Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.Doppelsterne. Himmel schwimmt in ihrem Purpurlichte. In wenig Stundenschon folgt ihr eine andere, eine blaue, eine grüne Sonne, und plötzlich ändert sich der Anblick der ganzen Natur. Neue Welten scheinen mit diesen neuen Sonnen vor uns aufzugehen; Erde und Himmel sind in stetem Wechsel begriffen und in Mitten aller dieser Verwandlungen würden wir die Welt, würden wir uns selbst nicht mehr erkennen. So lange die rothe Sonne scheint, wird unsere ganze Erde mit ihrem Rosenlichte übergossen seyn; wenn sie untergegangen ist, und die blaue oder grüne Sonne sich erhebt, wird wieder alles, selbst die Wüste und das Meer mit einem azurnen oder smaragdenen Teppiche überzogen, und wenn endlich beide Sonnen zugleich über dem Horizonte stehen, und die ganze Natur von zwei complementären Farben beleuchtet wird, so werden alle Gegenstände ihr früheres, buntes Kleid ablegen und in einer einförmigen, aschgrauen Farbe zu trauern scheinen. Nicht mehr würden wir, wie bisher, die Dinge um uns an ihren Farben erkennen, da jeder Gegenstand abwechselnd in allen Farben er- scheinen muß, je nachdem er von dieser oder von jener Sonne, oder von beiden zugleich beleuchtet wird. Der Himmel würde nicht mehr blau, die Wiese nicht mehr grün, der Schnee nicht mehr weiß seyn, sondern alles würde, je nach der Tageszeit, in allen Farben spielen. Wie ganz anders mag die Optik dieser guten Leute, und die Farbengebung ihrer Maler beschaffen seyn! Ja selbst die Zeitrechnung derselben wird von der unseren verschieden seyn müssen, da sie nicht mehr nach Tagen und Jahren zählen können. Vielleicht rechnen sie nur nach rothen und grünen Zeiten, oder nach gelben und blauen Tagen; vielleicht -- doch es ist besser, der Imagination meiner Leser nicht weiter vorzugreifen und ihnen die Vollendung dieses Gemäldes selbst zu überlassen, was ihnen keine Mühe machen kann, da sie ihrer Einbildungskraft keine Zügel anzulegen brauchen und da sie zu ihrem Bilde die Farben kaum zu lebhaft nehmen können. §. 224. (Geschichte der Entdeckung der Doppelsterne.) Wenn Doppelſterne. Himmel ſchwimmt in ihrem Purpurlichte. In wenig Stundenſchon folgt ihr eine andere, eine blaue, eine grüne Sonne, und plötzlich ändert ſich der Anblick der ganzen Natur. Neue Welten ſcheinen mit dieſen neuen Sonnen vor uns aufzugehen; Erde und Himmel ſind in ſtetem Wechſel begriffen und in Mitten aller dieſer Verwandlungen würden wir die Welt, würden wir uns ſelbſt nicht mehr erkennen. So lange die rothe Sonne ſcheint, wird unſere ganze Erde mit ihrem Roſenlichte übergoſſen ſeyn; wenn ſie untergegangen iſt, und die blaue oder grüne Sonne ſich erhebt, wird wieder alles, ſelbſt die Wüſte und das Meer mit einem azurnen oder ſmaragdenen Teppiche überzogen, und wenn endlich beide Sonnen zugleich über dem Horizonte ſtehen, und die ganze Natur von zwei complementären Farben beleuchtet wird, ſo werden alle Gegenſtände ihr früheres, buntes Kleid ablegen und in einer einförmigen, aſchgrauen Farbe zu trauern ſcheinen. Nicht mehr würden wir, wie bisher, die Dinge um uns an ihren Farben erkennen, da jeder Gegenſtand abwechſelnd in allen Farben er- ſcheinen muß, je nachdem er von dieſer oder von jener Sonne, oder von beiden zugleich beleuchtet wird. Der Himmel würde nicht mehr blau, die Wieſe nicht mehr grün, der Schnee nicht mehr weiß ſeyn, ſondern alles würde, je nach der Tageszeit, in allen Farben ſpielen. Wie ganz anders mag die Optik dieſer guten Leute, und die Farbengebung ihrer Maler beſchaffen ſeyn! Ja ſelbſt die Zeitrechnung derſelben wird von der unſeren verſchieden ſeyn müſſen, da ſie nicht mehr nach Tagen und Jahren zählen können. Vielleicht rechnen ſie nur nach rothen und grünen Zeiten, oder nach gelben und blauen Tagen; vielleicht — doch es iſt beſſer, der Imagination meiner Leſer nicht weiter vorzugreifen und ihnen die Vollendung dieſes Gemäldes ſelbſt zu überlaſſen, was ihnen keine Mühe machen kann, da ſie ihrer Einbildungskraft keine Zügel anzulegen brauchen und da ſie zu ihrem Bilde die Farben kaum zu lebhaft nehmen können. §. 224. (Geſchichte der Entdeckung der Doppelſterne.) Wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0362" n="352"/><fw place="top" type="header">Doppelſterne.