"(quod experientia & factis, quorum memoria ip- sis constitit, imo forte reuelatione magis inclarue- runt).
Jch habe hiebey folgendes zu erinnern.
I. Hr. Prof. Manzel eignet den ersten Men- schen einen reinen Verstand zu. Ein reiner Verstand (intellectus purus) ist von den Sinnen und der Einbildungs-Kraft gäntzlich abgesondert. Er findet sich also nur bey Leuten, die eine deutliche Erkänntniß aller Dinge besitzen, und mit nichts, als allgemeinen Begrifen zu thun haben. Da man nun zu allgemei- nen Begrifen nicht anders, als durch die Betrach- tung eintzeler Dinge gelangen kan: So folget, daß der erste Mensch nicht mit einem reinen Verstand er- schafen worden.
Dieser Einwurfläßt sich nicht, wie man vieleicht dencken möchte, durch den Unterscheid unter dem Menschen vor, und nach dem Fall, heben: Denn, zu ge- schweigen daß dieser Fall noch nicht erwiesen, so ist es noch nicht ausgemacht, ob es vor dem Fall möglicher gewesen, als nach demselben, einer Creatur, die nie- mahlen eintzele Dinge gesehen, oder empfunden hat, allgemeine Begrife mitzutheilen. Jch kan die Möglichkeit dieser Mittheilung nicht begreifen. Denn entweder müste GOtt dem ersten Menschen die allgemeinen Begrife gleich Anfangs eingepreget, und seinen Verstand so eingerichtet haben, daß er nichts anders als lauter Universalia dencken kön- nen: Oder er müste ihm die allgemeinen Begrife nach seiner Schöpfung ofenbahret haben. Beydes gehet nicht an.
Denn hätte GOtt den Verstand des Menschen
so,
(o)
„(quod experientia & factis, quorum memoria ip- ſis conſtitit, imo forte reuelatione magis inclarue- runt).
Jch habe hiebey folgendes zu erinnern.
I. Hr. Prof. Manzel eignet den erſten Men- ſchen einen reinen Verſtand zu. Ein reiner Verſtand (intellectus purus) iſt von den Sinnen und der Einbildungs-Kraft gaͤntzlich abgeſondert. Er findet ſich alſo nur bey Leuten, die eine deutliche Erkaͤnntniß aller Dinge beſitzen, und mit nichts, als allgemeinen Begrifen zu thun haben. Da man nun zu allgemei- nen Begrifen nicht anders, als durch die Betrach- tung eintzeler Dinge gelangen kan: So folget, daß der erſte Menſch nicht mit einem reinen Verſtand er- ſchafen worden.
Dieſer Einwurflaͤßt ſich nicht, wie man vieleicht dencken moͤchte, durch den Unterſcheid unter dem Menſchen vor, und nach dem Fall, heben: Denn, zu ge- ſchweigen daß dieſer Fall noch nicht erwieſen, ſo iſt es noch nicht ausgemacht, ob es vor dem Fall moͤglicher geweſen, als nach demſelben, einer Creatur, die nie- mahlen eintzele Dinge geſehen, oder empfunden hat, allgemeine Begrife mitzutheilen. Jch kan die Moͤglichkeit dieſer Mittheilung nicht begreifen. Denn entweder muͤſte GOtt dem erſten Menſchen die allgemeinen Begrife gleich Anfangs eingepreget, und ſeinen Verſtand ſo eingerichtet haben, daß er nichts anders als lauter Univerſalia dencken koͤn- nen: Oder er muͤſte ihm die allgemeinen Begrife nach ſeiner Schoͤpfung ofenbahret haben. Beydes gehet nicht an.
Denn haͤtte GOtt den Verſtand des Menſchen
ſo,
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(o)
„(quod experientia & factis, quorum memoria ip-
ſis conſtitit, imo forte reuelatione magis inclarue-
runt).
Jch habe hiebey folgendes zu erinnern.
I. Hr. Prof. Manzel eignet den erſten Men-
ſchen einen reinen Verſtand zu. Ein reiner Verſtand
(intellectus purus) iſt von den Sinnen und der
Einbildungs-Kraft gaͤntzlich abgeſondert. Er findet
ſich alſo nur bey Leuten, die eine deutliche Erkaͤnntniß
aller Dinge beſitzen, und mit nichts, als allgemeinen
Begrifen zu thun haben. Da man nun zu allgemei-
nen Begrifen nicht anders, als durch die Betrach-
tung eintzeler Dinge gelangen kan: So folget, daß
der erſte Menſch nicht mit einem reinen Verſtand er-
ſchafen worden.
Dieſer Einwurflaͤßt ſich nicht, wie man vieleicht
dencken moͤchte, durch den Unterſcheid unter dem
Menſchen vor, und nach dem Fall, heben: Denn, zu ge-
ſchweigen daß dieſer Fall noch nicht erwieſen, ſo iſt es
noch nicht ausgemacht, ob es vor dem Fall moͤglicher
geweſen, als nach demſelben, einer Creatur, die nie-
mahlen eintzele Dinge geſehen, oder empfunden hat,
allgemeine Begrife mitzutheilen. Jch kan die
Moͤglichkeit dieſer Mittheilung nicht begreifen.
Denn entweder muͤſte GOtt dem erſten Menſchen
die allgemeinen Begrife gleich Anfangs eingepreget,
und ſeinen Verſtand ſo eingerichtet haben, daß er
nichts anders als lauter Univerſalia dencken koͤn-
nen: Oder er muͤſte ihm die allgemeinen Begrife nach
ſeiner Schoͤpfung ofenbahret haben. Beydes gehet
nicht an.
Denn haͤtte GOtt den Verſtand des Menſchen
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/814>, abgerufen am 31.10.2024.
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