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List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838.

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Ortsveränderung auch auf den Ackerbauer sich erstrecke, erhellt daraus, daß ein junger Feldarbeiter, der aus Deutschland in die nordamerikanischen Freistaaten einwandert, nach Verlauf einiger Zeit noch einmal soviel zu Stande bringt, als früher in seiner Heimath. Einiges davon ist freilich Ursachen zuzuschreiben, deren Entwickelung uns zu weit von unserem Ziele abführen dürfte. Aber das Meiste kommt bestimmt auf Rechnung des Beispiels, der Gewohnheit, der Nacheiferung, der bessern Methoden und Werkzeuge. Mit dieser Ansicht im Einklange steht eine Erfahrung, die man erst vor Kurzem bei dem Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gemacht hat. Dort wurde nämlich beobachtet, daß die sächsischen Arbeiter durch das Beispiel von Arbeitern aus dem benachbarten Preußen, die in Folge der Chausseebauten in ihrer Heimath eine besondere Fertigkeit in Erdarbeiten erlangt hatten, in kurzer Zeit sehr bedeutend an Arbeitsgeschick und Thätigkeit gewannen.

Durch den Eisenbahntransport, wie dies ganz klar aus den Wirkungen des Dampfboottransports in England und Nordamerika sich abnehmen läßt, kommt rasche Bewegung und neues Leben in die stillstehende und träge Masse. Es ist dem Arbeiter nun ebenso gut wie den mittleren und höheren Ständen möglich, zu seiner Bildung oder zu Verbesserung seiner Lage zu reisen. Bessere Handgriffe und Methoden werden dadurch allgemein. Das Beispiel größerer Anstrengung, höheren Verdienstes und größerer Genüsse reizt zur Nacheiferung, und Mehrleistung wird zur Gewohnheit. Erscheinungen, wie z. B. die des Hollandgehens in Westphalen, des Ernte-Laufens der Weingärtner am Fuß der Schwäbischen Alp nach der Donau u. s. w., werden nun allgemein. Seit man auf den Dampfbooten für einen Schilling von Irland nach England fährt, kommen die Irländer zu Hunderttausenden nach dem letzteren Lande, um zur Heu- und Erntezeit oder in den Minen und Fabriken oder bei neuen Bauten Handlangerdienste zu verrichten. Der Taglöhner, der kleine Bauer und Handwerker in den Dörfern und in den Landstädten, dem es oft Wochen lang an Arbeit fehlt, wird seine Zeit nicht mehr im Müßiggange verbringen, sondern sich nach entfernten Städten oder Gegenden begeben, wo für den Augenblick eine außergewöhnliche Zahl von Arbeitern gesucht wird; und die Lage einer großen Zahl von Gewerbsleuten und Arbeitern wird dadurch bedeutend verbessert werden, daß sie sich mit ihren Familien auf dem Lande ansiedeln und für die Stadt arbeiten oder die Woche über in die Stadt auf Arbeit gehen und den Sonntag im Kreise ihrer Familien zubringen. Ein momentaner Stillstand einzelner Fabriken oder ganzer Fabrikationszweige oder eine Reduction der Zahl ihrer Arbeiter wird bei weitem nicht so verderblich auf diesen Stand wirken, wie bisher, da der Arbeitslose nun viel leichter in entfernten Gegenden einen neuen Brodherrn aufsuchen kann.

Wäre die National-Ökonomie, die uns lehrt, wie die Reichthümer erworben, vertheilt und consumirt werden, eine Wissenschaft, die uns auch unterrichtete, wie die productiven Kräfte erzeugt, aus dem Todesschlafe

Ortsveränderung auch auf den Ackerbauer sich erstrecke, erhellt daraus, daß ein junger Feldarbeiter, der aus Deutschland in die nordamerikanischen Freistaaten einwandert, nach Verlauf einiger Zeit noch einmal soviel zu Stande bringt, als früher in seiner Heimath. Einiges davon ist freilich Ursachen zuzuschreiben, deren Entwickelung uns zu weit von unserem Ziele abführen dürfte. Aber das Meiste kommt bestimmt auf Rechnung des Beispiels, der Gewohnheit, der Nacheiferung, der bessern Methoden und Werkzeuge. Mit dieser Ansicht im Einklange steht eine Erfahrung, die man erst vor Kurzem bei dem Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gemacht hat. Dort wurde nämlich beobachtet, daß die sächsischen Arbeiter durch das Beispiel von Arbeitern aus dem benachbarten Preußen, die in Folge der Chausseebauten in ihrer Heimath eine besondere Fertigkeit in Erdarbeiten erlangt hatten, in kurzer Zeit sehr bedeutend an Arbeitsgeschick und Thätigkeit gewannen.

