unserer Jugend und durch sie den kommenden Geschlechtern die angemessenste Gelegenheit, ihre geistige Kraft zu üben und ihren Sinn für das Höchste, was uns angeht, für Recht und Wahr- heit zu wecken und zu stählen, um dem sie von allen Seiten umgebenden Andrange eines kränkelnden und in sich selbst zerfalle- nen Zeitgeistes zu widerstehen, dessen Fortschritte eine männliche und kraftvolle Anhänglichkeit an das Gute überall zu einem sehr dringenden Bedürfnisse gemacht haben.
Zu diesem Zwecke aber, so wie zu allen den oben erwähnten, ist keineswegs eine vollständige, eine alle ihre Höhen und Tiefen umfassende Kenntniß jener Wissenschaften nothwendig. Diese kann überhaupt nicht Jedermanns Sache und daher auch kein Gegen- stand einer allgemeinen Erziehung seyn. Sie mag immerhin, wie bisher, jenen Wenigen überlassen bleiben, die Kraft und Muth ge- nug besitzen, das Innere des erhabenen Tempels zu betreten und vielleicht selbst mit eigener Hand zur Bereicherung oder Aus- schmückung desselben beizutragen. Wir Andern wollen uns begnü- gen, das Aeußere desselben und, wo es angeht, den Vorhof, oder wenn wir ihn selbst nicht sehen können, wenigstens den Grundriß desselben zu betrachten, wie er uns von den Architecten überliefert worden ist.
Aber auch dazu werden noch immer einige jener Vorkennt- nisse erfordert, wenige in der That und leicht zu erwerbende, die ich aber auch dafür desto dringender von meinen Lesern, nicht so- wohl zu meinem, als vielmehr zu ihrem eigenen größten Vortheile in Anspruch nehmen möchte. Wer weder Ton noch Note kennt, der kann selbst und mit dem kann auch ein Anderer über Musik nicht sprechen. Und eben so, wer ein Quadrat von einem Rechteck nicht unterscheidet, wer die ersten Eigenschaften eines Dreiecks nicht kennt, wer vor jedem Decimalbruche erschrickt und ein Buch, das eines Sinus oder einer Tangente erwähnt, sogleich mit Abscheu von sich stößt -- wie wäre es möglich, mit ihm über Astronomie zu sprechen? Statt dieses Versuches, dessen Erfolg unglücklich seyn muß, wäre es gerathener, sich diese Vorkenntnisse auf irgend eine Weise vorerst zu verschaffen. Sie sind der Art, daß sie, bei einer zweckmäßigen Anleitung, in wenigen Tagen erworben werden können und daß die meisten unserer Kartenspiele, in welchen es doch so Viele
Einleitung.
unſerer Jugend und durch ſie den kommenden Geſchlechtern die angemeſſenſte Gelegenheit, ihre geiſtige Kraft zu üben und ihren Sinn für das Höchſte, was uns angeht, für Recht und Wahr- heit zu wecken und zu ſtählen, um dem ſie von allen Seiten umgebenden Andrange eines kränkelnden und in ſich ſelbſt zerfalle- nen Zeitgeiſtes zu widerſtehen, deſſen Fortſchritte eine männliche und kraftvolle Anhänglichkeit an das Gute überall zu einem ſehr dringenden Bedürfniſſe gemacht haben.
Zu dieſem Zwecke aber, ſo wie zu allen den oben erwähnten, iſt keineswegs eine vollſtändige, eine alle ihre Höhen und Tiefen umfaſſende Kenntniß jener Wiſſenſchaften nothwendig. Dieſe kann überhaupt nicht Jedermanns Sache und daher auch kein Gegen- ſtand einer allgemeinen Erziehung ſeyn. Sie mag immerhin, wie bisher, jenen Wenigen überlaſſen bleiben, die Kraft und Muth ge- nug beſitzen, das Innere des erhabenen Tempels zu betreten und vielleicht ſelbſt mit eigener Hand zur Bereicherung oder Aus- ſchmückung deſſelben beizutragen. Wir Andern wollen uns begnü- gen, das Aeußere deſſelben und, wo es angeht, den Vorhof, oder wenn wir ihn ſelbſt nicht ſehen können, wenigſtens den Grundriß deſſelben zu betrachten, wie er uns von den Architecten überliefert worden iſt.
