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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Notwehr. §. 23.
gegenüber dem in rechtmäßiger Amtsausübung be-
findlichen Beamten, gegenüber der Handhabung eines
Disziplinarrechtes usw.; nicht möglich gegenüber der
Notwehrhandlung selbst oder der Notstandshandlung
(vgl. unten §. 24 III). Wohl aber wird sie in dem
Augenblicke berechtigt, in welchem eine Ueberschreitung
den an sich rechtmäßigen Angriff zu einem rechts-
widrigen macht, also auch gegenüber einem Excesse der
Notwehr. Auch gegen den von einem Tiere oder
oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff
ist Notwehr möglich;2 denn dieser Angriff kann zwar
kein deliktischer (schuldhafte Rechtswidrigkeit) wohl
aber ein nicht berechtigter (objektive Rechtswidrigkeit)
sein. Die entgegengesetzte Ansicht würde die Vertei-
digung in einem solchen Falle auf gegen Leib und
Leben (StGB. §. 54) gerichtete Angriffe einschränken
müssen.
Ob der Angriff ein vorhergesehener war oder
nicht, ob er von dem Angegriffenen verschuldet
worden oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte irre-
levant.3
b) Der Angriff muß ferner ein gegenwärtiger sein,
d. h. unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen
haben. Es braucht daher einerseits der Beginn des An-
griffes nicht abgewartet zu werden, während andrerseits
auch der bereits begonnene aber noch fortgesetzte
2 [Spaltenumbruch] Anders die herrschende An-
sicht, die, das Wort "rechts-
widrig" unrichtig auslegend, in
einem solchen Falle Notstand[Spaltenumbruch] annimmt. Lit. bei Binding
Grundriß S. 155.
3 [Spaltenumbruch] Interessante Kasuistik bei
Binding Normen II S. 201 ff.
Die Notwehr. §. 23.
gegenüber dem in rechtmäßiger Amtsausübung be-
findlichen Beamten, gegenüber der Handhabung eines
Disziplinarrechtes uſw.; nicht möglich gegenüber der
Notwehrhandlung ſelbſt oder der Notſtandshandlung
(vgl. unten §. 24 III). Wohl aber wird ſie in dem
Augenblicke berechtigt, in welchem eine Ueberſchreitung
den an ſich rechtmäßigen Angriff zu einem rechts-
widrigen macht, alſo auch gegenüber einem Exceſſe der
Notwehr. Auch gegen den von einem Tiere oder
oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff
iſt Notwehr möglich;2 denn dieſer Angriff kann zwar
kein deliktiſcher (ſchuldhafte Rechtswidrigkeit) wohl
aber ein nicht berechtigter (objektive Rechtswidrigkeit)
ſein. Die entgegengeſetzte Anſicht würde die Vertei-
digung in einem ſolchen Falle auf gegen Leib und
Leben (StGB. §. 54) gerichtete Angriffe einſchränken
müſſen.
Ob der Angriff ein vorhergeſehener war oder
nicht, ob er von dem Angegriffenen verſchuldet
worden oder nicht, iſt nach dem heutigen Rechte irre-
levant.3
b) Der Angriff muß ferner ein gegenwärtiger ſein,
d. h. unmittelbar bevorſtehen oder bereits begonnen
haben. Es braucht daher einerſeits der Beginn des An-
griffes nicht abgewartet zu werden, während andrerſeits
auch der bereits begonnene aber noch fortgeſetzte
2 [Spaltenumbruch] Anders die herrſchende An-
ſicht, die, das Wort „rechts-
widrig“ unrichtig auslegend, in
einem ſolchen Falle Notſtand[Spaltenumbruch] annimmt. Lit. bei Binding
Grundriß S. 155.
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[89/0115] Die Notwehr. §. 23. gegenüber dem in rechtmäßiger Amtsausübung be- findlichen Beamten, gegenüber der Handhabung eines Disziplinarrechtes uſw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung ſelbſt oder der Notſtandshandlung (vgl. unten §. 24 III). Wohl aber wird ſie in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Ueberſchreitung den an ſich rechtmäßigen Angriff zu einem rechts- widrigen macht, alſo auch gegenüber einem Exceſſe der Notwehr. Auch gegen den von einem Tiere oder oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff iſt Notwehr möglich; 2 denn dieſer Angriff kann zwar kein deliktiſcher (ſchuldhafte Rechtswidrigkeit) wohl aber ein nicht berechtigter (objektive Rechtswidrigkeit) ſein. Die entgegengeſetzte Anſicht würde die Vertei- digung in einem ſolchen Falle auf gegen Leib und Leben (StGB. §. 54) gerichtete Angriffe einſchränken müſſen. Ob der Angriff ein vorhergeſehener war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen verſchuldet worden oder nicht, iſt nach dem heutigen Rechte irre- levant. 3 b) Der Angriff muß ferner ein gegenwärtiger ſein, d. h. unmittelbar bevorſtehen oder bereits begonnen haben. Es braucht daher einerſeits der Beginn des An- griffes nicht abgewartet zu werden, während andrerſeits auch der bereits begonnene aber noch fortgeſetzte 2 Anders die herrſchende An- ſicht, die, das Wort „rechts- widrig“ unrichtig auslegend, in einem ſolchen Falle Notſtand annimmt. Lit. bei Binding Grundriß S. 155. 3 Intereſſante Kaſuiſtik bei Binding Normen II S. 201 ff.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/115>, abgerufen am 24.11.2024.