Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sonne.
Mathematikern, wie Saunderson und Euler, anführen könnten,
bei welchen der Verlust ihres Augenlichtes den Verstand und die
Einbildungskraft noch zu schärfen schien. Das Licht ist demnach
gleichsam nur ein Gegenstand des Luxus der Natur, und wenig-
stens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher
spendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-
bigkeit aus, sondern sie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-
nomie, die sie sich bei allen den Gaben vorzuschreiben pflegt, die
bloß das Vergnügen ihrer Geschöpfe, nicht aber die unentbehrli-
chen Bedürfnisse derselben zum Zwecke haben.

Die Wärme aber hat sie überall und für alle mit der frei-
gebigsten Hand ausgetheilt. Dieses Geschenk findet sich zu allen
Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, selbst der unorgani-
sche, selbst der luftförmige enthält sie in reichlichem Maaße. Die
todte Masse des Wassers, der Erde, der Steine, und was wir
sehen, was wir nur durch irgend einen unserer Sinne erkennen,
ist damit angefüllt. Dem Einflusse der Wärme ist jene endlose
Verschiedenheit der Gestalten zuzuschreiben, die über die Erde ver-
breitet sind. Unser Festland, unsere Meere und Flüsse, unsere
Atmosphäre selbst könnten nicht einen Augenblick so bleiben, wie sie
sind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,
ohne sie, in eine rohe, starre, formlose Masse zusammen fallen.
Die Luft, die uns umgibt, müßte, sobald ihr die Wärme entzo-
gen würde, in eine dicke, harte Rinde zusammen schrumpfen,
welche die Erde rings umschließen, und alle ihre Geschöpfe in ein
einziges, großes, undurchdringliches Grab stürzen würde. Die
Wärme ist die Mutter und die Amme aller organischen Wesen,
und selbst die unorganischen entspringen nur aus ihrem Schooße.
Jeder Körper der Natur, wie grob seine Masse, oder wie fein
auch sein Gewebe seyn mag, verdankt seine Entstehung und seine
Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der
Natur, und sofort verschwindet auch alle Bewegung, alle Form-
gebung und alles Leben aus derselben, und das alte Chaos tritt
wieder in seine Rechte ein.

§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunst und Wissenschaft.)
Auch unsere Künste und Manufacturen können sie so wenig, als
die Natur selbst, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit

Die Sonne.
Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten,
bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die
Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach
gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig-
ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher
ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-
bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-
nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die
bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli-
chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben.

Die Wärme aber hat ſie überall und für alle mit der frei-
gebigſten Hand ausgetheilt. Dieſes Geſchenk findet ſich zu allen
Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, ſelbſt der unorgani-
ſche, ſelbſt der luftförmige enthält ſie in reichlichem Maaße. Die
todte Maſſe des Waſſers, der Erde, der Steine, und was wir
ſehen, was wir nur durch irgend einen unſerer Sinne erkennen,
iſt damit angefüllt. Dem Einfluſſe der Wärme iſt jene endloſe
Verſchiedenheit der Geſtalten zuzuſchreiben, die über die Erde ver-
breitet ſind. Unſer Feſtland, unſere Meere und Flüſſe, unſere
Atmoſphäre ſelbſt könnten nicht einen Augenblick ſo bleiben, wie ſie
ſind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,
ohne ſie, in eine rohe, ſtarre, formloſe Maſſe zuſammen fallen.
Die Luft, die uns umgibt, müßte, ſobald ihr die Wärme entzo-
gen würde, in eine dicke, harte Rinde zuſammen ſchrumpfen,
welche die Erde rings umſchließen, und alle ihre Geſchöpfe in ein
einziges, großes, undurchdringliches Grab ſtürzen würde. Die
Wärme iſt die Mutter und die Amme aller organiſchen Weſen,
und ſelbſt die unorganiſchen entſpringen nur aus ihrem Schooße.
Jeder Körper der Natur, wie grob ſeine Maſſe, oder wie fein
auch ſein Gewebe ſeyn mag, verdankt ſeine Entſtehung und ſeine
Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der
Natur, und ſofort verſchwindet auch alle Bewegung, alle Form-
gebung und alles Leben aus derſelben, und das alte Chaos tritt
wieder in ſeine Rechte ein.