</fw><lb/> Himmel ſchwimmt in ihrem Purpurlichte. In wenig Stunden<lb/> ſchon folgt ihr eine andere, eine blaue, eine grüne Sonne, und<lb/> plötzlich ändert ſich der Anblick der ganzen Natur. Neue Welten<lb/> ſcheinen mit dieſen neuen Sonnen vor uns aufzugehen; Erde und<lb/> Himmel ſind in ſtetem Wechſel begriffen und in Mitten aller<lb/> dieſer Verwandlungen würden wir die Welt, würden wir uns<lb/> ſelbſt nicht mehr erkennen. So lange die rothe Sonne ſcheint,<lb/> wird unſere ganze Erde mit ihrem Roſenlichte übergoſſen ſeyn;<lb/> wenn ſie untergegangen iſt, und die blaue oder grüne Sonne ſich<lb/> erhebt, wird wieder alles, ſelbſt die Wüſte und das Meer mit<lb/> einem azurnen oder ſmaragdenen Teppiche überzogen, und wenn<lb/> endlich beide Sonnen zugleich über dem Horizonte ſtehen, und die<lb/> ganze Natur von zwei complementären Farben beleuchtet wird, ſo<lb/> werden alle Gegenſtände ihr früheres, buntes Kleid ablegen und<lb/> in einer einförmigen, aſchgrauen Farbe zu trauern ſcheinen. Nicht<lb/> mehr würden wir, wie bisher, die Dinge um uns an ihren Farben<lb/> erkennen, da jeder Gegenſtand abwechſelnd in allen Farben er-<lb/> ſcheinen muß, je nachdem er von dieſer oder von jener Sonne,<lb/> oder von beiden zugleich beleuchtet wird. Der Himmel würde<lb/> nicht mehr blau, die Wieſe nicht mehr grün, der Schnee nicht<lb/> mehr weiß ſeyn, ſondern alles würde, je nach der Tageszeit, in<lb/> allen Farben ſpielen. Wie ganz anders mag die Optik dieſer<lb/> guten Leute, und die Farbengebung ihrer Maler beſchaffen ſeyn!<lb/> Ja ſelbſt die Zeitrechnung derſelben wird von der unſeren verſchieden<lb/> ſeyn müſſen, da ſie nicht mehr nach Tagen und Jahren zählen<lb/> können. Vielleicht rechnen ſie nur nach rothen und grünen Zeiten,<lb/> oder nach gelben und blauen Tagen; vielleicht — doch es iſt beſſer,<lb/> der Imagination meiner Leſer nicht weiter vorzugreifen und ihnen<lb/> die Vollendung dieſes Gemäldes ſelbſt zu überlaſſen, was ihnen<lb/> keine Mühe machen kann, da ſie ihrer Einbildungskraft keine<lb/> Zügel anzulegen brauchen und da ſie zu ihrem Bilde die Farben<lb/> kaum zu lebhaft nehmen können.</p><lb/> <p>§. 224. (Geſchichte der Entdeckung der Doppelſterne.) Wenn<lb/> das, was wir bisher über dieſe ſonderbaren Geſtirne mitgetheilt<lb/> haben, in Beziehung auf den Reichthum, der in dieſen Minen<lb/> wahrſcheinlich noch verborgen liegt, nur gering erſcheint, ſo mag<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0362]
Doppelſterne.
Himmel ſchwimmt in ihrem Purpurlichte. In wenig Stunden
ſchon folgt ihr eine andere, eine blaue, eine grüne Sonne, und
plötzlich ändert ſich der Anblick der ganzen Natur. Neue Welten
ſcheinen mit dieſen neuen Sonnen vor uns aufzugehen; Erde und
Himmel ſind in ſtetem Wechſel begriffen und in Mitten aller
dieſer Verwandlungen würden wir die Welt, würden wir uns
ſelbſt nicht mehr erkennen. So lange die rothe Sonne ſcheint,
wird unſere ganze Erde mit ihrem Roſenlichte übergoſſen ſeyn;
wenn ſie untergegangen iſt, und die blaue oder grüne Sonne ſich
erhebt, wird wieder alles, ſelbſt die Wüſte und das Meer mit
einem azurnen oder ſmaragdenen Teppiche überzogen, und wenn
endlich beide Sonnen zugleich über dem Horizonte ſtehen, und die
ganze Natur von zwei complementären Farben beleuchtet wird, ſo
werden alle Gegenſtände ihr früheres, buntes Kleid ablegen und
in einer einförmigen, aſchgrauen Farbe zu trauern ſcheinen. Nicht
mehr würden wir, wie bisher, die Dinge um uns an ihren Farben
erkennen, da jeder Gegenſtand abwechſelnd in allen Farben er-
ſcheinen muß, je nachdem er von dieſer oder von jener Sonne,
oder von beiden zugleich beleuchtet wird. Der Himmel würde
nicht mehr blau, die Wieſe nicht mehr grün, der Schnee nicht
mehr weiß ſeyn, ſondern alles würde, je nach der Tageszeit, in
allen Farben ſpielen. Wie ganz anders mag die Optik dieſer
guten Leute, und die Farbengebung ihrer Maler beſchaffen ſeyn!
Ja ſelbſt die Zeitrechnung derſelben wird von der unſeren verſchieden
ſeyn müſſen, da ſie nicht mehr nach Tagen und Jahren zählen
können. Vielleicht rechnen ſie nur nach rothen und grünen Zeiten,
oder nach gelben und blauen Tagen; vielleicht — doch es iſt beſſer,
der Imagination meiner Leſer nicht weiter vorzugreifen und ihnen
die Vollendung dieſes Gemäldes ſelbſt zu überlaſſen, was ihnen
keine Mühe machen kann, da ſie ihrer Einbildungskraft keine
Zügel anzulegen brauchen und da ſie zu ihrem Bilde die Farben
kaum zu lebhaft nehmen können.
§. 224. (Geſchichte der Entdeckung der Doppelſterne.) Wenn
das, was wir bisher über dieſe ſonderbaren Geſtirne mitgetheilt
haben, in Beziehung auf den Reichthum, der in dieſen Minen
wahrſcheinlich noch verborgen liegt, nur gering erſcheint, ſo mag
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |