Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.Die Sonne. den Körpern, wie sie uns die Natur gegeben hat, vornehmenmögen, sie bestehen alle nur in der Trennung oder Zusammenfü- gung ihrer Theile, und in einer unseren Zwecken gemäßen Ver- wandlung ihrer Gestalt. Wir schmelzen sie, um ihnen eine an- dere Gestalt zu geben, wir trennen die zusammengesetzten, um ihre uns nutzlosen oder schädlichen Theile zu entfernen, und wir ver- binden die getrennten wieder, um sie auch dadurch unsern Absich- ten dienstbar zu machen. In allen diesen Operationen ist die Wärme das wichtigste, oft das einzige Instrument. Auf ihren Wink er- weichen die härtesten Körper, das Gold wird Wachs, das Eisen Wasser, und die ganze Natur wird verändert, um unseren Be- dürfnissen, um unserem Vergnügen, oft selbst um unseren Einfällen zu gehorchen. Aber nicht bloß in unseren technischen, auch in unseren wis- Die Sonne. den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmenmögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü- gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver- wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an- dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver- binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich- ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er- weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be- dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen zu gehorchen. Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0039" n="29"/><fw place="top" type="header">Die Sonne.</fw><lb/> den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmen<lb/> mögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü-<lb/> gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver-<lb/> wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an-<lb/> dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre<lb/> uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver-<lb/> binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich-<lb/> ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme<lb/> das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er-<lb/> weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen<lb/> Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be-<lb/> dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen<lb/> zu gehorchen.</p><lb/> <p>Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ-<lb/> ſenſchaftlichen Arbeiten ſpielt dieſes Agens eine große, wichtige<lb/> Rolle. Wer in einer hellen Nacht den geſtirnten Himmel betrach-<lb/> tet, glaubt ſchon alles geſehen zu haben, wenn er die Größe und<lb/> die gegenſeitige Lage dieſer Geſtirne kennen gelernt hat. Der Aſtro-<lb/> nom aber weiß, daß er dieſen Himmel keineswegs ſo ſieht, wie<lb/> er in der That iſt, daß er ihn vielmehr durch eine große täu-<lb/> ſchende Linſe, durch eine Kugelſchaale von Luft ſieht, die alle<lb/> Gegenſtände gleich einem Hohlſpiegel verzerrt, und keinen derſel-<lb/> ben an ſeinem wahren Orte erſcheinen läßt. Er weiß, daß dieſe<lb/> optiſchen Täuſchungen mit der Entfernung der Geſtirne von dem<lb/> Horizonte, daß ſie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu<lb/> Stunde wechſeln, und daß dieſer Wechſel bloß von der ebenfalls<lb/> wechſelnden Wärme der Atmoſphäre kömmt. Selbſt das Inſtru-<lb/> ment, mit welchem er dieſe Veränderungen beobachtet, iſt wieder<lb/> ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur ſei-<lb/> ner Umgegend anders wird, ziehen ſich auch ſeine Theile zuſam-<lb/> men oder auseinander. Ein einziger Sonnenſtrahl, der auf ſein<lb/> Inſtrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde,<lb/> ja die den Beobachter ſelbſt umgebende Atmoſphäre ſeines eigenen<lb/> Körpers iſt ſchon im Stande, den metallenen Bogen ſeines Krei-<lb/> ſes zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange<lb/> genug an dem Himmel geſucht hat, während ſie ihre wahre Ur-<lb/> ſache in dem Inſtrumente oder in dem Beobachter ſelbſt hatten.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0039]
Die Sonne.
den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmen
mögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü-
gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver-
wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an-
dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre
uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver-
binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich-
ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme
das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er-
weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen
Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be-
dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen
zu gehorchen.
Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ-
ſenſchaftlichen Arbeiten ſpielt dieſes Agens eine große, wichtige
Rolle. Wer in einer hellen Nacht den geſtirnten Himmel betrach-
tet, glaubt ſchon alles geſehen zu haben, wenn er die Größe und
die gegenſeitige Lage dieſer Geſtirne kennen gelernt hat. Der Aſtro-
nom aber weiß, daß er dieſen Himmel keineswegs ſo ſieht, wie
er in der That iſt, daß er ihn vielmehr durch eine große täu-
ſchende Linſe, durch eine Kugelſchaale von Luft ſieht, die alle
Gegenſtände gleich einem Hohlſpiegel verzerrt, und keinen derſel-
ben an ſeinem wahren Orte erſcheinen läßt. Er weiß, daß dieſe
optiſchen Täuſchungen mit der Entfernung der Geſtirne von dem
Horizonte, daß ſie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu
Stunde wechſeln, und daß dieſer Wechſel bloß von der ebenfalls
wechſelnden Wärme der Atmoſphäre kömmt. Selbſt das Inſtru-
ment, mit welchem er dieſe Veränderungen beobachtet, iſt wieder
ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur ſei-
ner Umgegend anders wird, ziehen ſich auch ſeine Theile zuſam-
men oder auseinander. Ein einziger Sonnenſtrahl, der auf ſein
Inſtrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde,
ja die den Beobachter ſelbſt umgebende Atmoſphäre ſeines eigenen
Körpers iſt ſchon im Stande, den metallenen Bogen ſeines Krei-
ſes zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange
genug an dem Himmel geſucht hat, während ſie ihre wahre Ur-
ſache in dem Inſtrumente oder in dem Beobachter ſelbſt hatten.
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