Das zeitliche Geltungsgebiet der Reichsstrafgesetze. §. 12.
keine rückwirkende Kraft,11 soweit der Gesetzgeber sie ihnen nicht ausdrücklich beilegt.
Daraus folgt die in StGB. §. 2 Abs. 1 indirekt aner- kannte Regel: Die Strafrechtssätze finden Anwen- dung auf die während, sie finden keine Anwen- dung auf die vor oder nach ihrer Geltung began- genen Delikte.
Lediglich den Interessen einer juristisch nicht zu begrün- denden aber legislatorisch zu billigenden Humanität trägt der Gesetzgeber Rechnung, wenn er von dieser Regel, ohne sie als Regel zu beseitigen, die folgende Ausnahme zuläßt (StGB. §. 2 Abs. 2).
Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburtei- lung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. Damit ist den milderen Strafrechtssätzen rückwirkende Kraft verliehen. Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es nur konsequent12 die Berücksichtigung nicht nur a) des zur Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung geltenden Gesetzes, sondern auch der etwaigen Zwischenstraf- gesetze vorzuschreiben.
III. Wenn der Richter aus zwei oder mehr Gesetzen das mildeste auszuwählen berufen wird, so hat er zunächst den ihm vorliegenden Fall nach dem einen der in Frage kom- menden Gesetze, dann nach dem anderen, dann nach den übrigen etwa noch vorhandenen Gesetzen zu entscheiden. (Daher ist der Thatbestand nach allen diesen Gesetzen fest- zustellen; RGR. 6. Febr. 1880, E I 191.) Die für den Be-
11[Spaltenumbruch]
Lit. bei Binding Grund- riß S. 47.
12[Spaltenumbruch]
A. A. die Meisten.
von Liszt, Strafrecht. 4
Das zeitliche Geltungsgebiet der Reichsſtrafgeſetze. §. 12.
keine rückwirkende Kraft,11 ſoweit der Geſetzgeber ſie ihnen nicht ausdrücklich beilegt.
Daraus folgt die in StGB. §. 2 Abſ. 1 indirekt aner- kannte Regel: Die Strafrechtsſätze finden Anwen- dung auf die während, ſie finden keine Anwen- dung auf die vor oder nach ihrer Geltung began- genen Delikte.
Lediglich den Intereſſen einer juriſtiſch nicht zu begrün- denden aber legislatoriſch zu billigenden Humanität trägt der Geſetzgeber Rechnung, wenn er von dieſer Regel, ohne ſie als Regel zu beſeitigen, die folgende Ausnahme zuläßt (StGB. §. 2 Abſ. 2).
Bei Verſchiedenheit der Geſetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburtei- lung iſt das mildeſte Geſetz anzuwenden. Damit iſt den milderen Strafrechtsſätzen rückwirkende Kraft verliehen. Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es nur konſequent12 die Berückſichtigung nicht nur a) des zur Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung geltenden Geſetzes, ſondern auch der etwaigen Zwiſchenſtraf- geſetze vorzuſchreiben.
III. Wenn der Richter aus zwei oder mehr Geſetzen das mildeſte auszuwählen berufen wird, ſo hat er zunächſt den ihm vorliegenden Fall nach dem einen der in Frage kom- menden Geſetze, dann nach dem anderen, dann nach den übrigen etwa noch vorhandenen Geſetzen zu entſcheiden. (Daher iſt der Thatbeſtand nach allen dieſen Geſetzen feſt- zuſtellen; RGR. 6. Febr. 1880, E I 191.) Die für den Be-
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Lit. bei Binding Grund- riß S. 47.
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A. A. die Meiſten.
von Liszt, Strafrecht. 4
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Das zeitliche Geltungsgebiet der Reichsſtrafgeſetze. §. 12.
keine rückwirkende Kraft, 11 ſoweit der Geſetzgeber ſie
ihnen nicht ausdrücklich beilegt.
Daraus folgt die in StGB. §. 2 Abſ. 1 indirekt aner-
kannte Regel: Die Strafrechtsſätze finden Anwen-
dung auf die während, ſie finden keine Anwen-
dung auf die vor oder nach ihrer Geltung began-
genen Delikte.
Lediglich den Intereſſen einer juriſtiſch nicht zu begrün-
denden aber legislatoriſch zu billigenden Humanität trägt
der Geſetzgeber Rechnung, wenn er von dieſer Regel, ohne
ſie als Regel zu beſeitigen, die folgende Ausnahme zuläßt
(StGB. §. 2 Abſ. 2).
Bei Verſchiedenheit der Geſetze von der Zeit
der begangenen Handlung bis zu deren Aburtei-
lung iſt das mildeſte Geſetz anzuwenden. Damit iſt
den milderen Strafrechtsſätzen rückwirkende Kraft verliehen.
Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es
nur konſequent 12 die Berückſichtigung nicht nur a) des zur
Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung
geltenden Geſetzes, ſondern auch der etwaigen Zwiſchenſtraf-
geſetze vorzuſchreiben.
III. Wenn der Richter aus zwei oder mehr Geſetzen das
mildeſte auszuwählen berufen wird, ſo hat er zunächſt den
ihm vorliegenden Fall nach dem einen der in Frage kom-
menden Geſetze, dann nach dem anderen, dann nach den
übrigen etwa noch vorhandenen Geſetzen zu entſcheiden.
(Daher iſt der Thatbeſtand nach allen dieſen Geſetzen feſt-
zuſtellen; RGR. 6. Febr. 1880, E I 191.) Die für den Be-
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von Liszt, Strafrecht. 4
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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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