Durch den Eisenbahntransport, wie dies ganz klar aus den Wirkungen des Dampfboottransports in England und Nordamerika sich abnehmen läßt, kommt rasche Bewegung und neues Leben in die stillstehende und träge Masse. Es ist dem Arbeiter nun ebenso gut wie den mittleren und höheren Ständen möglich, zu seiner Bildung oder zu Verbesserung seiner Lage zu reisen. Bessere Handgriffe und Methoden werden dadurch allgemein. Das Beispiel größerer Anstrengung, höheren Verdienstes und größerer Genüsse reizt zur Nacheiferung, und Mehrleistung wird zur Gewohnheit. Erscheinungen, wie z. B. die des Hollandgehens in Westphalen, des Ernte-Laufens der Weingärtner am Fuß der Schwäbischen Alp nach der Donau u. s. w., werden nun allgemein. Seit man auf den Dampfbooten für einen Schilling von Irland nach England fährt, kommen die Irländer zu Hunderttausenden nach dem letzteren Lande, um zur Heu- und Erntezeit oder in den Minen und Fabriken oder bei neuen Bauten Handlangerdienste zu verrichten. Der Taglöhner, der kleine Bauer und Handwerker in den Dörfern und in den Landstädten, dem es oft Wochen lang an Arbeit fehlt, wird seine Zeit nicht mehr im Müßiggange verbringen, sondern sich nach entfernten Städten oder Gegenden begeben, wo für den Augenblick eine außergewöhnliche Zahl von Arbeitern gesucht wird; und die Lage einer großen Zahl von Gewerbsleuten und Arbeitern wird dadurch bedeutend verbessert werden, daß sie sich mit ihren Familien auf dem Lande ansiedeln und für die Stadt arbeiten oder die Woche über in die Stadt auf Arbeit gehen und den Sonntag im Kreise ihrer Familien zubringen. Ein momentaner Stillstand einzelner Fabriken oder ganzer Fabrikationszweige oder eine Reduction der Zahl ihrer Arbeiter wird bei weitem nicht so verderblich auf diesen Stand wirken, wie bisher, da der Arbeitslose nun viel leichter in entfernten Gegenden einen neuen Brodherrn aufsuchen kann.

Wäre die National-Ökonomie, die uns lehrt, wie die Reichthümer erworben, vertheilt und consumirt werden, eine Wissenschaft, die uns auch unterrichtete, wie die productiven Kräfte erzeugt, aus dem Todesschlafe