Aber auch dazu werden noch immer einige jener Vorkennt- niſſe erfordert, wenige in der That und leicht zu erwerbende, die ich aber auch dafür deſto dringender von meinen Leſern, nicht ſo- wohl zu meinem, als vielmehr zu ihrem eigenen größten Vortheile in Anſpruch nehmen möchte. Wer weder Ton noch Note kennt, der kann ſelbſt und mit dem kann auch ein Anderer über Muſik nicht ſprechen. Und eben ſo, wer ein Quadrat von einem Rechteck nicht unterſcheidet, wer die erſten Eigenſchaften eines Dreiecks nicht kennt, wer vor jedem Decimalbruche erſchrickt und ein Buch, das eines Sinus oder einer Tangente erwähnt, ſogleich mit Abſcheu von ſich ſtößt — wie wäre es möglich, mit ihm über Aſtronomie zu ſprechen? Statt dieſes Verſuches, deſſen Erfolg unglücklich ſeyn muß, wäre es gerathener, ſich dieſe Vorkenntniſſe auf irgend eine Weiſe vorerſt zu verſchaffen. Sie ſind der Art, daß ſie, bei einer zweckmäßigen Anleitung, in wenigen Tagen erworben werden können und daß die meiſten unſerer Kartenſpiele, in welchen es doch ſo Viele
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[21/0033]
Einleitung.
unſerer Jugend und durch ſie den kommenden Geſchlechtern die
angemeſſenſte Gelegenheit, ihre geiſtige Kraft zu üben und ihren
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heit zu wecken und zu ſtählen, um dem ſie von allen Seiten
umgebenden Andrange eines kränkelnden und in ſich ſelbſt zerfalle-
nen Zeitgeiſtes zu widerſtehen, deſſen Fortſchritte eine männliche
und kraftvolle Anhänglichkeit an das Gute überall zu einem ſehr
dringenden Bedürfniſſe gemacht haben.
Zu dieſem Zwecke aber, ſo wie zu allen den oben erwähnten,
iſt keineswegs eine vollſtändige, eine alle ihre Höhen und Tiefen
umfaſſende Kenntniß jener Wiſſenſchaften nothwendig. Dieſe kann
überhaupt nicht Jedermanns Sache und daher auch kein Gegen-
ſtand einer allgemeinen Erziehung ſeyn. Sie mag immerhin, wie
bisher, jenen Wenigen überlaſſen bleiben, die Kraft und Muth ge-
nug beſitzen, das Innere des erhabenen Tempels zu betreten und
vielleicht ſelbſt mit eigener Hand zur Bereicherung oder Aus-
ſchmückung deſſelben beizutragen. Wir Andern wollen uns begnü-
gen, das Aeußere deſſelben und, wo es angeht, den Vorhof, oder
wenn wir ihn ſelbſt nicht ſehen können, wenigſtens den Grundriß
deſſelben zu betrachten, wie er uns von den Architecten überliefert
worden iſt.
Aber auch dazu werden noch immer einige jener Vorkennt-
niſſe erfordert, wenige in der That und leicht zu erwerbende, die
ich aber auch dafür deſto dringender von meinen Leſern, nicht ſo-
wohl zu meinem, als vielmehr zu ihrem eigenen größten Vortheile
in Anſpruch nehmen möchte. Wer weder Ton noch Note kennt,
der kann ſelbſt und mit dem kann auch ein Anderer über Muſik
nicht ſprechen. Und eben ſo, wer ein Quadrat von einem Rechteck
nicht unterſcheidet, wer die erſten Eigenſchaften eines Dreiecks nicht
kennt, wer vor jedem Decimalbruche erſchrickt und ein Buch, das
eines Sinus oder einer Tangente erwähnt, ſogleich mit Abſcheu
von ſich ſtößt — wie wäre es möglich, mit ihm über Aſtronomie
zu ſprechen? Statt dieſes Verſuches, deſſen Erfolg unglücklich ſeyn
muß, wäre es gerathener, ſich dieſe Vorkenntniſſe auf irgend eine
Weiſe vorerſt zu verſchaffen. Sie ſind der Art, daß ſie, bei einer
zweckmäßigen Anleitung, in wenigen Tagen erworben werden können
und daß die meiſten unſerer Kartenſpiele, in welchen es doch ſo Viele
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/33>, abgerufen am 16.07.2024.
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