Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Delikte gegen die Sittlichkeit. §. 91.
stimmten, die Vornahme oder Duldung geschlechtlicher Akte
umfassenden, Richtung. Wohl aber haben der Staat, der
Einzelne, das Publikum ein indirektes, mittelbares Interesse
daran, daß die Ausübung des Geschlechtstriebes in geregelter
Weise, innerhalb gewisser Schranken erfolgt und so wird
auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer selbst sondern um an-
derer Interessen willen, nicht als selbständiges Rechtsgut
sondern anderen Rechtsgütern zu Liebe unter Strafschutz ge-
stellt. Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf-
rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus-
schreitungen, die das Gesetz als solche bezeichnet hat. Diese
strafbaren Ausschreitungen sind:

I. Der Incest oder die Blutschande (StGB. §. 173),
d. i. der Beischlaf (Begriff oben S. 370):

1. zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie;2
2. zwischen Verschwägerten, auf- und absteigender
Linie (mag auch die das Schwägerschaftsverhältnis be-
gründende Ehe gelöst sein);3
3. zwischen Geschwistern.

Strafe:

zu 1. Zuchthaus bis zu 5 Jahren gegen die Ascen-
denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des-
cendenten;
zu 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren.

In allen Fällen Ehrverlust fakultativ. Verwandte ab-
steigender Linie bleiben straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr
nicht vollendet haben (subjektiver Strafausschließungsgrund
in dem oben §. 30 III 3 erörterten Sinne).

2 [Spaltenumbruch] Ehelichkeit der Verwandt-
schaft nicht erforderlich: RGR.
21. 9. 80, R II 223.
3 [Spaltenumbruch] RGR. 7. April 1880, R I
548.

V. Delikte gegen die Sittlichkeit. §. 91.
ſtimmten, die Vornahme oder Duldung geſchlechtlicher Akte
umfaſſenden, Richtung. Wohl aber haben der Staat, der
Einzelne, das Publikum ein indirektes, mittelbares Intereſſe
daran, daß die Ausübung des Geſchlechtstriebes in geregelter
Weiſe, innerhalb gewiſſer Schranken erfolgt und ſo wird
auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer ſelbſt ſondern um an-
derer Intereſſen willen, nicht als ſelbſtändiges Rechtsgut
ſondern anderen Rechtsgütern zu Liebe unter Strafſchutz ge-
ſtellt. Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf-
rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus-
ſchreitungen, die das Geſetz als ſolche bezeichnet hat. Dieſe
ſtrafbaren Ausſchreitungen ſind:

I. Der Inceſt oder die Blutſchande (StGB. §. 173),
d. i. der Beiſchlaf (Begriff oben S. 370):

1. zwiſchen Verwandten auf- und abſteigender Linie;2
2. zwiſchen Verſchwägerten, auf- und abſteigender
Linie (mag auch die das Schwägerſchaftsverhältnis be-
gründende Ehe gelöſt ſein);3
3. zwiſchen Geſchwiſtern.

Strafe:

zu 1. Zuchthaus bis zu 5 Jahren gegen die Ascen-
denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des-
cendenten;
zu 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren.

In allen Fällen Ehrverluſt fakultativ. Verwandte ab-
ſteigender Linie bleiben ſtraflos, wenn ſie das 18. Lebensjahr
nicht vollendet haben (ſubjektiver Strafausſchließungsgrund
in dem oben §. 30 III 3 erörterten Sinne).

