höher wir in das Alterthum hinauf steigen, je weni- ger Kranckheiten finden wir, und die Historie lehret uns, daß diese sich bey allen Völckern eingefunden und gemehret haben, nachdem die Schwelgerey und Unmäßigkeit eingerissen und gewachsen ist. So lan- ge die Menschen ihre Natur folgten, und nicht mehr assen und trancken, als diese erforderte, hatten sie nicht Ursache, sich über ihren Zustand zu beschweren: Aber da sie anfingen lecker zu werden, und mehr ihren Geschmack zu vergnügen, als ihren Hunger zu stillen suchten, verdarben sie ihre Gesundheit, und
Die asiatischen Völcker empfanden die Folgen die- ser Thorheit eher, als die Europäer, und unter diesen waren die Griechen schon lange in das Elend verfal- len, welches ausder Unmäßigkeit entstehet, als die Rö- mer anfiengen, ihren und der asiatischen Völcker Sit- ten nachzuahmen, und, nebst andern Künsten, auch die Kunst, sich durch ein unmäßiges Leben ungesund zu machen, zu erlernen.
Unsere Vorfahren haben sich noch länger, als die Römer in ihrer alten Unschuld erhalten, und waren also auch viel gesunder, als wir. Es ist noch nicht über tausend Jahr, daß ein Medicus in Deutschland schmal würde haben beissen müssen; und vieleicht wür- den wir der Aertzte noch eben so wohl, als damahls ent- rahten können, wenn nicht die so genannten Seelen- Aertzte, nebst ihrem Catechismus, auch die, biß dahin uns unbekannte, Laster der Christen bey uns eingefüh-
ret,
(22)Horatius Lib. I. Od. 3.
Y y
(o)
hoͤher wir in das Alterthum hinauf ſteigen, je weni- ger Kranckheiten finden wir, und die Hiſtorie lehret uns, daß dieſe ſich bey allen Voͤlckern eingefunden und gemehret haben, nachdem die Schwelgerey und Unmaͤßigkeit eingeriſſen und gewachſen iſt. So lan- ge die Menſchen ihre Natur folgten, und nicht mehr aſſen und trancken, als dieſe erforderte, hatten ſie nicht Urſache, ſich uͤber ihren Zuſtand zu beſchweren: Aber da ſie anfingen lecker zu werden, und mehr ihren Geſchmack zu vergnuͤgen, als ihren Hunger zu ſtillen ſuchten, verdarben ſie ihre Geſundheit, und
Die aſiatiſchen Voͤlcker empfanden die Folgen die- ſer Thorheit eher, als die Europaͤer, und unter dieſen waren die Griechen ſchon lange in das Elend verfal- len, welches ausder Unmaͤßigkeit entſtehet, als die Roͤ- mer anfiengen, ihren und der aſiatiſchen Voͤlcker Sit- ten nachzuahmen, und, nebſt andern Kuͤnſten, auch die Kunſt, ſich durch ein unmaͤßiges Leben ungeſund zu machen, zu erlernen.
Unſere Vorfahren haben ſich noch laͤnger, als die Roͤmer in ihrer alten Unſchuld erhalten, und waren alſo auch viel geſunder, als wir. Es iſt noch nicht uͤber tauſend Jahr, daß ein Medicus in Deutſchland ſchmal wuͤrde haben beiſſen muͤſſen; uñ vieleicht wuͤr- den wiꝛ deꝛ Aeꝛtzte noch eben ſo wohl, als damahls ent- rahten koͤnnen, wenn nicht die ſo genannten Seelen- Aertzte, nebſt ihrem Catechismus, auch die, biß dahin uns unbekannte, Laſter der Chriſten bey uns eingefuͤh-
ret,
(22)Horatius Lib. I. Od. 3.