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Ortsveränderung auch auf den Ackerbauer sich erstrecke, erhellt daraus, daß ein junger Feldarbeiter, der aus Deutschland in die nordamerikanischen Freistaaten einwandert, nach Verlauf einiger Zeit noch einmal soviel zu Stande bringt, als früher in seiner Heimath. Einiges davon ist freilich Ursachen zuzuschreiben, deren Entwickelung uns zu weit von unserem Ziele abführen dürfte. Aber das Meiste kommt bestimmt auf Rechnung des Beispiels, der Gewohnheit, der Nacheiferung, der bessern Methoden und Werkzeuge. Mit dieser Ansicht im Einklange steht eine Erfahrung, die man erst vor Kurzem bei dem Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gemacht hat. Dort wurde nämlich beobachtet, daß die sächsischen Arbeiter durch das Beispiel von Arbeitern aus dem benachbarten Preußen, die in Folge der Chausseebauten in ihrer Heimath eine besondere Fertigkeit in Erdarbeiten erlangt hatten, in kurzer Zeit sehr bedeutend an Arbeitsgeschick und Thätigkeit gewannen.</p>
        <p>Durch den Eisenbahntransport, wie dies ganz klar aus den Wirkungen des Dampfboottransports in England und Nordamerika sich abnehmen läßt, kommt rasche Bewegung und neues Leben in die stillstehende und träge Masse. Es ist dem Arbeiter nun ebenso gut wie den mittleren und höheren Ständen möglich, zu seiner Bildung oder zu Verbesserung seiner Lage zu reisen. Bessere Handgriffe und Methoden werden dadurch allgemein. Das Beispiel größerer Anstrengung, höheren Verdienstes und größerer Genüsse reizt zur Nacheiferung, und Mehrleistung wird zur Gewohnheit. Erscheinungen, wie z. B. die des Hollandgehens in Westphalen, des Ernte-Laufens der Weingärtner am Fuß der Schwäbischen Alp nach der Donau u. s. w., werden nun allgemein. Seit man auf den Dampfbooten für einen Schilling von Irland nach England fährt, kommen die Irländer zu Hunderttausenden nach dem letzteren Lande, um zur Heu- und Erntezeit oder in den Minen und Fabriken oder bei neuen Bauten Handlangerdienste zu verrichten. Der Taglöhner, der kleine Bauer und Handwerker in den Dörfern und in den Landstädten, dem es oft Wochen lang an Arbeit fehlt, wird seine Zeit nicht mehr im Müßiggange verbringen, sondern sich nach entfernten Städten oder Gegenden begeben, wo für den Augenblick eine außergewöhnliche Zahl von Arbeitern gesucht wird; und die Lage einer großen Zahl von Gewerbsleuten und Arbeitern wird dadurch bedeutend verbessert werden, daß sie sich mit ihren Familien auf dem Lande ansiedeln und für die Stadt arbeiten oder die Woche über in die Stadt auf Arbeit gehen und den Sonntag im Kreise ihrer Familien zubringen. Ein momentaner Stillstand einzelner Fabriken oder ganzer Fabrikationszweige oder eine Reduction der Zahl ihrer Arbeiter wird bei weitem nicht so verderblich auf diesen Stand wirken, wie bisher, da der Arbeitslose nun viel leichter in entfernten Gegenden einen neuen Brodherrn aufsuchen kann.</p>
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[9/0010] Ortsveränderung auch auf den Ackerbauer sich erstrecke, erhellt daraus, daß ein junger Feldarbeiter, der aus Deutschland in die nordamerikanischen Freistaaten einwandert, nach Verlauf einiger Zeit noch einmal soviel zu Stande bringt, als früher in seiner Heimath. Einiges davon ist freilich Ursachen zuzuschreiben, deren Entwickelung uns zu weit von unserem Ziele abführen dürfte. Aber das Meiste kommt bestimmt auf Rechnung des Beispiels, der Gewohnheit, der Nacheiferung, der bessern Methoden und Werkzeuge. Mit dieser Ansicht im Einklange steht eine Erfahrung, die man erst vor Kurzem bei dem Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn gemacht hat. Dort wurde nämlich beobachtet, daß die sächsischen Arbeiter durch das Beispiel von Arbeitern aus dem benachbarten Preußen, die in Folge der Chausseebauten in ihrer Heimath eine besondere Fertigkeit in Erdarbeiten erlangt hatten, in kurzer Zeit sehr bedeutend an Arbeitsgeschick und Thätigkeit gewannen. Durch den Eisenbahntransport, wie dies ganz klar aus den Wirkungen des Dampfboottransports in England und Nordamerika sich abnehmen läßt, kommt rasche Bewegung und neues Leben in die stillstehende und träge Masse. Es ist dem Arbeiter nun ebenso gut wie den mittleren und höheren Ständen möglich, zu seiner Bildung oder zu Verbesserung seiner Lage zu reisen. Bessere Handgriffe und Methoden werden dadurch allgemein. Das Beispiel größerer Anstrengung, höheren Verdienstes und größerer Genüsse reizt zur Nacheiferung, und Mehrleistung wird zur Gewohnheit. Erscheinungen, wie z. B. die des Hollandgehens in Westphalen, des Ernte-Laufens der Weingärtner am Fuß der Schwäbischen Alp nach der Donau u. s. w., werden nun allgemein. Seit man auf den Dampfbooten für einen Schilling von Irland nach England fährt, kommen die Irländer zu Hunderttausenden nach dem letzteren Lande, um zur Heu- und Erntezeit oder in den Minen und Fabriken oder bei neuen Bauten Handlangerdienste zu verrichten. Der Taglöhner, der kleine Bauer und Handwerker in den Dörfern und in den Landstädten, dem es oft Wochen lang an Arbeit fehlt, wird seine Zeit nicht mehr im Müßiggange verbringen, sondern sich nach entfernten Städten oder Gegenden begeben, wo für den Augenblick eine außergewöhnliche Zahl von Arbeitern gesucht wird; und die Lage einer großen Zahl von Gewerbsleuten und Arbeitern wird dadurch bedeutend verbessert werden, daß sie sich mit ihren Familien auf dem Lande ansiedeln und für die Stadt arbeiten oder die Woche über in die Stadt auf Arbeit gehen und den Sonntag im Kreise ihrer Familien zubringen. Ein momentaner Stillstand einzelner Fabriken oder ganzer Fabrikationszweige oder eine Reduction der Zahl ihrer Arbeiter wird bei weitem nicht so verderblich auf diesen Stand wirken, wie bisher, da der Arbeitslose nun viel leichter in entfernten Gegenden einen neuen Brodherrn aufsuchen kann. Wäre die National-Ökonomie, die uns lehrt, wie die Reichthümer erworben, vertheilt und consumirt werden, eine Wissenschaft, die uns auch unterrichtete, wie die productiven Kräfte erzeugt, aus dem Todesschlafe

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Zitationshilfe: List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/list_transportsystem_1838/10>, abgerufen am 21.11.2024.