Denn daß die Obrigkeit einige Gewalt darüber ha-" be, würde kein Verständiger läugnen; Allein er" versparet es auf eine andere Zeit. Nur, meynt er," (posit. 7.) könne er nicht umhin, die Fragen zu" berühren: Ob die Ketzerey ein Laster? Und was in" Ansehung der Atheisterey Rechtens sey? Was die" erste Frage betrift, so sey zwar, spricht er, wenn" alle Herrschaft über die Gewissen wegfalle, eine je-" de Ketzerey überhaupt kein Laster, so die Ahndung" der Obrigkeit verdiene, sondern eine Sache, dar-" über das Urtheil GOtt allein zustehe: Aber daher" folge nicht, daß ein jeder, ohne das Bürger-Recht" zu verlieren, glauben könne, was er wolle (quic-" quid in mentem & buccam venerit): Sondern" eine jede Republick könne durch ein Grund-Gesetz" bestimmen, was vor eine Religion gelten solle." Wer damit nicht zufrieden, müsse in eine solche Re-" publick nicht kommen, oder, wenn er nicht wolte" hinaus gestossen seyn, bey der angenommenen Leh-" re bleiben. Dieses fliesse aus der Natur einer Ge-" sellschaft, und die Obrigkeit, so Vermuthung vor" sich hat, suche die Seligkeit ihrer Unterthanen," wenn sie keine fremde Religion leiden wolle."
"Was die andre Frage anlanget, so meynt der" Herr Verfasser, die Atheisterey sey ein strafbares" Verbrechen, weil sie kein Fehler des Ver-" standes, sondern des Willens. Ein Atheiste" muß also, nach seiner Meynung, nicht bloß aus" dem Lande gejagt, sondern am Leben gestraft wer-" den, und wer anders dencket, sagt er, ist ein Feind" GOttes. (posit 8.) Hierauf thut der Herr Verfasser" den christlichen Wunsch, daß doch die bürgerlichen"
"Gesetze
(o)
Denn daß die Obrigkeit einige Gewalt daruͤber ha-„ be, wuͤrde kein Verſtaͤndiger laͤugnen; Allein er„ verſparet es auf eine andere Zeit. Nur, meynt er,„ (poſit. 7.) koͤnne er nicht umhin, die Fragen zu„ beruͤhren: Ob die Ketzerey ein Laſter? Und was in„ Anſehung der Atheiſterey Rechtens ſey? Was die„ erſte Frage betrift, ſo ſey zwar, ſpricht er, wenn„ alle Herrſchaft uͤber die Gewiſſen wegfalle, eine je-„ de Ketzerey uͤberhaupt kein Laſter, ſo die Ahndung„ der Obrigkeit verdiene, ſondern eine Sache, dar-„ uͤber das Urtheil GOtt allein zuſtehe: Aber daher„ folge nicht, daß ein jeder, ohne das Buͤrger-Recht„ zu verlieren, glauben koͤnne, was er wolle (quic-„ quid in mentem & buccam venerit): Sondern„ eine jede Republick koͤnne durch ein Grund-Geſetz„ beſtimmen, was vor eine Religion gelten ſolle.„ Wer damit nicht zufrieden, muͤſſe in eine ſolche Re-„ publick nicht kommen, oder, wenn er nicht wolte„ hinaus geſtoſſen ſeyn, bey der angenommenen Leh-„ re bleiben. Dieſes flieſſe aus der Natur einer Ge-„ ſellſchaft, und die Obrigkeit, ſo Vermuthung vor„ ſich hat, ſuche die Seligkeit ihrer Unterthanen,„ wenn ſie keine fremde Religion leiden wolle.‟
„Was die andre Frage anlanget, ſo meynt der„ Herr Verfaſſer, die Atheiſterey ſey ein ſtrafbares„ Verbrechen, weil ſie kein Fehler des Ver-„ ſtandes, ſondern des Willens. Ein Atheiſte„ muß alſo, nach ſeiner Meynung, nicht bloß aus„ dem Lande gejagt, ſondern am Leben geſtraft wer-„ den, und wer anders dencket, ſagt er, iſt ein Feind„ GOttes. (poſit 8.) Hierauf thut der Herr Verfaſſer„ den chriſtlichen Wunſch, daß doch die buͤrgerlichen„
„Geſetze
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(o)
Denn daß die Obrigkeit einige Gewalt daruͤber ha-„
be, wuͤrde kein Verſtaͤndiger laͤugnen; Allein er„
verſparet es auf eine andere Zeit. Nur, meynt er,„
(poſit. 7.) koͤnne er nicht umhin, die Fragen zu„
beruͤhren: Ob die Ketzerey ein Laſter? Und was in„
Anſehung der Atheiſterey Rechtens ſey? Was die„
erſte Frage betrift, ſo ſey zwar, ſpricht er, wenn„
alle Herrſchaft uͤber die Gewiſſen wegfalle, eine je-„
de Ketzerey uͤberhaupt kein Laſter, ſo die Ahndung„
der Obrigkeit verdiene, ſondern eine Sache, dar-„
uͤber das Urtheil GOtt allein zuſtehe: Aber daher„
folge nicht, daß ein jeder, ohne das Buͤrger-Recht„
zu verlieren, glauben koͤnne, was er wolle (quic-„
quid in mentem & buccam venerit): Sondern„
eine jede Republick koͤnne durch ein Grund-Geſetz„
beſtimmen, was vor eine Religion gelten ſolle.„
Wer damit nicht zufrieden, muͤſſe in eine ſolche Re-„
publick nicht kommen, oder, wenn er nicht wolte„
hinaus geſtoſſen ſeyn, bey der angenommenen Leh-„
re bleiben. Dieſes flieſſe aus der Natur einer Ge-„
ſellſchaft, und die Obrigkeit, ſo Vermuthung vor„
ſich hat, ſuche die Seligkeit ihrer Unterthanen,„
wenn ſie keine fremde Religion leiden wolle.‟
„Was die andre Frage anlanget, ſo meynt der„
Herr Verfaſſer, die Atheiſterey ſey ein ſtrafbares„
Verbrechen, weil ſie kein Fehler des Ver-„
ſtandes, ſondern des Willens. Ein Atheiſte„
muß alſo, nach ſeiner Meynung, nicht bloß aus„
dem Lande gejagt, ſondern am Leben geſtraft wer-„
den, und wer anders dencket, ſagt er, iſt ein Feind„
GOttes. (poſit 8.) Hierauf thut der Herr Verfaſſer„
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 877. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/969>, abgerufen am 21.11.2024.
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