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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Delikte gegen das Reichsfinanzwesen. §. 113.
Zwecke der Ueberwachung und Einhebung getroffen sind (in
vielen Fällen nur mit Ordnungsstrafen belegt).

Wenn die in Frage stehende That sowohl unter einen
der eben erwähnten Deliktsbegriffe als auch unter einen der
im StGB. enthaltenen fällt, so gehen die Steuergesetze als
lex specialis nach der oben §. 40 II a gegebenen Regel in
der Anwendung vor. Paßt der Thatbestand dagegen nur
unter das StGB., nicht unter einen jener Deliktsbegriffe, so
ist eben das StGB. zur Anwendung zu bringen.1

III. Die Zoll- und Steuergesetze des Reichs bieten in
ihren strafrechtlichen Bestimmungen gar manche Eigentüm-
lichkeit. Hervortreten der rein fiskalischen Interessen; die Be-
tonung des Abschreckungsprinzipes und doch andererseits
wieder das Streben, zwischen Verbrechen und Strafe eine
wenn möglich ziffermäßig auszudrückende Gleichung aufzu-
stellen; der Anschluß an ältere gesetzgeberische Vorbilder und
die damit zusammenhängende Neigung, durch kasuistische Be-
stimmungen das freie richterliche Ermessen zu beschränken:
all' diese zusammenwirkenden Umstände machen die fraglichen
Gesetze zu einer Fundgrube interessanter strafrechtlicher Sonder-
bestimmungen. Näheres Eingehen auf dieselben ist hier nicht
möglich; doch sollen die wichtigsten Eigentümlichkeiten zur
Uebersicht zusammengestellt werden. Als Paradigma kann
das Vereinszollgesetz dienen.

1. Der Thatbestand, mit welchem die strafbare Handlung

1 [Spaltenumbruch] Die entgegengesetzte Ansicht
in RGR. 26. Juni 1880 R II
114, daß die auf Steuerhinter-
ziehung gerichteten Handlungen
nur dann nach dem StGB.
beurteilt werden dürfen, wenn[Spaltenumbruch] das betreffende Steuergesetz aus-
drücklich auf dieses verweist oder
überhaupt nicht erschöpfend die
Materie regeln will -- kann
nicht als richtig betrachtet werden.

Delikte gegen das Reichsfinanzweſen. §. 113.
Zwecke der Ueberwachung und Einhebung getroffen ſind (in
vielen Fällen nur mit Ordnungsſtrafen belegt).

Wenn die in Frage ſtehende That ſowohl unter einen
der eben erwähnten Deliktsbegriffe als auch unter einen der
im StGB. enthaltenen fällt, ſo gehen die Steuergeſetze als
lex specialis nach der oben §. 40 II a gegebenen Regel in
der Anwendung vor. Paßt der Thatbeſtand dagegen nur
unter das StGB., nicht unter einen jener Deliktsbegriffe, ſo
iſt eben das StGB. zur Anwendung zu bringen.1

III. Die Zoll- und Steuergeſetze des Reichs bieten in
ihren ſtrafrechtlichen Beſtimmungen gar manche Eigentüm-
lichkeit. Hervortreten der rein fiskaliſchen Intereſſen; die Be-
tonung des Abſchreckungsprinzipes und doch andererſeits
wieder das Streben, zwiſchen Verbrechen und Strafe eine
wenn möglich ziffermäßig auszudrückende Gleichung aufzu-
ſtellen; der Anſchluß an ältere geſetzgeberiſche Vorbilder und
die damit zuſammenhängende Neigung, durch kaſuiſtiſche Be-
ſtimmungen das freie richterliche Ermeſſen zu beſchränken:
all’ dieſe zuſammenwirkenden Umſtände machen die fraglichen
Geſetze zu einer Fundgrube intereſſanter ſtrafrechtlicher Sonder-
beſtimmungen. Näheres Eingehen auf dieſelben iſt hier nicht
möglich; doch ſollen die wichtigſten Eigentümlichkeiten zur
Ueberſicht zuſammengeſtellt werden. Als Paradigma kann
das Vereinszollgeſetz dienen.

1. Der Thatbeſtand, mit welchem die ſtrafbare Handlung

1 [Spaltenumbruch] Die entgegengeſetzte Anſicht
in RGR. 26. Juni 1880 R II
114, daß die auf Steuerhinter-
ziehung gerichteten Handlungen
nur dann nach dem StGB.
beurteilt werden dürfen, wenn[Spaltenumbruch] das betreffende Steuergeſetz aus-
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nicht als richtig betrachtet werden.
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[457/0483] Delikte gegen das Reichsfinanzweſen. §. 113. Zwecke der Ueberwachung und Einhebung getroffen ſind (in vielen Fällen nur mit Ordnungsſtrafen belegt). Wenn die in Frage ſtehende That ſowohl unter einen der eben erwähnten Deliktsbegriffe als auch unter einen der im StGB. enthaltenen fällt, ſo gehen die Steuergeſetze als lex specialis nach der oben §. 40 II a gegebenen Regel in der Anwendung vor. Paßt der Thatbeſtand dagegen nur unter das StGB., nicht unter einen jener Deliktsbegriffe, ſo iſt eben das StGB. zur Anwendung zu bringen. 1 III. Die Zoll- und Steuergeſetze des Reichs bieten in ihren ſtrafrechtlichen Beſtimmungen gar manche Eigentüm- lichkeit. Hervortreten der rein fiskaliſchen Intereſſen; die Be- tonung des Abſchreckungsprinzipes und doch andererſeits wieder das Streben, zwiſchen Verbrechen und Strafe eine wenn möglich ziffermäßig auszudrückende Gleichung aufzu- ſtellen; der Anſchluß an ältere geſetzgeberiſche Vorbilder und die damit zuſammenhängende Neigung, durch kaſuiſtiſche Be- ſtimmungen das freie richterliche Ermeſſen zu beſchränken: all’ dieſe zuſammenwirkenden Umſtände machen die fraglichen Geſetze zu einer Fundgrube intereſſanter ſtrafrechtlicher Sonder- beſtimmungen. Näheres Eingehen auf dieſelben iſt hier nicht möglich; doch ſollen die wichtigſten Eigentümlichkeiten zur Ueberſicht zuſammengeſtellt werden. Als Paradigma kann das Vereinszollgeſetz dienen. 1. Der Thatbeſtand, mit welchem die ſtrafbare Handlung 1 Die entgegengeſetzte Anſicht in RGR. 26. Juni 1880 R II 114, daß die auf Steuerhinter- ziehung gerichteten Handlungen nur dann nach dem StGB. beurteilt werden dürfen, wenn das betreffende Steuergeſetz aus- drücklich auf dieſes verweiſt oder überhaupt nicht erſchöpfend die Materie regeln will — kann nicht als richtig betrachtet werden.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/483>, abgerufen am 24.11.2024.