Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Mond.
zwischen uns und der Sonne steht, so sehen dafür die Bewohner
der uns zugekehrten Seite des Mondes die Erde T als eine
runde und ganz beleuchtete Scheibe, oder sie haben, wenn man
so sagen darf, Vollerde, während wir Neumond haben. Wenn
aber der Mond zwei Wochen später nach C kömmt, und für uns
der Sonne gerade gegenüber steht, so sehen wir seine ganze be-
leuchtete Scheibe, während die Bewohner der uns zugekehrten
Hälfte des Mondes von der Erde T nur die von der Sonne ab-
gewendete oder dunkle Seite der Erde sehen, oder die Monds-
bewohner haben Neuerde, während wir Vollmond haben. Wenn
nun diese Seleniten so gute Augen haben, wie wir, so werden sie
nicht nur diese Lichtphase, sondern auch die verschiedenen Flecken
bemerken, welche auf der Oberfläche unserer Erde von dem Fest-
lande, den Inseln und den verschiedenen Meeren derselben gebildet
werden, und die sich ohne Zweifel durch ihre Farben sowohl, als
auch durch die verschiedene Intensität der Reflexion der Sonnen-
strahlen unterscheiden. So werden sie, wenn es bei uns Mittag
und Neumond ist, Europa, Asien und Afrika als eine zusammen-
hängende hellere Masse erblicken, die auf allen Seiten von einer
dunklen, ebenen Fläche, dem Meere, umgeben ist. Nach zwölf
unserer Stunden aber sehen sie auf der großen Erdscheibe beinahe
die ganze Scene geändert, denn nun ist die sogenannte alte Welt
für sie verschwunden, und dafür liegt Amerika mit den vielen
Inseln des Südmeeres vor ihren Blicken. Auf diese Weise haben
die Bewohner des Mondes, und nicht bloß die Gelehrten unter
ihnen, ohne Zweifel schon vor Jahrtausenden und zwar auf den
ersten Blick gesehen, worüber sich unsere Geographen und Astro-
nomen so lange gestritten haben, daß nämlich die Erde an ihren
beiden Polen abgeplattet ist. Amerika war ihnen lange vor Co-
lumbus, und Australien lange vor Cook schon bekannt, und die bei
uns noch immer nicht aufgelöste Frage von einer nordöstlichen
Durchfahrt nach Ostindien oder von dem großen Lande am Süd-
pol ist bei ihnen schon längst entschieden, da Jedermann, der nur
eben Augen hat, alle diese Dinge in jedem Monate beinahe dreißigmal
vor sich auf- und niederwälzen sieht. Die große Ueberschwem-
mung, von welcher wir nur mehr dunkle Sagen haben, obschon

Der Mond.
zwiſchen uns und der Sonne ſteht, ſo ſehen dafür die Bewohner
der uns zugekehrten Seite des Mondes die Erde T als eine
runde und ganz beleuchtete Scheibe, oder ſie haben, wenn man
ſo ſagen darf, Vollerde, während wir Neumond haben. Wenn
aber der Mond zwei Wochen ſpäter nach C kömmt, und für uns
der Sonne gerade gegenüber ſteht, ſo ſehen wir ſeine ganze be-
leuchtete Scheibe, während die Bewohner der uns zugekehrten
Hälfte des Mondes von der Erde T nur die von der Sonne ab-
gewendete oder dunkle Seite der Erde ſehen, oder die Monds-
bewohner haben Neuerde, während wir Vollmond haben. Wenn
nun dieſe Seleniten ſo gute Augen haben, wie wir, ſo werden ſie
nicht nur dieſe Lichtphaſe, ſondern auch die verſchiedenen Flecken
bemerken, welche auf der Oberfläche unſerer Erde von dem Feſt-
lande, den Inſeln und den verſchiedenen Meeren derſelben gebildet
werden, und die ſich ohne Zweifel durch ihre Farben ſowohl, als
auch durch die verſchiedene Intenſität der Reflexion der Sonnen-
ſtrahlen unterſcheiden. So werden ſie, wenn es bei uns Mittag
und Neumond iſt, Europa, Aſien und Afrika als eine zuſammen-
