ret, und also den Aertzten Gelegenheit gegeben hätten, auch bey uns etwas zu verdienen. Seit dem wir an unsern Seelen genesen, sind wir an unsern Leibern kranck worden. Und diese Kranckheiten, denen wir un- terworfen sind, sind nichts anders, als supplicia lu- xuriae, wie sie Seneca (23) nennet. Wir haben nicht Ursache, dieselbe einer in unserer Natur vorgegange- nen Veränderung zuzuschreiben: Man kan überhaupt von den Menschen sagen, was Seneca am angezoge- nen Ort von den Weibern insonderheit schreibt: Non mutata faeminarum natura sed vita est. Noch weni- ger darf man sich über die Menge derselben verwun- dern. "Innumerabiles esse morbos non miraberis: "coquos numera sagt eben der Seneca, der schon vorher gesagt hatte: Multos morbos multa fercula fecerunt.
Wer sich im Essen und Trincken der Mäßigkeit befleißiget, und sich vor Gram und Eyfer hütet, der wird nicht nöthig haben, die Thiere zu beneiden, und über viele und schmertzhafte Kranckheiten zu klagen. Und daß dieses wahr sey, das empfinden viele Völ- cker, die wir wild und barbarisch nennen. Die Hotten- totten und wilden in Canada erreichen ein hohes Al- ter, und wissen von keinen Kranckheiten, die sie nicht, ohne grosse Weitläuftigkeit, durch Hunger, oder sonst vertreiben könnten. Selbst bey uns giebt es die tägli- che Erfahrung, daß diejenigen Leute, welche ihre Ar- muth zur Mäßigkeit und Arbeit nöthiget, von allen Kranckheiten der Reichen, oder der Faullentzer nichts wissen, und, wenn sie kranck werden, sich durch die ein-
fältig-
(23)Ep. 95.
(o)
ret, und alſo den Aertzten Gelegenheit gegeben haͤtten, auch bey uns etwas zu verdienen. Seit dem wir an unſern Seelen geneſen, ſind wir an unſern Leibern kranck worden. Und dieſe Kranckheiten, denen wir un- terworfen ſind, ſind nichts anders, als ſupplicia lu- xuriæ, wie ſie Seneca (23) nennet. Wir haben nicht Urſache, dieſelbe einer in unſerer Natur vorgegange- nen Veraͤndeꝛung zuzuſchꝛeiben: Man kan uͤberhaupt von den Menſchen ſagen, was Seneca am angezoge- nen Ort von den Weibern inſonderheit ſchreibt: Non mutata fæminarum natura ſed vita eſt. Noch weni- ger darf man ſich uͤber die Menge derſelben verwun- dern. „Innumerabiles eſſe morbos non miraberis: „coquos numera ſagt eben der Seneca, der ſchon vorher geſagt hatte: Multos morbos multa fercula fecerunt.
Wer ſich im Eſſen und Trincken der Maͤßigkeit befleißiget, und ſich vor Gram und Eyfer huͤtet, der wird nicht noͤthig haben, die Thiere zu beneiden, und uͤber viele und ſchmertzhafte Kranckheiten zu klagen. Und daß dieſes wahr ſey, das empfinden viele Voͤl- cker, die wir wild und barbariſch nennen. Die Hotten- totten und wilden in Canada erreichen ein hohes Al- ter, und wiſſen von keinen Kranckheiten, die ſie nicht, ohne groſſe Weitlaͤuftigkeit, durch Hunger, oder ſonſt vertreiben koͤnnten. Selbſt bey uns giebt es die taͤgli- che Erfahrung, daß diejenigen Leute, welche ihre Ar- muth zur Maͤßigkeit und Arbeit noͤthiget, von allen Kranckheiten der Reichen, oder der Faullentzer nichts wiſſen, und, wenn ſie kranck werden, ſich durch die ein-
faͤltig-
(23)Ep. 95.
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ret, und alſo den Aertzten Gelegenheit gegeben haͤtten,
auch bey uns etwas zu verdienen. Seit dem wir an
unſern Seelen geneſen, ſind wir an unſern Leibern
kranck worden. Und dieſe Kranckheiten, denen wir un-
terworfen ſind, ſind nichts anders, als ſupplicia lu-
xuriæ, wie ſie Seneca (23) nennet. Wir haben nicht
Urſache, dieſelbe einer in unſerer Natur vorgegange-
nen Veraͤndeꝛung zuzuſchꝛeiben: Man kan uͤberhaupt
von den Menſchen ſagen, was Seneca am angezoge-
nen Ort von den Weibern inſonderheit ſchreibt: Non
mutata fæminarum natura ſed vita eſt. Noch weni-
ger darf man ſich uͤber die Menge derſelben verwun-
dern. „Innumerabiles eſſe morbos non miraberis:
„coquos numera ſagt eben der Seneca, der ſchon
vorher geſagt hatte: Multos morbos multa fercula
fecerunt.
Wer ſich im Eſſen und Trincken der Maͤßigkeit
befleißiget, und ſich vor Gram und Eyfer huͤtet, der
wird nicht noͤthig haben, die Thiere zu beneiden, und
uͤber viele und ſchmertzhafte Kranckheiten zu klagen.
Und daß dieſes wahr ſey, das empfinden viele Voͤl-
cker, die wir wild und barbariſch nennen. Die Hotten-
totten und wilden in Canada erreichen ein hohes Al-
ter, und wiſſen von keinen Kranckheiten, die ſie nicht,
ohne groſſe Weitlaͤuftigkeit, durch Hunger, oder ſonſt
vertreiben koͤnnten. Selbſt bey uns giebt es die taͤgli-
che Erfahrung, daß diejenigen Leute, welche ihre Ar-
muth zur Maͤßigkeit und Arbeit noͤthiget, von allen
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 706. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/798>, abgerufen am 21.11.2024.
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