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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Kometen.
dere, unbegraben auf den Gassen liegen blieben, auf die man da-
mals die Leichname durch die Fenster zu werfen pflegte. Von
Kometen in dieser Zeit findet man keine Spur. Zum drittenmale
brach diese verheerende Krankheit i. J. 1367 aus, wo sie bis 1374
wüthete. Sie nahm jetzt die Gestalt des sogenannten Johannis-
tanzes an, unter welcher sie, obschon auch in milderer Form, bis
zu uns unter der Benennung des Veitstanzes gelangte. Die von
der Krankheit Ergriffenen liefen, tanzten und raseten, bis sie
schäumten und leblos zur Erde stürzten, wo dann der hochaufge-
schwollene Unterleib der Leichen zerplatzte. Bei den häufigen To-
desfällen seit 1347, also durch beinahe 20 Jahre, erwartete man
den Untergang des ganzen Menschengeschlechts und vermachte alle
seine Einkünfte an Kirchen und Klöster, so zwar, daß diese Ver-
mächtnisse durch eigene Gesetze untersagt werden mußten, um den
rechtmäßigen Erben doch nicht alles zu entziehen. Auch in diesen
sieben Jahren erwähnen die Chroniken keines größeren Kometen
bis 1375, also ein Jahr nach der Beendigung der Krankheit, daher
auch, nach dem großen Kometendeuter Prätorius, derselbe keine
weitere Beziehung auf jene Pest, sondern bloß auf den Tod
Karls IV. haben sollte.

Doch es wird unnöthig seyn, dieses traurige Verzeichniß des
menschlichen Elendes noch weiter fortzusetzen. Wenn man auf-
richtig mit sich selbst und ohne Vorurtheil zu Werke geht, so wird
man in allen Jahrhunderten eben so viel Belege für, als gegen
jene Meinung finden, daß die Kometen Krankheiten oder andere
Unglücksfälle entweder vorher verkündigen, oder selbst verursachen
sollen, d. h. man wird finden, daß jene Himmelskörper mit diesen
Calamitäten des Menschengeschlechtes in keiner, oder doch in kei-
ner für uns merkbaren Verbindung stehen. Unsere eigenen Er-
fahrungen an der Cholera seit dem Jahre 1830 werden dieses Re-
sultat bestätigen. Uebrigens ist es betrübend zu sehen, wie lange
die Menschen mitten unter den Unglücksfällen, die sie betreffen
und die sie nicht vermeiden können, sich noch mit selbstgeschaffenen
Uebeln plagen, durch grundlose Besorgnisse ängstigen und die ihnen
verliehene Vernunft durch Vorurtheile und Aberglauben verdun-
keln. Wie nützlich, ja wie nothwendig ist es daher, das Licht der

Kometen.
dere, unbegraben auf den Gaſſen liegen blieben, auf die man da-
mals die Leichname durch die Fenſter zu werfen pflegte. Von
Kometen in dieſer Zeit findet man keine Spur. Zum drittenmale
brach dieſe verheerende Krankheit i. J. 1367 aus, wo ſie bis 1374
wüthete. Sie nahm jetzt die Geſtalt des ſogenannten Johannis-
tanzes an, unter welcher ſie, obſchon auch in milderer Form, bis
zu uns unter der Benennung des Veitstanzes gelangte. Die von
der Krankheit Ergriffenen liefen, tanzten und raſeten, bis ſie
ſchäumten und leblos zur Erde ſtürzten, wo dann der hochaufge-
ſchwollene Unterleib der Leichen zerplatzte. Bei den häufigen To-
desfällen ſeit 1347, alſo durch beinahe 20 Jahre, erwartete man
den Untergang des ganzen Menſchengeſchlechts und vermachte alle
ſeine Einkünfte an Kirchen und Klöſter, ſo zwar, daß dieſe Ver-
mächtniſſe durch eigene Geſetze unterſagt werden mußten, um den
rechtmäßigen Erben doch nicht alles zu entziehen. Auch in dieſen
ſieben Jahren erwähnen die Chroniken keines größeren Kometen
bis 1375, alſo ein Jahr nach der Beendigung der Krankheit, daher
auch, nach dem großen Kometendeuter Prätorius, derſelbe keine
weitere Beziehung auf jene Peſt, ſondern bloß auf den Tod
Karls IV. haben ſollte.