hängende hellere Maſſe erblicken, die auf allen Seiten von einer
dunklen, ebenen Fläche, dem Meere, umgeben iſt. Nach zwölf
unſerer Stunden aber ſehen ſie auf der großen Erdſcheibe beinahe
die ganze Scene geändert, denn nun iſt die ſogenannte alte Welt
für ſie verſchwunden, und dafür liegt Amerika mit den vielen
Inſeln des Südmeeres vor ihren Blicken. Auf dieſe Weiſe haben
die Bewohner des Mondes, und nicht bloß die Gelehrten unter
ihnen, ohne Zweifel ſchon vor Jahrtauſenden und zwar auf den
erſten Blick geſehen, worüber ſich unſere Geographen und Aſtro-
nomen ſo lange geſtritten haben, daß nämlich die Erde an ihren
beiden Polen abgeplattet iſt. Amerika war ihnen lange vor Co-
lumbus, und Auſtralien lange vor Cook ſchon bekannt, und die bei
uns noch immer nicht aufgelöste Frage von einer nordöſtlichen
Durchfahrt nach Oſtindien oder von dem großen Lande am Süd-
pol iſt bei ihnen ſchon längſt entſchieden, da Jedermann, der nur
eben Augen hat, alle dieſe Dinge in jedem Monate beinahe dreißigmal
vor ſich auf- und niederwälzen ſieht. Die große Ueberſchwem-
mung, von welcher wir nur mehr dunkle Sagen haben, obſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0191" n="181"/><fw place="top" type="header">Der Mond.</fw><lb/>
zwi&#x017F;chen uns und der Sonne &#x017F;teht, &#x017F;o &#x017F;ehen dafür die Bewohner<lb/>
der uns zugekehrten Seite des Mondes die Erde <hi rendition="#aq">T</hi> als eine<lb/>
runde und ganz beleuchtete Scheibe, oder &#x017F;ie haben, wenn man<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agen darf, Vollerde, während wir Neumond haben. Wenn<lb/>
aber der Mond zwei Wochen &#x017F;päter nach <hi rendition="#aq">C</hi> kömmt, und für uns<lb/>
der Sonne gerade gegenüber &#x017F;teht, &#x017F;o &#x017F;ehen wir &#x017F;eine ganze be-<lb/>
leuchtete Scheibe, während die Bewohner der uns zugekehrten<lb/>
Hälfte des Mondes von der Erde <hi rendition="#aq">T</hi> nur die von der Sonne ab-<lb/>
gewendete oder dunkle Seite der Erde &#x017F;ehen, oder die Monds-<lb/>
bewohner haben Neuerde, während wir Vollmond haben. Wenn<lb/>
nun die&#x017F;e Seleniten &#x017F;o gute Augen haben, wie wir, &#x017F;o werden &#x017F;ie<lb/>
nicht nur die&#x017F;e Lichtpha&#x017F;e, &#x017F;ondern auch die ver&#x017F;chiedenen <hi rendition="#g">Flecken</hi><lb/>
bemerken, welche auf der Oberfläche un&#x017F;erer Erde von dem Fe&#x017F;t-<lb/>
lande, den In&#x017F;eln und den ver&#x017F;chiedenen Meeren der&#x017F;elben gebildet<lb/>
werden, und die &#x017F;ich ohne Zweifel durch ihre Farben &#x017F;owohl, als<lb/>
auch durch die ver&#x017F;chiedene Inten&#x017F;ität der Reflexion der Sonnen-<lb/>
&#x017F;trahlen unter&#x017F;cheiden. So werden &#x017F;ie, wenn es bei uns Mittag<lb/>
und Neumond i&#x017F;t, Europa, A&#x017F;ien und Afrika als eine zu&#x017F;ammen-<lb/>
hängende hellere Ma&#x017F;&#x017F;e erblicken, die auf allen Seiten von einer<lb/>
dunklen, ebenen Fläche, dem Meere, umgeben i&#x017F;t. Nach zwölf<lb/>
un&#x017F;erer Stunden aber &#x017F;ehen &#x017F;ie auf der großen Erd&#x017F;cheibe beinahe<lb/>
die ganze Scene geändert, denn nun i&#x017F;t die &#x017F;ogenannte alte Welt<lb/>
für &#x017F;ie ver&#x017F;chwunden, und dafür liegt Amerika mit den vielen<lb/>
In&#x017F;eln des Südmeeres vor ihren Blicken. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e haben<lb/>
