"Gesetze kräftig genug seyn mögten, allen Lastern zu "steuren. Er meynt, wenn dieses wäre, so solten "gewiß mehr Leute, als ietzo, auch wider ihren Wil- "len (inviti quasi,) in dieser und jener Welt glücklich "seyn. Er gestehet, daß das Amt der Rechtsgelehrten "eigentlich nur sey, dasjenige zu strafen, wodurch "die menschliche Gesellschaft ofenbahr beunruhiget, "und die Ehre GOttes verletzet wird: Doch, meynt "er, wenn sie dieses thäten, so machten sie doch, daß "viele aus Furcht der Strafe als gute Bürger lebten, "und indem sie bey der Gelegenheit (occasionaliter) "eine Liebe zur Tugend bekämen, gleichsam bey der "Hand zum Himmel geleitet würden. (posit. 9.) Bey "dieser Gelegenheit beklagt der Herr Verfasser, daß "die Materie de Infamia noch nicht recht ausgebes- "sert sey. Jhm mißfällt daran zweyerley: 1) Daß die "Infamia facti heutiges Tages gantz aus der Mode "komme. Er glaubt, wenn die Laster, so diese Art "der Schande würcken, nur besser gestraft würden, "so würden viele erst gezwungen, hernach freywillig "ihre Sitten ändern. 2) Daß die Infamia Juris zu "weit gehe, und die Besserung unmöglich mache. "(posit. 10.) Jst indessen die Lehre de Infamia man- "gelhaft, so ersetzet die Jurisprudentia criminalis "diesen Mangel überflüßig. Die gehet gantz und gar "dahin, daß die Menschen durch die Furcht der "Strafe vom ewigen Verderben zurück gehalten "werden mögen. Die Sache braucht keines Bewei- "ses: Denn ein jeder weiß, daß von Jugend auf die "Liebe zur Tugend durch die Furcht der Strafe in "ihm erreget worden, und daß er dieser Furcht, wo-
durch
(o)
„Geſetze kraͤftig genug ſeyn moͤgten, allen Laſtern zu „ſteuren. Er meynt, wenn dieſes waͤre, ſo ſolten „gewiß mehr Leute, als ietzo, auch wider ihren Wil- „len (inviti quaſi,) in dieſer und jener Welt gluͤcklich „ſeyn. Er geſtehet, daß das Amt der Rechtsgelehrten „eigentlich nur ſey, dasjenige zu ſtrafen, wodurch „die menſchliche Geſellſchaft ofenbahr beunruhiget, „und die Ehre GOttes verletzet wird: Doch, meynt „er, wenn ſie dieſes thaͤten, ſo machten ſie doch, daß „viele aus Furcht der Strafe als gute Buͤrger lebten, „und indem ſie bey der Gelegenheit (occaſionaliter) „eine Liebe zur Tugend bekaͤmen, gleichſam bey der „Hand zum Himmel geleitet wuͤrden. (poſit. 9.) Bey „dieſer Gelegenheit beklagt der Herr Verfaſſer, daß „die Materie de Infamia noch nicht recht ausgebeſ- „ſert ſey. Jhm mißfaͤllt daran zweyerley: 1) Daß die „Infamia facti heutiges Tages gantz aus der Mode „komme. Er glaubt, wenn die Laſter, ſo dieſe Art „der Schande wuͤrcken, nur beſſer geſtraft wuͤrden, „ſo wuͤrden viele erſt gezwungen, hernach freywillig „ihre Sitten aͤndern. 2) Daß die Infamia Juris zu „weit gehe, und die Beſſerung unmoͤglich mache. „(poſit. 10.) Jſt indeſſen die Lehre de Infamia man- „gelhaft, ſo erſetzet die Jurisprudentia criminalis „dieſen Mangel uͤberfluͤßig. Die gehet gantz und gar „dahin, daß die Menſchen durch die Furcht der „Strafe vom ewigen Verderben zuruͤck gehalten „werden moͤgen. Die Sache braucht keines Bewei- „ſes: Denn ein jeder weiß, daß von Jugend auf die „Liebe zur Tugend durch die Furcht der Strafe in „ihm erreget worden, und daß er dieſer Furcht, wo-
durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0970"n="878"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>„Geſetze kraͤftig genug ſeyn moͤgten, allen Laſtern zu<lb/>„ſteuren. Er meynt, wenn dieſes waͤre, ſo ſolten<lb/>„gewiß mehr Leute, als ietzo, auch wider ihren Wil-<lb/>„len (<hirendition="#aq">inviti quaſi,</hi>) in dieſer und jener Welt gluͤcklich<lb/>„ſeyn. Er geſtehet, daß das Amt der Rechtsgelehrten<lb/>„eigentlich nur ſey, dasjenige zu ſtrafen, wodurch<lb/>„die menſchliche Geſellſchaft ofenbahr beunruhiget,<lb/>„und die Ehre GOttes verletzet wird: Doch, meynt<lb/>„er, wenn ſie dieſes thaͤten, ſo machten ſie doch, daß<lb/>„viele aus Furcht der Strafe als gute Buͤrger lebten,<lb/>„und indem ſie bey der Gelegenheit (<hirendition="#aq">occaſionaliter</hi>)<lb/>„eine Liebe zur Tugend bekaͤmen, gleichſam bey der<lb/>„Hand zum Himmel geleitet wuͤrden. (<hirendition="#aq">poſit.</hi> 9.) Bey<lb/>„dieſer Gelegenheit beklagt der Herr Verfaſſer, daß<lb/>„die Materie <hirendition="#aq">de Infamia</hi> noch nicht recht ausgebeſ-<lb/>„ſert ſey. Jhm mißfaͤllt daran zweyerley: 1) Daß die<lb/>„<hirendition="#aq">Infamia facti</hi> heutiges Tages gantz aus der Mode<lb/>„komme. Er glaubt, wenn die Laſter, ſo dieſe Art<lb/>„der Schande wuͤrcken, nur beſſer geſtraft wuͤrden,<lb/>„ſo wuͤrden viele erſt gezwungen, hernach freywillig<lb/>„ihre Sitten aͤndern. 2) Daß die <hirendition="#aq">Infamia Juris</hi> zu<lb/>„weit gehe, und die Beſſerung unmoͤglich mache.<lb/>„(<hirendition="#aq">poſit.</hi> 10.) Jſt indeſſen die Lehre <hirendition="#aq">de Infamia</hi> man-<lb/>„gelhaft, ſo erſetzet die <hirendition="#aq">Jurisprudentia criminalis</hi><lb/>„dieſen Mangel uͤberfluͤßig. Die gehet gantz und gar<lb/>„dahin, daß die Menſchen durch die Furcht der<lb/>„Strafe vom ewigen Verderben zuruͤck gehalten<lb/>„werden moͤgen. Die Sache braucht keines Bewei-<lb/>„ſes: Denn ein jeder weiß, daß von Jugend auf die<lb/>„Liebe zur Tugend durch die Furcht der Strafe in<lb/>„ihm erreget worden, und daß er dieſer Furcht, wo-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">durch</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[878/0970]
(o)
„Geſetze kraͤftig genug ſeyn moͤgten, allen Laſtern zu
„ſteuren. Er meynt, wenn dieſes waͤre, ſo ſolten
„gewiß mehr Leute, als ietzo, auch wider ihren Wil-
„len (inviti quaſi,) in dieſer und jener Welt gluͤcklich
„ſeyn. Er geſtehet, daß das Amt der Rechtsgelehrten
„eigentlich nur ſey, dasjenige zu ſtrafen, wodurch
„die menſchliche Geſellſchaft ofenbahr beunruhiget,
„und die Ehre GOttes verletzet wird: Doch, meynt
„er, wenn ſie dieſes thaͤten, ſo machten ſie doch, daß
„viele aus Furcht der Strafe als gute Buͤrger lebten,
„und indem ſie bey der Gelegenheit (occaſionaliter)
„eine Liebe zur Tugend bekaͤmen, gleichſam bey der
„Hand zum Himmel geleitet wuͤrden. (poſit. 9.) Bey
„dieſer Gelegenheit beklagt der Herr Verfaſſer, daß
„die Materie de Infamia noch nicht recht ausgebeſ-
„ſert ſey. Jhm mißfaͤllt daran zweyerley: 1) Daß die
„Infamia facti heutiges Tages gantz aus der Mode
„komme. Er glaubt, wenn die Laſter, ſo dieſe Art
„der Schande wuͤrcken, nur beſſer geſtraft wuͤrden,
„ſo wuͤrden viele erſt gezwungen, hernach freywillig
„ihre Sitten aͤndern. 2) Daß die Infamia Juris zu
„weit gehe, und die Beſſerung unmoͤglich mache.
„(poſit. 10.) Jſt indeſſen die Lehre de Infamia man-
„gelhaft, ſo erſetzet die Jurisprudentia criminalis
„dieſen Mangel uͤberfluͤßig. Die gehet gantz und gar
„dahin, daß die Menſchen durch die Furcht der
„Strafe vom ewigen Verderben zuruͤck gehalten
„werden moͤgen. Die Sache braucht keines Bewei-
„ſes: Denn ein jeder weiß, daß von Jugend auf die
„Liebe zur Tugend durch die Furcht der Strafe in
„ihm erreget worden, und daß er dieſer Furcht, wo-
durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 878. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/970>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.