sagt mir, wenn ich ihr weisen will, wie man den Fall des ersten Menschen mit seiner Vollkommenheit reimen müsse, Zeug vor, das ich nicht einmahl nachsagen mag. Das bescheidenste, was sie sagt, ist dieses, daß der erste Mensch, wenn er so beschaf- fen gewesen, als der Hr. Manzel sagt, nicht fallen können; wenn er aber gesündiget hat, nicht voll- kommen erschafen sey.
Sie glaubt also nicht, daß es dem Hrn. Prof. etwas helfen könne, wenn er (§. 43.), um die Mög- lichkeit des Falles zu behaupten, sagt: "Wenn der "Mensch so erschafen worden, daß er nothwendig "Gutes thun müssen, so hätte keine Moralität statt "haben können. Da der Hr. Prof. spricht sie, dieses gewust hat, so hätte er nicht sagen sollen, der Mensch sey vollkommen erschafen: Jndem die Fähigkeit zu sündigen eine nicht geringe Unvollkommenheit ist, die solche Begierden in dem ersten Menschen zum Grun- de haben muß, die mit seiner Vollkommenheit strei- ten, und allen Unterscheid zwischen ihm und uns nothwendig aufheben.
Jch habe schon oben etwas von dieser Materie ein- fliessen lassen: Wenn Ew. Hochwohlgeb. sich dessen erinnern, so werden Sie schon sehen, daß es unnöthig sey, sich mit dem Hrn. Manzel (§. 48.) zu beküm- mern: nach was vor einer Regel und Richtschnur die ersten Menschen gelebet haben? Eine vollkommene Creatur, die das Gute und Böse vollkommen kennet, vollkommen weiß, was GOtt haben will, und nicht die geringste Begierde zum Bösen hat, die braucht kei- ner Regel. Jhr natürlicher Trieb ist ihr statt aller Gesetze: Und dieses gestehet der Hr. Prof. fast selbst,
wenn
(o)
ſagt mir, wenn ich ihr weiſen will, wie man den Fall des erſten Menſchen mit ſeiner Vollkommenheit reimen muͤſſe, Zeug vor, das ich nicht einmahl nachſagen mag. Das beſcheidenſte, was ſie ſagt, iſt dieſes, daß der erſte Menſch, wenn er ſo beſchaf- fen geweſen, als der Hr. Manzel ſagt, nicht fallen koͤnnen; wenn er aber geſuͤndiget hat, nicht voll- kommen erſchafen ſey.
Sie glaubt alſo nicht, daß es dem Hrn. Prof. etwas helfen koͤnne, wenn er (§. 43.), um die Moͤg- lichkeit des Falles zu behaupten, ſagt: „Wenn der „Menſch ſo erſchafen worden, daß er nothwendig „Gutes thun muͤſſen, ſo haͤtte keine Moralitaͤt ſtatt „haben koͤnnen. Da der Hr. Prof. ſpricht ſie, dieſes gewuſt hat, ſo haͤtte er nicht ſagen ſollen, der Menſch ſey vollkommen erſchafen: Jndem die Faͤhigkeit zu ſuͤndigen eine nicht geringe Unvollkommenheit iſt, die ſolche Begierden in dem erſten Menſchen zum Grun- de haben muß, die mit ſeiner Vollkommenheit ſtrei- ten, und allen Unterſcheid zwiſchen ihm und uns nothwendig aufheben.
