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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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Einleitung.


§ 1. Begriff und Einteilung des Völkerrechts.
I.

Völkerrecht (jus inter gentes, droit des gens, law of nations,
auch internationales Recht genannt) ist der Inbegriff der Rechtsregeln,
durch welche Rechte und Pflichten der zur Gemeinschaft der Kultur-
staaten gehörenden Staaten untereinander bestimmt werden.

Dagegen hat das sogenannte internationale öffentliche oder
private Recht, soweit darunter der Inbegriff der nationalen Rechts-
sätze über das Geltungsgebiet des nationalen Rechts verstanden werden
soll (unten § 8 I), an sich mit dem Völkerrecht nichts gemein.

1. Die Rechtsgemeinschaft der Kulturstaaten (la communaute
du droit des gens) wird umgrenzt durch die gemeinsame Rechtsüber-
zeugung, die auf der Gemeinsamkeit der Kultur und der Interessen
beruht. Sie kennzeichnet sich durch den regelmässigen und umfassen-
den Verkehr auf dem Fusse der Gleichberechtigung.

Die Völkergemeinschaft ist durchaus verschieden von dem
"Staatenstaat", der von den Anhängern des "ewigen Friedens"
(unten § 38 IV), von Suarez, Grotius, Wolf, Kant bis auf zahl-
reiche Schriftsteller unserer Tage, in der verschiedensten Gestalt,
bald als loses Staatengefüge ("Die Vereinigten Staaten Europas"),
bald als in sich geschlossener internationaler Staat, etwa nach dem
Vorbild der konstitutionellen Monarchie mit Zweikammersystem oder
aber als Universalmonarchie, geplant ist. Der Staatenstaat ist nicht
denkbar ohne Eingriff in die Souveränität der einzelnen Staaten;
die Völkergemeinschaft dagegen steht und fällt mit der Anerkennung
der Souveränität gleichberechtigter Glieder.


v. Liszt, Völkerrecht. 1
Einleitung.


§ 1. Begriff und Einteilung des Völkerrechts.
I.

Völkerrecht (jus inter gentes, droit des gens, law of nations,
auch internationales Recht genannt) ist der Inbegriff der Rechtsregeln,
durch welche Rechte und Pflichten der zur Gemeinschaft der Kultur-
staaten gehörenden Staaten untereinander bestimmt werden.

Dagegen hat das sogenannte internationale öffentliche oder
private Recht, soweit darunter der Inbegriff der nationalen Rechts-
sätze über das Geltungsgebiet des nationalen Rechts verstanden werden
soll (unten § 8 I), an sich mit dem Völkerrecht nichts gemein.

1. Die Rechtsgemeinschaft der Kulturstaaten (la communauté
du droit des gens) wird umgrenzt durch die gemeinsame Rechtsüber-
zeugung, die auf der Gemeinsamkeit der Kultur und der Interessen
beruht. Sie kennzeichnet sich durch den regelmäſsigen und umfassen-
den Verkehr auf dem Fuſse der Gleichberechtigung.

Die Völkergemeinschaft ist durchaus verschieden von dem
„Staatenstaat“, der von den Anhängern des „ewigen Friedens“
(unten § 38 IV), von Suarez, Grotius, Wolf, Kant bis auf zahl-
reiche Schriftsteller unserer Tage, in der verschiedensten Gestalt,
bald als loses Staatengefüge („Die Vereinigten Staaten Europas“),
bald als in sich geschlossener internationaler Staat, etwa nach dem
Vorbild der konstitutionellen Monarchie mit Zweikammersystem oder
aber als Universalmonarchie, geplant ist. Der Staatenstaat ist nicht
denkbar ohne Eingriff in die Souveränität der einzelnen Staaten;
die Völkergemeinschaft dagegen steht und fällt mit der Anerkennung
der Souveränität gleichberechtigter Glieder.


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[[1]/0023] Einleitung. § 1. Begriff und Einteilung des Völkerrechts. I. Völkerrecht (jus inter gentes, droit des gens, law of nations, auch internationales Recht genannt) ist der Inbegriff der Rechtsregeln, durch welche Rechte und Pflichten der zur Gemeinschaft der Kultur- staaten gehörenden Staaten untereinander bestimmt werden. Dagegen hat das sogenannte internationale öffentliche oder private Recht, soweit darunter der Inbegriff der nationalen Rechts- sätze über das Geltungsgebiet des nationalen Rechts verstanden werden soll (unten § 8 I), an sich mit dem Völkerrecht nichts gemein. 1. Die Rechtsgemeinschaft der Kulturstaaten (la communauté du droit des gens) wird umgrenzt durch die gemeinsame Rechtsüber- zeugung, die auf der Gemeinsamkeit der Kultur und der Interessen beruht. Sie kennzeichnet sich durch den regelmäſsigen und umfassen- den Verkehr auf dem Fuſse der Gleichberechtigung. Die Völkergemeinschaft ist durchaus verschieden von dem „Staatenstaat“, der von den Anhängern des „ewigen Friedens“ (unten § 38 IV), von Suarez, Grotius, Wolf, Kant bis auf zahl- reiche Schriftsteller unserer Tage, in der verschiedensten Gestalt, bald als loses Staatengefüge („Die Vereinigten Staaten Europas“), bald als in sich geschlossener internationaler Staat, etwa nach dem Vorbild der konstitutionellen Monarchie mit Zweikammersystem oder aber als Universalmonarchie, geplant ist. Der Staatenstaat ist nicht denkbar ohne Eingriff in die Souveränität der einzelnen Staaten; die Völkergemeinschaft dagegen steht und fällt mit der Anerkennung der Souveränität gleichberechtigter Glieder. v. Liszt, Völkerrecht. 1

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/23>, abgerufen am 23.11.2024.