Doch es wird unnöthig ſeyn, dieſes traurige Verzeichniß des
menſchlichen Elendes noch weiter fortzuſetzen. Wenn man auf-
richtig mit ſich ſelbſt und ohne Vorurtheil zu Werke geht, ſo wird
man in allen Jahrhunderten eben ſo viel Belege für, als gegen
jene Meinung finden, daß die Kometen Krankheiten oder andere
Unglücksfälle entweder vorher verkündigen, oder ſelbſt verurſachen
ſollen, d. h. man wird finden, daß jene Himmelskörper mit dieſen
Calamitäten des Menſchengeſchlechtes in keiner, oder doch in kei-
ner für uns merkbaren Verbindung ſtehen. Unſere eigenen Er-
fahrungen an der Cholera ſeit dem Jahre 1830 werden dieſes Re-
ſultat beſtätigen. Uebrigens iſt es betrübend zu ſehen, wie lange
die Menſchen mitten unter den Unglücksfällen, die ſie betreffen
und die ſie nicht vermeiden können, ſich noch mit ſelbſtgeſchaffenen
Uebeln plagen, durch grundloſe Beſorgniſſe ängſtigen und die ihnen
verliehene Vernunft durch Vorurtheile und Aberglauben verdun-
keln. Wie nützlich, ja wie nothwendig iſt es daher, das Licht der

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[293/0303] Kometen. dere, unbegraben auf den Gaſſen liegen blieben, auf die man da- mals die Leichname durch die Fenſter zu werfen pflegte. Von Kometen in dieſer Zeit findet man keine Spur. Zum drittenmale brach dieſe verheerende Krankheit i. J. 1367 aus, wo ſie bis 1374 wüthete. Sie nahm jetzt die Geſtalt des ſogenannten Johannis- tanzes an, unter welcher ſie, obſchon auch in milderer Form, bis zu uns unter der Benennung des Veitstanzes gelangte. Die von der Krankheit Ergriffenen liefen, tanzten und raſeten, bis ſie ſchäumten und leblos zur Erde ſtürzten, wo dann der hochaufge- ſchwollene Unterleib der Leichen zerplatzte. Bei den häufigen To- desfällen ſeit 1347, alſo durch beinahe 20 Jahre, erwartete man den Untergang des ganzen Menſchengeſchlechts und vermachte alle ſeine Einkünfte an Kirchen und Klöſter, ſo zwar, daß dieſe Ver- mächtniſſe durch eigene Geſetze unterſagt werden mußten, um den rechtmäßigen Erben doch nicht alles zu entziehen. Auch in dieſen ſieben Jahren erwähnen die Chroniken keines größeren Kometen bis 1375, alſo ein Jahr nach der Beendigung der Krankheit, daher auch, nach dem großen Kometendeuter Prätorius, derſelbe keine weitere Beziehung auf jene Peſt, ſondern bloß auf den Tod Karls IV. haben ſollte. Doch es wird unnöthig ſeyn, dieſes traurige Verzeichniß des menſchlichen Elendes noch weiter fortzuſetzen. Wenn man auf- richtig mit ſich ſelbſt und ohne Vorurtheil zu Werke geht, ſo wird man in allen Jahrhunderten eben ſo viel Belege für, als gegen jene Meinung finden, daß die Kometen Krankheiten oder andere Unglücksfälle entweder vorher verkündigen, oder ſelbſt verurſachen ſollen, d. h. man wird finden, daß jene Himmelskörper mit dieſen Calamitäten des Menſchengeſchlechtes in keiner, oder doch in kei- ner für uns merkbaren Verbindung ſtehen. Unſere eigenen Er- fahrungen an der Cholera ſeit dem Jahre 1830 werden dieſes Re- ſultat beſtätigen. Uebrigens iſt es betrübend zu ſehen, wie lange die Menſchen mitten unter den Unglücksfällen, die ſie betreffen und die ſie nicht vermeiden können, ſich noch mit ſelbſtgeſchaffenen Uebeln plagen, durch grundloſe Beſorgniſſe ängſtigen und die ihnen verliehene Vernunft durch Vorurtheile und Aberglauben verdun- keln. Wie nützlich, ja wie nothwendig iſt es daher, das Licht der

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/303>, abgerufen am 24.11.2024.