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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
die Wegnahme des Schiffes auch nach der Löschung der Ladung.
Sie will ferner die letzte Bestimmung der Ware entscheiden lassen
und erklärt die Wegnahme für zulässig, auch wenn die Ware zunächst
in einem neutralen Hafen gelöscht werden soll (Theorie de la con-
tinuite du voyage, du voyage continu; dolus non purgatur circuitu).

Vgl. Fauchille, R. G. IV 297.

Fedozzi, R. J. XXIX 70.

3. Das Verfahren ist dasselbe wie bei der Wegnahme von feind-
lichem Gut unter feindlicher Flagge
(oben § 42 III).

Vgl. Duboc, R. G. IV. 328.

Das aufbringende Kriegsschiff hat also das aufgebrachte
Handelsschiff vor das nationale Prisengericht zu stellen, welches
über die Berechtigung der Wegnahme entscheidet. Das Verfahren
ist meist als Reklameprozess gestaltet; d. h. der Eigentümer der
weggenommenen Güter hat als "Reklamant" den negativen Beweis
zu führen. Zu beachten ist, dass nach einem nur von England
nicht anerkannten Rechtssatz die Beschlagnahme entfällt, wenn das
Handelsschiff von einem neutralen Kriegsschiff begleitet wird (so-
genannter Convoi) und der Befehlshaber dieses Begleitschiffes die
Erklärung abgiebt, dass das Handelsschiff keine Kontrebande führe.

Das Deutsche Reich hat in verschiedenen Verträgen mit den
mittel- und südamerikanischen Staaten diesen Rechtssatz ausdrück-
lich ausgesprochen. So bestimmt Artikel XXI Absatz 4 des deutschen
Freundschafts- u. s. w. Vertrages mit Salvador vom 13. Juni 1870
(R. G. Bl. 1872 S. 377): "Die Durchsuchung wird nicht gestattet
sein ausser an Bord von Schiffen, die ohne Geleit fahren. Wenn
sie mit Geleit reisen, so genügt es, dass der Befehlshaber des
letzteren mündlich und auf sein Ehrenwort versichert, dass die
unter seinen Schutz und seine bewaffnete Bedeckung gestellten
Schiffe dem Lande angehören, dessen Flagge sie führen, und dass
er, wenn diese Schiffe nach einem feindlichen Hafen bestimmt
sind, ferner erklärt, dass sie keine Kriegskontrebande an Bord
haben." Dieselbe Ansicht vertraten Frankreich während des Krieges
von 1870/71 und das Institut für Völkerrecht 1887.


§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
die Wegnahme des Schiffes auch nach der Löschung der Ladung.
Sie will ferner die letzte Bestimmung der Ware entscheiden lassen
und erklärt die Wegnahme für zulässig, auch wenn die Ware zunächst
in einem neutralen Hafen gelöscht werden soll (Théorie de la con-
tinuité du voyage, du voyage continu; dolus non purgatur circuitu).

Vgl. Fauchille, R. G. IV 297.

Fedozzi, R. J. XXIX 70.

3. Das Verfahren ist dasselbe wie bei der Wegnahme von feind-
lichem Gut unter feindlicher Flagge
(oben § 42 III).

Vgl. Duboc, R. G. IV. 328.

Das aufbringende Kriegsschiff hat also das aufgebrachte
Handelsschiff vor das nationale Prisengericht zu stellen, welches
über die Berechtigung der Wegnahme entscheidet. Das Verfahren
ist meist als Reklameprozeſs gestaltet; d. h. der Eigentümer der
weggenommenen Güter hat als „Reklamant“ den negativen Beweis
zu führen. Zu beachten ist, daſs nach einem nur von England
nicht anerkannten Rechtssatz die Beschlagnahme entfällt, wenn das
Handelsschiff von einem neutralen Kriegsschiff begleitet wird (so-
genannter Convoi) und der Befehlshaber dieses Begleitschiffes die
Erklärung abgiebt, daſs das Handelsschiff keine Kontrebande führe.

Das Deutsche Reich hat in verschiedenen Verträgen mit den
mittel- und südamerikanischen Staaten diesen Rechtssatz ausdrück-
lich ausgesprochen. So bestimmt Artikel XXI Absatz 4 des deutschen
Freundschafts- u. s. w. Vertrages mit Salvador vom 13. Juni 1870
(R. G. Bl. 1872 S. 377): „Die Durchsuchung wird nicht gestattet
sein auſser an Bord von Schiffen, die ohne Geleit fahren. Wenn
sie mit Geleit reisen, so genügt es, daſs der Befehlshaber des
letzteren mündlich und auf sein Ehrenwort versichert, daſs die
unter seinen Schutz und seine bewaffnete Bedeckung gestellten
Schiffe dem Lande angehören, dessen Flagge sie führen, und daſs
er, wenn diese Schiffe nach einem feindlichen Hafen bestimmt
sind, ferner erklärt, daſs sie keine Kriegskontrebande an Bord
haben.“ Dieselbe Ansicht vertraten Frankreich während des Krieges
von 1870/71 und das Institut für Völkerrecht 1887.


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[247/0269] § 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte. die Wegnahme des Schiffes auch nach der Löschung der Ladung. Sie will ferner die letzte Bestimmung der Ware entscheiden lassen und erklärt die Wegnahme für zulässig, auch wenn die Ware zunächst in einem neutralen Hafen gelöscht werden soll (Théorie de la con- tinuité du voyage, du voyage continu; dolus non purgatur circuitu). Vgl. Fauchille, R. G. IV 297. Fedozzi, R. J. XXIX 70. 3. Das Verfahren ist dasselbe wie bei der Wegnahme von feind- lichem Gut unter feindlicher Flagge (oben § 42 III). Vgl. Duboc, R. G. IV. 328. Das aufbringende Kriegsschiff hat also das aufgebrachte Handelsschiff vor das nationale Prisengericht zu stellen, welches über die Berechtigung der Wegnahme entscheidet. Das Verfahren ist meist als Reklameprozeſs gestaltet; d. h. der Eigentümer der weggenommenen Güter hat als „Reklamant“ den negativen Beweis zu führen. Zu beachten ist, daſs nach einem nur von England nicht anerkannten Rechtssatz die Beschlagnahme entfällt, wenn das Handelsschiff von einem neutralen Kriegsschiff begleitet wird (so- genannter Convoi) und der Befehlshaber dieses Begleitschiffes die Erklärung abgiebt, daſs das Handelsschiff keine Kontrebande führe. Das Deutsche Reich hat in verschiedenen Verträgen mit den mittel- und südamerikanischen Staaten diesen Rechtssatz ausdrück- lich ausgesprochen. So bestimmt Artikel XXI Absatz 4 des deutschen Freundschafts- u. s. w. Vertrages mit Salvador vom 13. Juni 1870 (R. G. Bl. 1872 S. 377): „Die Durchsuchung wird nicht gestattet sein auſser an Bord von Schiffen, die ohne Geleit fahren. Wenn sie mit Geleit reisen, so genügt es, daſs der Befehlshaber des letzteren mündlich und auf sein Ehrenwort versichert, daſs die unter seinen Schutz und seine bewaffnete Bedeckung gestellten Schiffe dem Lande angehören, dessen Flagge sie führen, und daſs er, wenn diese Schiffe nach einem feindlichen Hafen bestimmt sind, ferner erklärt, daſs sie keine Kriegskontrebande an Bord haben.“ Dieselbe Ansicht vertraten Frankreich während des Krieges von 1870/71 und das Institut für Völkerrecht 1887.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/269>, abgerufen am 24.11.2024.