Y y
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0797"n="705"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
hoͤher wir in das Alterthum hinauf ſteigen, je weni-<lb/>
ger Kranckheiten finden wir, und die Hiſtorie lehret<lb/>
uns, daß dieſe ſich bey allen Voͤlckern eingefunden<lb/>
und gemehret haben, nachdem die Schwelgerey und<lb/>
Unmaͤßigkeit eingeriſſen und gewachſen iſt. So lan-<lb/>
ge die Menſchen ihre Natur folgten, und nicht mehr<lb/>
aſſen und trancken, als dieſe erforderte, hatten ſie<lb/>
nicht Urſache, ſich uͤber ihren Zuſtand zu beſchweren:<lb/>
Aber da ſie anfingen lecker zu werden, und mehr<lb/>
ihren Geſchmack zu vergnuͤgen, als ihren Hunger<lb/>
zu ſtillen ſuchten, verdarben ſie ihre Geſundheit,<lb/>
und</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">„. . . . macies & nova febrium<lb/>„Terris incubuit cohors.</hi><noteplace="foot"n="(22)"><hirendition="#aq">Horatius Lib. I. Od.</hi> 3.</note></quote></cit><lb/><p>Die aſiatiſchen Voͤlcker empfanden die Folgen die-<lb/>ſer Thorheit eher, als die Europaͤer, und unter dieſen<lb/>
waren die Griechen ſchon lange in das Elend verfal-<lb/>
len, welches ausder Unmaͤßigkeit entſtehet, als die Roͤ-<lb/>
mer anfiengen, ihren und der aſiatiſchen Voͤlcker Sit-<lb/>
ten nachzuahmen, und, nebſt andern Kuͤnſten, auch die<lb/>
Kunſt, ſich durch ein unmaͤßiges Leben ungeſund zu<lb/>
machen, zu erlernen.</p><lb/><p>Unſere Vorfahren haben ſich noch laͤnger, als die<lb/>
Roͤmer in ihrer alten Unſchuld erhalten, und waren<lb/>
alſo auch viel geſunder, als wir. Es iſt noch nicht uͤber<lb/>
tauſend Jahr, daß ein Medicus in Deutſchland<lb/>ſchmal wuͤrde haben beiſſen muͤſſen; uñ vieleicht wuͤr-<lb/>
den wiꝛ deꝛ Aeꝛtzte noch eben ſo wohl, als damahls ent-<lb/>
rahten koͤnnen, wenn nicht die ſo genannten Seelen-<lb/>
Aertzte, nebſt ihrem Catechismus, auch die, biß dahin<lb/>
uns unbekannte, Laſter der Chriſten bey uns eingefuͤh-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y y</fw><fwplace="bottom"type="catch">ret,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[705/0797]
(o)
hoͤher wir in das Alterthum hinauf ſteigen, je weni-
ger Kranckheiten finden wir, und die Hiſtorie lehret
uns, daß dieſe ſich bey allen Voͤlckern eingefunden
und gemehret haben, nachdem die Schwelgerey und
Unmaͤßigkeit eingeriſſen und gewachſen iſt. So lan-
ge die Menſchen ihre Natur folgten, und nicht mehr
aſſen und trancken, als dieſe erforderte, hatten ſie
nicht Urſache, ſich uͤber ihren Zuſtand zu beſchweren:
Aber da ſie anfingen lecker zu werden, und mehr
ihren Geſchmack zu vergnuͤgen, als ihren Hunger
zu ſtillen ſuchten, verdarben ſie ihre Geſundheit,
und
„. . . . macies & nova febrium
„Terris incubuit cohors. (22)
Die aſiatiſchen Voͤlcker empfanden die Folgen die-
ſer Thorheit eher, als die Europaͤer, und unter dieſen
waren die Griechen ſchon lange in das Elend verfal-
len, welches ausder Unmaͤßigkeit entſtehet, als die Roͤ-
mer anfiengen, ihren und der aſiatiſchen Voͤlcker Sit-
ten nachzuahmen, und, nebſt andern Kuͤnſten, auch die
Kunſt, ſich durch ein unmaͤßiges Leben ungeſund zu
machen, zu erlernen.
Unſere Vorfahren haben ſich noch laͤnger, als die
Roͤmer in ihrer alten Unſchuld erhalten, und waren
alſo auch viel geſunder, als wir. Es iſt noch nicht uͤber
tauſend Jahr, daß ein Medicus in Deutſchland
ſchmal wuͤrde haben beiſſen muͤſſen; uñ vieleicht wuͤr-
den wiꝛ deꝛ Aeꝛtzte noch eben ſo wohl, als damahls ent-
rahten koͤnnen, wenn nicht die ſo genannten Seelen-
Aertzte, nebſt ihrem Catechismus, auch die, biß dahin
uns unbekannte, Laſter der Chriſten bey uns eingefuͤh-
ret,
(22) Horatius Lib. I. Od. 3.
Y y
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/797>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.