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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
fältigsten Hauß-Mittel, mit nicht viel mehr Mühe,
als die Thiere, helfen. Man sehe unsere Bauren
und Tagelöhner nur an, so wird man befinden, daß
ich die Wahrheit sage. Wir erstaunen über die
starcke Natur dieser Leute, wann wir sehen, wie
wenig sie sich in Kranckheiten, die wir vor die
gefährlichsten halten, in acht nehmen, und
dieselbe doch öfterer überstehen, als Leute von
unserer Art.

Ein wenig Wein von der Apothecke gehohlet ist
dem Bauren so gut, als die beste Tinctur, die ein Do-
ctor verordnen kan. Jhre Wunden achten sie so we-
nig, daß es schon sehr viel ist, wenn sie dieselbe mit ih-
rem eigenen Wasser, oder etwan mit Eßig oder
Brandte-Wein auswaschen, und etwas von alten
Lumpen darum binden. Gemeiniglich müssen dieselbe
von sich selbst zutrocknen, und wenn sie auch so groß,
daß der Hr. Prof. Manzel und ich in solchem Fall
zum Wund-Artzt unsere Zuflucht nehmen müsten.
Der Bauer hat eine bessere Haut zu heilen als wir.
Er weiß es, und bedauret dahero, wenn er sich etwan
mit einem Beil verletzet hat, mehr seinen Schuh oder
Stiefel, als seinen Fuß.

Aus diesem allem sehen Ew. Hochwohlgeb. daß die
Kranckheiten, denen die meisten Menschen unter-
worfen sind, nicht eine gewaltsame Veränderung un-
serer Natur zum Grunde haben. Jch glaube die alten
Deutschen waren so wenig im Stande der Unschuld,
als die wilden Völcker, und unsere Bauren es ie-
tzo sind: Und doch sehen wir, daß sie, wie unsere
Bauren und die Wilden, von allem Ungemach frey
gewesen sind, so wir, nach des Hrn. Manzels

Mei-
Y y 2

(o)
faͤltigſten Hauß-Mittel, mit nicht viel mehr Muͤhe,
als die Thiere, helfen. Man ſehe unſere Bauren
und Tageloͤhner nur an, ſo wird man befinden, daß
ich die Wahrheit ſage. Wir erſtaunen uͤber die
ſtarcke Natur dieſer Leute, wann wir ſehen, wie
wenig ſie ſich in Kranckheiten, die wir vor die
gefaͤhrlichſten halten, in acht nehmen, und
dieſelbe doch oͤfterer uͤberſtehen, als Leute von
unſerer Art.

Ein wenig Wein von der Apothecke gehohlet iſt
dem Bauren ſo gut, als die beſte Tinctur, die ein Do-
ctor verordnen kan. Jhre Wunden achten ſie ſo we-
nig, daß es ſchon ſehr viel iſt, wenn ſie dieſelbe mit ih-
rem eigenen Waſſer, oder etwan mit Eßig oder
Brandte-Wein auswaſchen, und etwas von alten
Lumpen darum binden. Gemeiniglich muͤſſen dieſelbe
von ſich ſelbſt zutrocknen, und wenn ſie auch ſo groß,
daß der Hr. Prof. Manzel und ich in ſolchem Fall
zum Wund-Artzt unſere Zuflucht nehmen muͤſten.
Der Bauer hat eine beſſere Haut zu heilen als wir.
Er weiß es, und bedauret dahero, wenn er ſich etwan
mit einem Beil verletzet hat, mehr ſeinen Schuh oder
Stiefel, als ſeinen Fuß.

Aus dieſem allem ſehen Ew. Hochwohlgeb. daß die
Kranckheiten, denen die meiſten Menſchen unter-
worfen ſind, nicht eine gewaltſame Veraͤnderung un-
ſerer Natur zum Grunde haben. Jch glaube die alten
Deutſchen waren ſo wenig im Stande der Unſchuld,
als die wilden Voͤlcker, und unſere Bauren es ie-
tzo ſind: Und doch ſehen wir, daß ſie, wie unſere
Bauren und die Wilden, von allem Ungemach frey
geweſen ſind, ſo wir, nach des Hrn. Manzels

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[707/0799] (o) faͤltigſten Hauß-Mittel, mit nicht viel mehr Muͤhe, als die Thiere, helfen. Man ſehe unſere Bauren und Tageloͤhner nur an, ſo wird man befinden, daß ich die Wahrheit ſage. Wir erſtaunen uͤber die ſtarcke Natur dieſer Leute, wann wir ſehen, wie wenig ſie ſich in Kranckheiten, die wir vor die gefaͤhrlichſten halten, in acht nehmen, und dieſelbe doch oͤfterer uͤberſtehen, als Leute von unſerer Art. Ein wenig Wein von der Apothecke gehohlet iſt dem Bauren ſo gut, als die beſte Tinctur, die ein Do- ctor verordnen kan. Jhre Wunden achten ſie ſo we- nig, daß es ſchon ſehr viel iſt, wenn ſie dieſelbe mit ih- rem eigenen Waſſer, oder etwan mit Eßig oder Brandte-Wein auswaſchen, und etwas von alten Lumpen darum binden. Gemeiniglich muͤſſen dieſelbe von ſich ſelbſt zutrocknen, und wenn ſie auch ſo groß, daß der Hr. Prof. Manzel und ich in ſolchem Fall zum Wund-Artzt unſere Zuflucht nehmen muͤſten. Der Bauer hat eine beſſere Haut zu heilen als wir. Er weiß es, und bedauret dahero, wenn er ſich etwan mit einem Beil verletzet hat, mehr ſeinen Schuh oder Stiefel, als ſeinen Fuß. Aus dieſem allem ſehen Ew. Hochwohlgeb. daß die Kranckheiten, denen die meiſten Menſchen unter- worfen ſind, nicht eine gewaltſame Veraͤnderung un- ſerer Natur zum Grunde haben. Jch glaube die alten Deutſchen waren ſo wenig im Stande der Unſchuld, als die wilden Voͤlcker, und unſere Bauren es ie- tzo ſind: Und doch ſehen wir, daß ſie, wie unſere Bauren und die Wilden, von allem Ungemach frey geweſen ſind, ſo wir, nach des Hrn. Manzels Mei- Y y 2

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/799>, abgerufen am 21.11.2024.