Aber woher sollte man eine solche Anzahl von Entfernungen nehmen? Die Beobachtungen Tycho's, die Kepler sonst so gut zu brauchen wußte, reichten dazu nicht hin. Nach vielen vergeblichen Versuchen konnte er endlich bemerken, daß das von ihm bereits gefundene erste Gesetz der planetarischen Bewegung auch zu jenem Zwecke die gehörigen Mittel darbot.
Nehmen wir dazu wieder die Sonne, oder vielmehr die Erde, deren Bewegung sich für uns so einfach am Himmel dar- stellt, während die der andern Planeten noch durch die oben er- wähnte zweite Ungleichheit, die bei der Erde ganz wegfällt, ver- wickelt werden. Die Astronomen haben von jeher die Sonne mit großem Fleiße beobachtet, und Tycho war hinter ihnen nicht zurück geblieben. In seinen Manuscripten fand Kepler eine große An- zahl von beobachteten Längen, aber keine Distanzen derselben von der Erde, welche letztere er doch vorzüglich brauchte. Allein so oft Tycho die Länge der Sonne in zwei zunächst auf einander folgenden Mittagen beobachtet hatte, war dadurch auch sofort die tägliche Aenderung ihrer Länge oder die tägliche Geschwindigkeit der Sonne für diesen Punkt ihrer Bahn gegeben, und mehr be- durfte er nicht, um daraus, wenn auch nicht die absolute Distanz, so doch die Verhältnisse dieser Distanzen unter einander abzuleiten.
Nach dem ersten Gesetze Kepler's ist nämlich das Produkt des Quadrats der Distanz der Sonne von der Erde in die tägliche Bewegung, für alle Punkte der Sonnenbahn, eine constante Größe. Wir haben oben diese constante Größe gleich 3,455 ge- funden. Allein wir können sie hier, wo es sich bloß um die Verhältnisse dieser Distanzen handelt, am einfachsten gleich der Einheit annehmen. Daraus folgt also, daß für jeden Punkt der Sonnenbahn die Distanz der Sonne von der Erde gleich seyn muß der Einheit, dividirt durch die Quadratwurzel der täglichen Geschwindigkeit der Sonne.
Betrachten wir nun einige dieser Punkte, für das Perihelium, wo die Länge der Sonne, von der Erde gesehen, nahe 279° ist, d. h. zu Ende des Dezembers jedes Jahrs würde die tägliche Geschwindigkeit der Sonne, wie bereits oben bemerkt, gleich 1°,01943 Grade beobachtet. Die Einheit, dividirt durch die Qua- dratwurzel dieser Zahl, gibt 0,9904. Wir können also für diesen
Kepler’s Geſetze.
Aber woher ſollte man eine ſolche Anzahl von Entfernungen nehmen? Die Beobachtungen Tycho’s, die Kepler ſonſt ſo gut zu brauchen wußte, reichten dazu nicht hin. Nach vielen vergeblichen Verſuchen konnte er endlich bemerken, daß das von ihm bereits gefundene erſte Geſetz der planetariſchen Bewegung auch zu jenem Zwecke die gehörigen Mittel darbot.
Nehmen wir dazu wieder die Sonne, oder vielmehr die Erde, deren Bewegung ſich für uns ſo einfach am Himmel dar- ſtellt, während die der andern Planeten noch durch die oben er- wähnte zweite Ungleichheit, die bei der Erde ganz wegfällt, ver- wickelt werden. Die Aſtronomen haben von jeher die Sonne mit großem Fleiße beobachtet, und Tycho war hinter ihnen nicht zurück geblieben. In ſeinen Manuſcripten fand Kepler eine große An- zahl von beobachteten Längen, aber keine Diſtanzen derſelben von der Erde, welche letztere er doch vorzüglich brauchte. Allein ſo oft Tycho die Länge der Sonne in zwei zunächſt auf einander folgenden Mittagen beobachtet hatte, war dadurch auch ſofort die tägliche Aenderung ihrer Länge oder die tägliche Geſchwindigkeit der Sonne für dieſen Punkt ihrer Bahn gegeben, und mehr be- durfte er nicht, um daraus, wenn auch nicht die abſolute Diſtanz, ſo doch die Verhältniſſe dieſer Diſtanzen unter einander abzuleiten.