Jch habe ſchon oben etwas von dieſer Materie ein- flieſſen laſſen: Wenn Ew. Hochwohlgeb. ſich deſſen erinnern, ſo werden Sie ſchon ſehen, daß es unnoͤthig ſey, ſich mit dem Hrn. Manzel (§. 48.) zu bekuͤm- mern: nach was vor einer Regel und Richtſchnur die erſten Menſchen gelebet haben? Eine vollkommene Creatur, die das Gute und Boͤſe vollkommen kennet, vollkommen weiß, was GOtt haben will, und nicht die geringſte Begierde zum Boͤſen hat, die braucht kei- ner Regel. Jhr natuͤrlicher Trieb iſt ihr ſtatt aller Geſetze: Und dieſes geſtehet der Hr. Prof. faſt ſelbſt,
wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0830"n="738"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>ſagt mir, wenn ich ihr weiſen will, wie man den Fall<lb/>
des erſten Menſchen mit ſeiner Vollkommenheit<lb/>
reimen muͤſſe, Zeug vor, das ich nicht einmahl<lb/>
nachſagen mag. Das beſcheidenſte, was ſie ſagt,<lb/>
iſt dieſes, daß der erſte Menſch, wenn er ſo beſchaf-<lb/>
fen geweſen, als der Hr. Manzel ſagt, nicht fallen<lb/>
koͤnnen; wenn er aber geſuͤndiget hat, nicht voll-<lb/>
kommen erſchafen ſey.</p><lb/><p>Sie glaubt alſo nicht, daß es dem Hrn. Prof.<lb/>
etwas helfen koͤnne, wenn er (§. 43.), um die Moͤg-<lb/>
lichkeit des Falles zu behaupten, ſagt: „Wenn der<lb/>„Menſch ſo erſchafen worden, daß er nothwendig<lb/>„Gutes thun muͤſſen, ſo haͤtte keine Moralitaͤt ſtatt<lb/>„haben koͤnnen. Da der Hr. Prof. ſpricht ſie, dieſes<lb/>
gewuſt hat, ſo haͤtte er nicht ſagen ſollen, der Menſch<lb/>ſey vollkommen erſchafen: Jndem die Faͤhigkeit zu<lb/>ſuͤndigen eine nicht geringe Unvollkommenheit iſt, die<lb/>ſolche Begierden in dem erſten Menſchen zum Grun-<lb/>
de haben muß, die mit ſeiner Vollkommenheit ſtrei-<lb/>
ten, und allen Unterſcheid zwiſchen ihm und uns<lb/>
nothwendig aufheben.</p><lb/><p>Jch habe ſchon oben etwas von dieſer Materie ein-<lb/>
flieſſen laſſen: Wenn Ew. Hochwohlgeb. ſich deſſen<lb/>
erinnern, ſo werden Sie ſchon ſehen, daß es unnoͤthig<lb/>ſey, ſich mit dem Hrn. Manzel (§. 48.) zu bekuͤm-<lb/>
mern: nach was vor einer Regel und Richtſchnur die<lb/>
erſten Menſchen gelebet haben? Eine vollkommene<lb/>
Creatur, die das Gute und Boͤſe vollkommen kennet,<lb/>
vollkommen weiß, was GOtt haben will, und nicht<lb/>
die geringſte Begierde zum Boͤſen hat, die braucht kei-<lb/>
ner Regel. Jhr natuͤrlicher Trieb iſt ihr ſtatt aller<lb/>
Geſetze: Und dieſes geſtehet der Hr. Prof. faſt ſelbſt,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wenn</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[738/0830]
(o)
ſagt mir, wenn ich ihr weiſen will, wie man den Fall
des erſten Menſchen mit ſeiner Vollkommenheit
reimen muͤſſe, Zeug vor, das ich nicht einmahl
nachſagen mag. Das beſcheidenſte, was ſie ſagt,
iſt dieſes, daß der erſte Menſch, wenn er ſo beſchaf-
fen geweſen, als der Hr. Manzel ſagt, nicht fallen
koͤnnen; wenn er aber geſuͤndiget hat, nicht voll-
kommen erſchafen ſey.
Sie glaubt alſo nicht, daß es dem Hrn. Prof.
etwas helfen koͤnne, wenn er (§. 43.), um die Moͤg-
lichkeit des Falles zu behaupten, ſagt: „Wenn der
„Menſch ſo erſchafen worden, daß er nothwendig
„Gutes thun muͤſſen, ſo haͤtte keine Moralitaͤt ſtatt
„haben koͤnnen. Da der Hr. Prof. ſpricht ſie, dieſes
gewuſt hat, ſo haͤtte er nicht ſagen ſollen, der Menſch
ſey vollkommen erſchafen: Jndem die Faͤhigkeit zu
ſuͤndigen eine nicht geringe Unvollkommenheit iſt, die
ſolche Begierden in dem erſten Menſchen zum Grun-
de haben muß, die mit ſeiner Vollkommenheit ſtrei-
ten, und allen Unterſcheid zwiſchen ihm und uns
nothwendig aufheben.
Jch habe ſchon oben etwas von dieſer Materie ein-
flieſſen laſſen: Wenn Ew. Hochwohlgeb. ſich deſſen
erinnern, ſo werden Sie ſchon ſehen, daß es unnoͤthig
ſey, ſich mit dem Hrn. Manzel (§. 48.) zu bekuͤm-
mern: nach was vor einer Regel und Richtſchnur die
erſten Menſchen gelebet haben? Eine vollkommene
Creatur, die das Gute und Boͤſe vollkommen kennet,
vollkommen weiß, was GOtt haben will, und nicht
die geringſte Begierde zum Boͤſen hat, die braucht kei-
ner Regel. Jhr natuͤrlicher Trieb iſt ihr ſtatt aller
Geſetze: Und dieſes geſtehet der Hr. Prof. faſt ſelbſt,
wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/830>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.