die Bewohner des Mondes, und nicht bloß die Gelehrten unter<lb/>
ihnen, ohne Zweifel &#x017F;chon vor Jahrtau&#x017F;enden und zwar auf den<lb/>
er&#x017F;ten Blick ge&#x017F;ehen, worüber &#x017F;ich un&#x017F;ere Geographen und A&#x017F;tro-<lb/>
nomen &#x017F;o lange ge&#x017F;tritten haben, daß nämlich die Erde an ihren<lb/>
beiden Polen abgeplattet i&#x017F;t. Amerika war ihnen lange vor Co-<lb/>
lumbus, und Au&#x017F;tralien lange vor Cook &#x017F;chon bekannt, und die bei<lb/>
uns noch immer nicht aufgelöste Frage von einer nordö&#x017F;tlichen<lb/>
Durchfahrt nach O&#x017F;tindien oder von dem großen Lande am Süd-<lb/>
pol i&#x017F;t bei ihnen &#x017F;chon läng&#x017F;t ent&#x017F;chieden, da Jedermann, der nur<lb/>
eben Augen hat, alle die&#x017F;e Dinge in jedem Monate beinahe dreißigmal<lb/>
vor &#x017F;ich auf- und niederwälzen &#x017F;ieht. Die große Ueber&#x017F;chwem-<lb/>
mung, von welcher wir nur mehr dunkle Sagen haben, ob&#x017F;chon<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0191] Der Mond. zwiſchen uns und der Sonne ſteht, ſo ſehen dafür die Bewohner der uns zugekehrten Seite des Mondes die Erde T als eine runde und ganz beleuchtete Scheibe, oder ſie haben, wenn man ſo ſagen darf, Vollerde, während wir Neumond haben. Wenn aber der Mond zwei Wochen ſpäter nach C kömmt, und für uns der Sonne gerade gegenüber ſteht, ſo ſehen wir ſeine ganze be- leuchtete Scheibe, während die Bewohner der uns zugekehrten Hälfte des Mondes von der Erde T nur die von der Sonne ab- gewendete oder dunkle Seite der Erde ſehen, oder die Monds- bewohner haben Neuerde, während wir Vollmond haben. Wenn nun dieſe Seleniten ſo gute Augen haben, wie wir, ſo werden ſie nicht nur dieſe Lichtphaſe, ſondern auch die verſchiedenen Flecken bemerken, welche auf der Oberfläche unſerer Erde von dem Feſt- lande, den Inſeln und den verſchiedenen Meeren derſelben gebildet werden, und die ſich ohne Zweifel durch ihre Farben ſowohl, als auch durch die verſchiedene Intenſität der Reflexion der Sonnen- ſtrahlen unterſcheiden. So werden ſie, wenn es bei uns Mittag und Neumond iſt, Europa, Aſien und Afrika als eine zuſammen- hängende hellere Maſſe erblicken, die auf allen Seiten von einer dunklen, ebenen Fläche, dem Meere, umgeben iſt. Nach zwölf unſerer Stunden aber ſehen ſie auf der großen Erdſcheibe beinahe die ganze Scene geändert, denn nun iſt die ſogenannte alte Welt für ſie verſchwunden, und dafür liegt Amerika mit den vielen Inſeln des Südmeeres vor ihren Blicken. Auf dieſe Weiſe haben die Bewohner des Mondes, und nicht bloß die Gelehrten unter ihnen, ohne Zweifel ſchon vor Jahrtauſenden und zwar auf den erſten Blick geſehen, worüber ſich unſere Geographen und Aſtro- nomen ſo lange geſtritten haben, daß nämlich die Erde an ihren beiden Polen abgeplattet iſt. Amerika war ihnen lange vor Co- lumbus, und Auſtralien lange vor Cook ſchon bekannt, und die bei uns noch immer nicht aufgelöste Frage von einer nordöſtlichen Durchfahrt nach Oſtindien oder von dem großen Lande am Süd- pol iſt bei ihnen ſchon längſt entſchieden, da Jedermann, der nur eben Augen hat, alle dieſe Dinge in jedem Monate beinahe dreißigmal vor ſich auf- und niederwälzen ſieht. Die große Ueberſchwem- mung, von welcher wir nur mehr dunkle Sagen haben, obſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/191
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/191>, abgerufen am 21.11.2024.