Nach dem erſten Geſetze Kepler’s iſt nämlich das Produkt des Quadrats der Diſtanz der Sonne von der Erde in die tägliche Bewegung, für alle Punkte der Sonnenbahn, eine conſtante Größe. Wir haben oben dieſe conſtante Größe gleich 3,455 ge- funden. Allein wir können ſie hier, wo es ſich bloß um die Verhältniſſe dieſer Diſtanzen handelt, am einfachſten gleich der Einheit annehmen. Daraus folgt alſo, daß für jeden Punkt der Sonnenbahn die Diſtanz der Sonne von der Erde gleich ſeyn muß der Einheit, dividirt durch die Quadratwurzel der täglichen Geſchwindigkeit der Sonne.
Betrachten wir nun einige dieſer Punkte, für das Perihelium, wo die Länge der Sonne, von der Erde geſehen, nahe 279° iſt, d. h. zu Ende des Dezembers jedes Jahrs würde die tägliche Geſchwindigkeit der Sonne, wie bereits oben bemerkt, gleich 1°,01943 Grade beobachtet. Die Einheit, dividirt durch die Qua- dratwurzel dieſer Zahl, gibt 0,9904. Wir können alſo für dieſen
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0280"n="268"/><fwplace="top"type="header">Kepler’s Geſetze.</fw><lb/><p>Aber woher ſollte man eine ſolche Anzahl von Entfernungen<lb/>
nehmen? Die Beobachtungen Tycho’s, die Kepler ſonſt ſo gut zu<lb/>
brauchen wußte, reichten dazu nicht hin. Nach vielen vergeblichen<lb/>
Verſuchen konnte er endlich bemerken, daß das von ihm bereits<lb/>
gefundene erſte Geſetz der planetariſchen Bewegung auch zu jenem<lb/>
Zwecke die gehörigen Mittel darbot.</p><lb/><p>Nehmen wir dazu wieder die Sonne, oder vielmehr die<lb/>
Erde, deren Bewegung ſich für uns ſo einfach am Himmel dar-<lb/>ſtellt, während die der andern Planeten noch durch die oben er-<lb/>
wähnte zweite Ungleichheit, die bei der Erde ganz wegfällt, ver-<lb/>
wickelt werden. Die Aſtronomen haben von jeher die Sonne mit<lb/>
großem Fleiße beobachtet, und Tycho war hinter ihnen nicht zurück<lb/>
geblieben. In ſeinen Manuſcripten fand Kepler eine große An-<lb/>
zahl von beobachteten Längen, aber keine Diſtanzen derſelben von<lb/>
der Erde, welche letztere er doch vorzüglich brauchte. Allein ſo<lb/>
oft Tycho die Länge der Sonne in zwei zunächſt auf einander<lb/>
folgenden Mittagen beobachtet hatte, war dadurch auch ſofort die<lb/>
tägliche Aenderung ihrer Länge oder die tägliche Geſchwindigkeit<lb/>
der Sonne für dieſen Punkt ihrer Bahn gegeben, und mehr be-<lb/>
durfte er nicht, um daraus, wenn auch nicht die abſolute Diſtanz,<lb/>ſo doch die Verhältniſſe dieſer Diſtanzen unter einander abzuleiten.</p><lb/><p>Nach dem erſten Geſetze Kepler’s iſt nämlich das Produkt des<lb/>
Quadrats der Diſtanz der Sonne von der Erde in die tägliche<lb/>
Bewegung, für alle Punkte der Sonnenbahn, eine conſtante<lb/>
Größe. Wir haben oben dieſe conſtante Größe gleich 3,<hirendition="#sub">455</hi> ge-<lb/>
funden. Allein wir können ſie hier, wo es ſich bloß um die<lb/>
Verhältniſſe dieſer Diſtanzen handelt, am einfachſten gleich der<lb/>
Einheit annehmen. Daraus folgt alſo, daß für jeden Punkt der<lb/>
Sonnenbahn die Diſtanz der Sonne von der Erde gleich ſeyn<lb/>
muß der Einheit, dividirt durch die Quadratwurzel der täglichen<lb/>
Geſchwindigkeit der Sonne.</p><lb/><p>Betrachten wir nun einige dieſer Punkte, für das Perihelium,<lb/>
wo die Länge der Sonne, von der Erde geſehen, nahe 279° iſt,<lb/>
d. h. zu Ende des Dezembers jedes Jahrs würde die tägliche<lb/>
Geſchwindigkeit der Sonne, wie bereits oben bemerkt, gleich<lb/>
1°,<hirendition="#sub">01943</hi> Grade beobachtet. Die Einheit, dividirt durch die Qua-<lb/>
dratwurzel dieſer Zahl, gibt 0,<hirendition="#sub">9904</hi>. Wir können alſo für dieſen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[268/0280]
Kepler’s Geſetze.
