Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Die Strafrechtstheorien. §. 6. Rousseau, Fichte u. A. vertreten, leitet das staatlicheRecht zu strafen ab aus einem Vertragsverhältnisse. Durch den "Bürgervertrag" in seinen beiden Bestandteilen wird die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit bestimmt und gegenseitiger Schutz der Rechte zugesichert. Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch diesen ihm zugesicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürger- vertrage hinzutretenden "Abbüßungsvertrag" das Recht erlangt, durch Abbüßung einer Strafe sich des Lebens in der Gesellschaft wieder fähig zu machen. 2. Nach der Notwehr- oder Verteidigungs- 3. Die Vergütungs- oder Wiederherstellungs- Eine -- wenig gelungene -- Umarbeitung der Welcker- Die Strafrechtstheorien. §. 6. Rouſſeau, Fichte u. A. vertreten, leitet das ſtaatlicheRecht zu ſtrafen ab aus einem Vertragsverhältniſſe. Durch den „Bürgervertrag“ in ſeinen beiden Beſtandteilen wird die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit beſtimmt und gegenſeitiger Schutz der Rechte zugeſichert. Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch dieſen ihm zugeſicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinſchaft ausgeſchloſſen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürger- vertrage hinzutretenden „Abbüßungsvertrag“ das Recht erlangt, durch Abbüßung einer Strafe ſich des Lebens in der Geſellſchaft wieder fähig zu machen. 2. Nach der Notwehr- oder Verteidigungs- 3. Die Vergütungs- oder Wiederherſtellungs- Eine — wenig gelungene — Umarbeitung der Welcker- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0045" n="19"/><fw place="top" type="header">Die Strafrechtstheorien. §. 6.</fw><lb/><hi rendition="#g">Rouſſeau, Fichte</hi> u. A. vertreten, leitet das ſtaatliche<lb/> Recht zu ſtrafen ab aus einem Vertragsverhältniſſe. Durch<lb/> den <hi rendition="#g">„Bürgervertrag“</hi> in ſeinen beiden Beſtandteilen<lb/> wird die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit<lb/> beſtimmt und gegenſeitiger Schutz der Rechte zugeſichert.<lb/> Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch dieſen ihm<lb/> zugeſicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinſchaft<lb/> ausgeſchloſſen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürger-<lb/> vertrage hinzutretenden <hi rendition="#g">„Abbüßungsvertrag“</hi> das Recht<lb/> erlangt, durch Abbüßung einer Strafe ſich des Lebens in der<lb/> Geſellſchaft wieder fähig zu machen.</p><lb/> <p>2. Nach der <hi rendition="#g">Notwehr- oder Verteidigungs-<lb/> theorie</hi>, als deren Anhänger <hi rendition="#g">Schulze</hi> (1813), <hi rendition="#g">Martin</hi>,<lb/> ſowie eine Reihe von franzöſiſchen und italieniſchen Schrift-<lb/> ſtellern zu nennen ſind, leitet der Staat ſein Strafrecht ab<lb/> aus der durch jedes Verbrechen erzeugten fortwirkenden <hi rendition="#g">Ge-<lb/> fährdung</hi> ſeiner Rechtsordnung, und dem durch dieſen<lb/> Zuſtand begründeten Notrechte, das Fortbeſtehen des Staates<lb/> gegen jene Gefahr zu ſichern.</p><lb/> <p>3. Die <hi rendition="#g">Vergütungs- oder Wiederherſtellungs-<lb/> theorie Welcker’s</hi> (1790—1869) ſieht den Zweck der<lb/> Strafe in der <hi rendition="#g">Wiederaufhebung des</hi> durch das Ver-<lb/> brechen verurſachten <hi rendition="#g">intellektuellen Schadens</hi> (ſo, wie<lb/> der civile Erſatz die Beſeitigung des bewirkten <hi rendition="#g">materiellen</hi><lb/> Schadens bezweckt), und den Rechtsgrund derſelben einerſeits<lb/> in der Verpflichtung jedes Rechtsgenoſſen die von ihm be-<lb/> wirkte Rechtsverletzung wieder gutzumachen, andrerſeits in dem<lb/> Rechte und der Pflicht der Staatsgewalt, die Bürger eventuell<lb/> zwangsweiſe zur Erfüllung dieſer Rechtspflicht anzuhalten.</p><lb/> <p>Eine — wenig gelungene — Umarbeitung der <hi rendition="#g">Welcker-</hi><lb/> ſchen Ausführungen iſt <hi rendition="#g">Hepp’s</hi> „Theorie der bürgerlichen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0045]
Die Strafrechtstheorien. §. 6.
Rouſſeau, Fichte u. A. vertreten, leitet das ſtaatliche
Recht zu ſtrafen ab aus einem Vertragsverhältniſſe. Durch
den „Bürgervertrag“ in ſeinen beiden Beſtandteilen
wird die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit
beſtimmt und gegenſeitiger Schutz der Rechte zugeſichert.
Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch dieſen ihm
zugeſicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinſchaft
ausgeſchloſſen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürger-
vertrage hinzutretenden „Abbüßungsvertrag“ das Recht
erlangt, durch Abbüßung einer Strafe ſich des Lebens in der
Geſellſchaft wieder fähig zu machen.
2. Nach der Notwehr- oder Verteidigungs-
theorie, als deren Anhänger Schulze (1813), Martin,
ſowie eine Reihe von franzöſiſchen und italieniſchen Schrift-
ſtellern zu nennen ſind, leitet der Staat ſein Strafrecht ab
aus der durch jedes Verbrechen erzeugten fortwirkenden Ge-
fährdung ſeiner Rechtsordnung, und dem durch dieſen
Zuſtand begründeten Notrechte, das Fortbeſtehen des Staates
gegen jene Gefahr zu ſichern.
3. Die Vergütungs- oder Wiederherſtellungs-
theorie Welcker’s (1790—1869) ſieht den Zweck der
Strafe in der Wiederaufhebung des durch das Ver-
brechen verurſachten intellektuellen Schadens (ſo, wie
der civile Erſatz die Beſeitigung des bewirkten materiellen
Schadens bezweckt), und den Rechtsgrund derſelben einerſeits
in der Verpflichtung jedes Rechtsgenoſſen die von ihm be-
wirkte Rechtsverletzung wieder gutzumachen, andrerſeits in dem
Rechte und der Pflicht der Staatsgewalt, die Bürger eventuell
zwangsweiſe zur Erfüllung dieſer Rechtspflicht anzuhalten.
Eine — wenig gelungene — Umarbeitung der Welcker-
ſchen Ausführungen iſt Hepp’s „Theorie der bürgerlichen
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