Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Antrag des Verletzten insbesondere. §. 31.
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab-
hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III)
mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte
dieses auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden usw.

2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle
liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not-
zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war.
Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom
Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Ver-
letzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Ver-
handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die
erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff ge-
genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe
auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, so lange
der Verletzte nicht durch die Stellung des "Antrages" er-
klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse
im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Be-
dingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung
der prozessualen Geltendmachung des staatlichen Strafan-
spruches; sein Mangel nicht Strafausschließungsgrund, son-
dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30
III 3 besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen
Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, sondern in
das Strafprozeßrecht gehören. Die verschiedene prinzipielle
Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be-
sprochenen Konsequenzen in weitaus den meisten Punkten zu
ganz anderen Resultaten führen.

Der Gegensatz kann hier nicht weiter verfolgt werden,
da er im positiven Recht keine Anerkennung gefunden hat.
Eben darum ist aber auch die systematische Stellung, die in
dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenso

Der Antrag des Verletzten insbeſondere. §. 31.
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab-
hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III)
mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte
dieſes auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden uſw.

2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle
liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not-
zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war.
Hier iſt das Intereſſe des Staates an der Verfolgung vom
Anfange an gegeben; aber ihm ſteht das Intereſſe des Ver-
letzten an der Nichtverfolgung (da die Unterſuchung und Ver-
handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die
erſte an Schwere übertreffende Verletzung wäre) ſchroff ge-
genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe
auf die Geltendmachung ſeines Strafanſpruches, ſo lange
der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages“ er-
klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgeſetzte Intereſſe
im Einzelfalle nicht vorliege. Hier iſt der Antrag nicht Be-
dingung der Strafbarkeit der That, ſondern Vorausſetzung
der prozeſſualen Geltendmachung des ſtaatlichen Strafan-
ſpruches; ſein Mangel nicht Strafausſchließungsgrund, ſon-
dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30
III 3 beſprochenen Sinne; und die ganze Lehre von dieſen
Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, ſondern in
das Strafprozeßrecht gehören. Die verſchiedene prinzipielle
Auffaſſung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be-
ſprochenen Konſequenzen in weitaus den meiſten Punkten zu
ganz anderen Reſultaten führen.

Der Gegenſatz kann hier nicht weiter verfolgt werden,
da er im poſitiven Recht keine Anerkennung gefunden hat.
Eben darum iſt aber auch die ſyſtematiſche Stellung, die in
dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0153" n="127"/><fw place="top" type="header">Der Antrag des Verletzten insbe&#x017F;ondere. §. 31.</fw><lb/>
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab-<lb/>
hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 <hi rendition="#aq">III</hi>)<lb/>
mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte<lb/>
die&#x017F;es auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden u&#x017F;w.</p><lb/>
              <p>2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle<lb/>
liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not-<lb/>
zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war.<lb/>
Hier i&#x017F;t das Intere&#x017F;&#x017F;e des Staates an der Verfolgung vom<lb/>
Anfange an gegeben; aber ihm &#x017F;teht das Intere&#x017F;&#x017F;e des Ver-<lb/>
letzten an der Nichtverfolgung (da die Unter&#x017F;uchung und Ver-<lb/>
handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die<lb/>
er&#x017F;te an Schwere übertreffende Verletzung wäre) &#x017F;chroff ge-<lb/>
genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe<lb/>
auf die Geltendmachung &#x017F;eines Strafan&#x017F;pruches, &#x017F;o lange<lb/>
der Verletzte nicht durch die Stellung des &#x201E;Antrages&#x201C; er-<lb/>
klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausge&#x017F;etzte Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
im Einzelfalle nicht vorliege. Hier i&#x017F;t der Antrag nicht Be-<lb/>
dingung der Strafbarkeit der That, &#x017F;ondern Voraus&#x017F;etzung<lb/>
der proze&#x017F;&#x017F;ualen Geltendmachung des &#x017F;taatlichen Strafan-<lb/>
&#x017F;pruches; &#x017F;ein Mangel nicht Strafaus&#x017F;chließungsgrund, &#x017F;on-<lb/>
dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30<lb/><hi rendition="#aq">III</hi> 3 be&#x017F;prochenen Sinne; und die ganze Lehre von die&#x017F;en<lb/>
Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, &#x017F;ondern in<lb/>
das Strafprozeßrecht gehören. Die ver&#x017F;chiedene prinzipielle<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be-<lb/>
&#x017F;prochenen Kon&#x017F;equenzen in weitaus den mei&#x017F;ten Punkten zu<lb/>
ganz anderen Re&#x017F;ultaten führen.</p><lb/>
              <p>Der Gegen&#x017F;atz kann hier nicht weiter verfolgt werden,<lb/>
da er im po&#x017F;itiven Recht keine Anerkennung gefunden hat.<lb/>
Eben darum i&#x017F;t aber auch die &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Stellung, die in<lb/>
dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (eben&#x017F;o<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0153] Der Antrag des Verletzten insbeſondere. §. 31. tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab- hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III) mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieſes auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden uſw. 2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not- zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war. Hier iſt das Intereſſe des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm ſteht das Intereſſe des Ver- letzten an der Nichtverfolgung (da die Unterſuchung und Ver- handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die erſte an Schwere übertreffende Verletzung wäre) ſchroff ge- genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe auf die Geltendmachung ſeines Strafanſpruches, ſo lange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages“ er- klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgeſetzte Intereſſe im Einzelfalle nicht vorliege. Hier iſt der Antrag nicht Be- dingung der Strafbarkeit der That, ſondern Vorausſetzung der prozeſſualen Geltendmachung des ſtaatlichen Strafan- ſpruches; ſein Mangel nicht Strafausſchließungsgrund, ſon- dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30 III 3 beſprochenen Sinne; und die ganze Lehre von dieſen Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, ſondern in das Strafprozeßrecht gehören. Die verſchiedene prinzipielle Auffaſſung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be- ſprochenen Konſequenzen in weitaus den meiſten Punkten zu ganz anderen Reſultaten führen. Der Gegenſatz kann hier nicht weiter verfolgt werden, da er im poſitiven Recht keine Anerkennung gefunden hat. Eben darum iſt aber auch die ſyſtematiſche Stellung, die in dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/153
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/153>, abgerufen am 21.11.2024.