Aber woher ſollte man eine ſolche Anzahl von Entfernungen
nehmen? Die Beobachtungen Tycho’s, die Kepler ſonſt ſo gut zu
brauchen wußte, reichten dazu nicht hin. Nach vielen vergeblichen
Verſuchen konnte er endlich bemerken, daß das von ihm bereits
gefundene erſte Geſetz der planetariſchen Bewegung auch zu jenem
Zwecke die gehörigen Mittel darbot.
Nehmen wir dazu wieder die Sonne, oder vielmehr die
Erde, deren Bewegung ſich für uns ſo einfach am Himmel dar-
ſtellt, während die der andern Planeten noch durch die oben er-
wähnte zweite Ungleichheit, die bei der Erde ganz wegfällt, ver-
wickelt werden. Die Aſtronomen haben von jeher die Sonne mit
großem Fleiße beobachtet, und Tycho war hinter ihnen nicht zurück
geblieben. In ſeinen Manuſcripten fand Kepler eine große An-
zahl von beobachteten Längen, aber keine Diſtanzen derſelben von
der Erde, welche letztere er doch vorzüglich brauchte. Allein ſo
oft Tycho die Länge der Sonne in zwei zunächſt auf einander
folgenden Mittagen beobachtet hatte, war dadurch auch ſofort die
tägliche Aenderung ihrer Länge oder die tägliche Geſchwindigkeit
der Sonne für dieſen Punkt ihrer Bahn gegeben, und mehr be-
durfte er nicht, um daraus, wenn auch nicht die abſolute Diſtanz,
ſo doch die Verhältniſſe dieſer Diſtanzen unter einander abzuleiten.
Nach dem erſten Geſetze Kepler’s iſt nämlich das Produkt des
Quadrats der Diſtanz der Sonne von der Erde in die tägliche
Bewegung, für alle Punkte der Sonnenbahn, eine conſtante
Größe. Wir haben oben dieſe conſtante Größe gleich 3,455 ge-
funden. Allein wir können ſie hier, wo es ſich bloß um die
Verhältniſſe dieſer Diſtanzen handelt, am einfachſten gleich der
Einheit annehmen. Daraus folgt alſo, daß für jeden Punkt der
Sonnenbahn die Diſtanz der Sonne von der Erde gleich ſeyn
muß der Einheit, dividirt durch die Quadratwurzel der täglichen
Geſchwindigkeit der Sonne.
Betrachten wir nun einige dieſer Punkte, für das Perihelium,
wo die Länge der Sonne, von der Erde geſehen, nahe 279° iſt,
d. h. zu Ende des Dezembers jedes Jahrs würde die tägliche
Geſchwindigkeit der Sonne, wie bereits oben bemerkt, gleich
1°,01943 Grade beobachtet. Die Einheit, dividirt durch die Qua-
dratwurzel dieſer Zahl, gibt 0,9904. Wir können alſo für dieſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/280>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.