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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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Vorbemerkung.
meine Lehrerfahrungen zu Grunde gelegt zu haben, und ich
hoffe, dass mein guter Wille, Wesentliches vom Unwesentlichen
zu sondern, aus der ganzen Anlage sich ergiebt. Aber das
entscheidende Wort muss ich dem Urteile der Berufenen über-
lassen, das mir eine wertvolle Richtschnur für die Weiterarbeit
sein wird. Besondere Schwierigkeit bot mir die Auswahl der
anzuführenden Litteratur. Die fremdsprachigen Werke durften
nicht nur nicht beiseite gelassen werden, sie mussten vielmehr
besondere Berücksichtigung finden, sollte der Anfänger ein
richtiges Bild von dem heutigen Stande unsrer gerade an den
deutschen Universitäten stiefmütterlich behandelten Wissenschaft
gewinnen. Dagegen musste die Auseinandersetzung mit ab-
weichenden Ansichten vor der Wiedergabe des Stoffes in den
Hintergrund treten. Auch die fortlaufende Anführung der
grösseren Systeme glaubte ich durch deren Zusammenstellung
in § 4 meines Buches ersetzen zu dürfen.

Bei der Fassung der durch den Druck hervorgehobenen
Lehrsätze bin ich von dem Bestreben geleitet gewesen, die
in Staatenverträgen und in der Staatenübung hervortretende ge-
meinsame Rechtsüberzeugung zum kurzen und scharfen Ausdruck
zu bringen. Mancher von diesen Lehrsätzen mag bedenklich
scheinen, mancher mag unrichtig sein. Aber keiner von ihnen
soll, das ist mein Wunsch, unvereinbar sein mit der nach
meiner Überzeugung einzig richtigen Methode der völkerrecht-
lichen Wissenschaft: allen Rechtsinhalt ausschliesslich aus der
bethätigten Rechtsüberzeugung der zur Völkerrechtsgemein-
schaft gehörenden Staaten zu schöpfen. Diese Methode sichert
nicht nur vor der Verwechslung frommer Wünsche und legis-
lativer Vorschläge mit dem geltenden Recht; sie lässt auch die
rechtbildende Kraft erkennen, die der zielbewussten Haltung
eines einzelnen Staates unter Umständen zukommt.


Vorbemerkung.
meine Lehrerfahrungen zu Grunde gelegt zu haben, und ich
hoffe, daſs mein guter Wille, Wesentliches vom Unwesentlichen
zu sondern, aus der ganzen Anlage sich ergiebt. Aber das
entscheidende Wort muſs ich dem Urteile der Berufenen über-
lassen, das mir eine wertvolle Richtschnur für die Weiterarbeit
sein wird. Besondere Schwierigkeit bot mir die Auswahl der
anzuführenden Litteratur. Die fremdsprachigen Werke durften
nicht nur nicht beiseite gelassen werden, sie muſsten vielmehr
besondere Berücksichtigung finden, sollte der Anfänger ein
richtiges Bild von dem heutigen Stande unsrer gerade an den
deutschen Universitäten stiefmütterlich behandelten Wissenschaft
gewinnen. Dagegen muſste die Auseinandersetzung mit ab-
weichenden Ansichten vor der Wiedergabe des Stoffes in den
Hintergrund treten. Auch die fortlaufende Anführung der
gröſseren Systeme glaubte ich durch deren Zusammenstellung
in § 4 meines Buches ersetzen zu dürfen.

Bei der Fassung der durch den Druck hervorgehobenen
Lehrsätze bin ich von dem Bestreben geleitet gewesen, die
in Staatenverträgen und in der Staatenübung hervortretende ge-
meinsame Rechtsüberzeugung zum kurzen und scharfen Ausdruck
zu bringen. Mancher von diesen Lehrsätzen mag bedenklich
scheinen, mancher mag unrichtig sein. Aber keiner von ihnen
soll, das ist mein Wunsch, unvereinbar sein mit der nach
meiner Überzeugung einzig richtigen Methode der völkerrecht-
lichen Wissenschaft: allen Rechtsinhalt ausschliesslich aus der
bethätigten Rechtsüberzeugung der zur Völkerrechtsgemein-
schaft gehörenden Staaten zu schöpfen. Diese Methode sichert
nicht nur vor der Verwechslung frommer Wünsche und legis-
lativer Vorschläge mit dem geltenden Recht; sie läſst auch die
rechtbildende Kraft erkennen, die der zielbewuſsten Haltung
eines einzelnen Staates unter Umständen zukommt.


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[VI/0012] Vorbemerkung. meine Lehrerfahrungen zu Grunde gelegt zu haben, und ich hoffe, daſs mein guter Wille, Wesentliches vom Unwesentlichen zu sondern, aus der ganzen Anlage sich ergiebt. Aber das entscheidende Wort muſs ich dem Urteile der Berufenen über- lassen, das mir eine wertvolle Richtschnur für die Weiterarbeit sein wird. Besondere Schwierigkeit bot mir die Auswahl der anzuführenden Litteratur. Die fremdsprachigen Werke durften nicht nur nicht beiseite gelassen werden, sie muſsten vielmehr besondere Berücksichtigung finden, sollte der Anfänger ein richtiges Bild von dem heutigen Stande unsrer gerade an den deutschen Universitäten stiefmütterlich behandelten Wissenschaft gewinnen. Dagegen muſste die Auseinandersetzung mit ab- weichenden Ansichten vor der Wiedergabe des Stoffes in den Hintergrund treten. Auch die fortlaufende Anführung der gröſseren Systeme glaubte ich durch deren Zusammenstellung in § 4 meines Buches ersetzen zu dürfen. Bei der Fassung der durch den Druck hervorgehobenen Lehrsätze bin ich von dem Bestreben geleitet gewesen, die in Staatenverträgen und in der Staatenübung hervortretende ge- meinsame Rechtsüberzeugung zum kurzen und scharfen Ausdruck zu bringen. Mancher von diesen Lehrsätzen mag bedenklich scheinen, mancher mag unrichtig sein. Aber keiner von ihnen soll, das ist mein Wunsch, unvereinbar sein mit der nach meiner Überzeugung einzig richtigen Methode der völkerrecht- lichen Wissenschaft: allen Rechtsinhalt ausschliesslich aus der bethätigten Rechtsüberzeugung der zur Völkerrechtsgemein- schaft gehörenden Staaten zu schöpfen. Diese Methode sichert nicht nur vor der Verwechslung frommer Wünsche und legis- lativer Vorschläge mit dem geltenden Recht; sie läſst auch die rechtbildende Kraft erkennen, die der zielbewuſsten Haltung eines einzelnen Staates unter Umständen zukommt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/12>, abgerufen am 23.11.2024.