2 [Spaltenumbruch] Ehelichkeit der Verwandt-
ſchaft nicht erforderlich: RGR.
21. 9. 80, R II 223.
3 [Spaltenumbruch] RGR. 7. April 1880, R I
548.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0397" n="371"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Delikte gegen die Sittlichkeit. §. 91.</fw><lb/>
&#x017F;timmten, die Vornahme oder Duldung ge&#x017F;chlechtlicher Akte<lb/>
umfa&#x017F;&#x017F;enden, Richtung. Wohl aber haben der Staat, der<lb/>
Einzelne, das Publikum ein indirektes, mittelbares Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
daran, daß die Ausübung des Ge&#x017F;chlechtstriebes in geregelter<lb/>
Wei&#x017F;e, innerhalb gewi&#x017F;&#x017F;er Schranken erfolgt und &#x017F;o wird<lb/>
auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ondern um an-<lb/>
derer Intere&#x017F;&#x017F;en willen, nicht als &#x017F;elb&#x017F;tändiges Rechtsgut<lb/>
&#x017F;ondern anderen Rechtsgütern zu Liebe unter Straf&#x017F;chutz ge-<lb/>
&#x017F;tellt. Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf-<lb/>
rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus-<lb/>
&#x017F;chreitungen, die das Ge&#x017F;etz als &#x017F;olche bezeichnet hat. Die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;trafbaren Aus&#x017F;chreitungen &#x017F;ind:</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Der <hi rendition="#g">Ince&#x017F;t oder die Blut&#x017F;chande</hi> (StGB. §. 173),<lb/>
d. i. der <hi rendition="#g">Bei&#x017F;chlaf</hi> (Begriff oben S. 370):</p><lb/>
              <list>
                <item>1. zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Verwandten</hi> auf- und ab&#x017F;teigender Linie;<note place="foot" n="2"><cb/>
Ehelichkeit der Verwandt-<lb/>
&#x017F;chaft nicht erforderlich: RGR.<lb/>
21. 9. 80, <hi rendition="#aq">R II</hi> 223.</note></item><lb/>
                <item>2. zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Ver&#x017F;chwägerten</hi>, auf- und ab&#x017F;teigender<lb/>
Linie (mag auch die das Schwäger&#x017F;chaftsverhältnis be-<lb/>
gründende Ehe gelö&#x017F;t &#x017F;ein);<note place="foot" n="3"><cb/>
RGR. 7. April 1880, <hi rendition="#aq">R I</hi><lb/>
548.</note></item><lb/>
                <item>3. zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chwi&#x017F;tern</hi>.</item>
              </list><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Strafe</hi>:</p><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#g">zu</hi> 1. Zuchthaus bis zu 5 Jahren gegen die Ascen-<lb/>
denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des-<lb/>
cendenten;</item><lb/>
                <item><hi rendition="#g">zu</hi> 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren.</item>
              </list><lb/>
              <p>In allen Fällen Ehrverlu&#x017F;t fakultativ. Verwandte ab-<lb/>
&#x017F;teigender Linie bleiben &#x017F;traflos, wenn &#x017F;ie das 18. Lebensjahr<lb/>
nicht vollendet haben (&#x017F;ubjektiver Strafaus&#x017F;chließungsgrund<lb/>
in dem oben §. 30 <hi rendition="#aq">III</hi> 3 erörterten Sinne).</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0397] V. Delikte gegen die Sittlichkeit. §. 91. ſtimmten, die Vornahme oder Duldung geſchlechtlicher Akte umfaſſenden, Richtung. Wohl aber haben der Staat, der Einzelne, das Publikum ein indirektes, mittelbares Intereſſe daran, daß die Ausübung des Geſchlechtstriebes in geregelter Weiſe, innerhalb gewiſſer Schranken erfolgt und ſo wird auch die Sittlichkeit, nicht um ihrer ſelbſt ſondern um an- derer Intereſſen willen, nicht als ſelbſtändiges Rechtsgut ſondern anderen Rechtsgütern zu Liebe unter Strafſchutz ge- ſtellt. Die Sittlichkeit, die im Sinne des modernen Straf- rechtes nicht mehr bedeutet, als die Vermeidung jener Aus- ſchreitungen, die das Geſetz als ſolche bezeichnet hat. Dieſe ſtrafbaren Ausſchreitungen ſind: I. Der Inceſt oder die Blutſchande (StGB. §. 173), d. i. der Beiſchlaf (Begriff oben S. 370): 1. zwiſchen Verwandten auf- und abſteigender Linie; 2 2. zwiſchen Verſchwägerten, auf- und abſteigender Linie (mag auch die das Schwägerſchaftsverhältnis be- gründende Ehe gelöſt ſein); 3 3. zwiſchen Geſchwiſtern. Strafe: zu 1. Zuchthaus bis zu 5 Jahren gegen die Ascen- denten; Gefängnis bis zu 2 Jahren gegen die Des- cendenten; zu 2. und 3. Gefängnis bis zu 2 Jahren. In allen Fällen Ehrverluſt fakultativ. Verwandte ab- ſteigender Linie bleiben ſtraflos, wenn ſie das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben (ſubjektiver Strafausſchließungsgrund in dem oben §. 30 III 3 erörterten Sinne). 2 Ehelichkeit der Verwandt- ſchaft nicht erforderlich: RGR. 21. 9. 80, R II 223. 3 RGR. 7. April 1880, R I 548.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/397
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/397>, abgerufen am 24.11.2024.