͤrde im
Stande der Unſchuld eben ſo gegangen ſeyn, falls der
Menſch ſich des Getreydes ſo haͤufig bedienet haͤtte,
als ietzo: Und man verſuche es nur mit allen andern
Gewaͤchſen, die durch ihren Saamen fortgepflan-
tzet werden (welches ich dann von allen, das gemei-
ne Graß etwan ausgenommen, glaube) und ver-
hindere, daß nicht das geringſte von dem Saamen
auf die Erde falle, ſo wird man finden, daß es, wie
das Korn, ohne menſchliche Huͤlfe nicht wieder
hervor komme.

VII. Da man alſo eine natuͤrliche Urſache geben
kan, warum das Korn auf die Art, als wir ietzo ſehen,
fortgepflantzet werden muß; ſo iſt es nicht noͤthig, die-
ſelbe in einem Fluch, der auf die Erde haften ſoll, zu

ſuchen.
U u 3
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[677/0769] (o) Saame, ohne menſchliche Bemuͤhung, in die Erde komme, und aufgehe. Wenn die Menſchen ſich des Korns zu ihrer Nah- rung nicht bedienten, ſo wuͤrde der Saame, wann er ſeine Reife erlanget, auf die Erde fallen, und Frucht bringen, ohne alle Bemuͤhung der Menſchen: Und daß dieſes nicht im Stande der Unſchuld allein moͤglich ge- weſen, iſt daher klar, weil man auch noch heutiges Ta- ges ſiehet, daß auch an Oertern Korn waͤchſet, da kei- nes geſaͤet iſt; ſondern da nur von ungefehr einige Koͤr- ner niedergefallen ſind. Man hat Exempel von gan- tzen Aeckern, welche, weil man das darauf gewachſene Korn nicht eingeſammlet, ſondern auf die Erde fallen laſſen, das folgende Jahr, ohne daß ſie beſaͤet worden, reichlich Frucht getragen haben. Was findet alſo der Hr. Prof. ſonderliches an dem Korn, daher er eine gewaltſame Veraͤnderung in der Natur muthmaſſen koͤnnte? Es wuͤrde im Stande der Unſchuld eben ſo gegangen ſeyn, falls der Menſch ſich des Getreydes ſo haͤufig bedienet haͤtte, als ietzo: Und man verſuche es nur mit allen andern Gewaͤchſen, die durch ihren Saamen fortgepflan- tzet werden (welches ich dann von allen, das gemei- ne Graß etwan ausgenommen, glaube) und ver- hindere, daß nicht das geringſte von dem Saamen auf die Erde falle, ſo wird man finden, daß es, wie das Korn, ohne menſchliche Huͤlfe nicht wieder hervor komme. VII. Da man alſo eine natuͤrliche Urſache geben kan, warum das Korn auf die Art, als wir ietzo ſehen, fortgepflantzet werden muß; ſo iſt es nicht noͤthig, die- ſelbe in einem Fluch, der auf die Erde haften ſoll, zu ſuchen. U u 3

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/769>, abgerufen am 21.11.2024.