§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.)
Auch unſere Künſte und Manufacturen können ſie ſo wenig, als
die Natur ſelbſt, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0038" n="28"/><fw place="top" type="header">Die Sonne.</fw><lb/>
Mathematikern, wie Saunder&#x017F;on und Euler, anführen könnten,<lb/>
bei welchen der Verlu&#x017F;t ihres Augenlichtes den Ver&#x017F;tand und die<lb/>
Einbildungskraft noch zu &#x017F;chärfen &#x017F;chien. Das Licht i&#x017F;t demnach<lb/>
gleich&#x017F;am nur ein Gegen&#x017F;tand des Luxus der Natur, und wenig-<lb/>
&#x017F;tens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher<lb/>
&#x017F;pendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-<lb/>
bigkeit aus, &#x017F;ondern &#x017F;ie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-<lb/>
nomie, die &#x017F;ie &#x017F;ich bei allen den Gaben vorzu&#x017F;chreiben pflegt, die<lb/>
bloß das Vergnügen ihrer Ge&#x017F;chöpfe, nicht aber die unentbehrli-<lb/>
chen Bedürfni&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben zum Zwecke haben.</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">Wärme</hi> aber hat &#x017F;ie überall und für alle mit der frei-<lb/>
gebig&#x017F;ten Hand ausgetheilt. Die&#x017F;es Ge&#x017F;chenk findet &#x017F;ich zu allen<lb/>
Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, &#x017F;elb&#x017F;t der unorgani-<lb/>
&#x017F;che, &#x017F;elb&#x017F;t der luftförmige enthält &#x017F;ie in reichlichem Maaße. Die<lb/>
todte Ma&#x017F;&#x017F;e des Wa&#x017F;&#x017F;ers, der Erde, der Steine, und was wir<lb/>
&#x017F;ehen, was wir nur durch irgend einen un&#x017F;erer Sinne erkennen,<lb/>
i&#x017F;t damit angefüllt. Dem Einflu&#x017F;&#x017F;e der Wärme i&#x017F;t jene endlo&#x017F;e<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit der Ge&#x017F;talten zuzu&#x017F;chreiben, die über die Erde ver-<lb/>
breitet &#x017F;ind. Un&#x017F;er Fe&#x017F;tland, un&#x017F;ere Meere und Flü&#x017F;&#x017F;e, un&#x017F;ere<lb/>
Atmo&#x017F;phäre &#x017F;elb&#x017F;t könnten nicht einen Augenblick &#x017F;o bleiben, wie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,<lb/>
ohne &#x017F;ie, in eine rohe, &#x017F;tarre, formlo&#x017F;e Ma&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;ammen fallen.<lb/>
Die Luft, die uns umgibt, müßte, &#x017F;obald ihr die Wärme entzo-<lb/>
gen würde, in eine dicke, harte Rinde zu&#x017F;ammen &#x017F;chrumpfen,<lb/>
welche die Erde rings um&#x017F;chließen, und alle ihre Ge&#x017F;chöpfe in ein<lb/>
einziges, großes, undurchdringliches Grab &#x017F;türzen würde. Die<lb/>
Wärme i&#x017F;t die Mutter und die Amme aller organi&#x017F;chen We&#x017F;en,<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t die unorgani&#x017F;chen ent&#x017F;pringen nur aus ihrem Schooße.<lb/>
Jeder Körper der Natur, wie grob &#x017F;eine Ma&#x017F;&#x017F;e, oder wie fein<lb/>
auch &#x017F;ein Gewebe &#x017F;eyn mag, verdankt &#x017F;eine Ent&#x017F;tehung und &#x017F;eine<lb/>
Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der<lb/>
Natur, und &#x017F;ofort ver&#x017F;chwindet auch alle Bewegung, alle Form-<lb/>
gebung und alles Leben aus der&#x017F;elben, und das alte Chaos tritt<lb/>
wieder in &#x017F;eine Rechte ein.</p><lb/>
              <p>§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.)<lb/>
Auch un&#x017F;ere Kün&#x017F;te und Manufacturen können &#x017F;ie &#x017F;o wenig, als<lb/>
die Natur &#x017F;elb&#x017F;t, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0038] Die Sonne. Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten, bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig- ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige- bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco- nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli- chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben. Die Wärme aber hat ſie überall und für alle mit der frei- gebigſten Hand ausgetheilt. Dieſes Geſchenk findet ſich zu allen Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, ſelbſt der unorgani- ſche, ſelbſt der luftförmige enthält ſie in reichlichem Maaße. Die todte Maſſe des Waſſers, der Erde, der Steine, und was wir ſehen, was wir nur durch irgend einen unſerer Sinne erkennen, iſt damit angefüllt. Dem Einfluſſe der Wärme iſt jene endloſe Verſchiedenheit der Geſtalten zuzuſchreiben, die über die Erde ver- breitet ſind. Unſer Feſtland, unſere Meere und Flüſſe, unſere Atmoſphäre ſelbſt könnten nicht einen Augenblick ſo bleiben, wie ſie ſind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde, ohne ſie, in eine rohe, ſtarre, formloſe Maſſe zuſammen fallen. Die Luft, die uns umgibt, müßte, ſobald ihr die Wärme entzo- gen würde, in eine dicke, harte Rinde zuſammen ſchrumpfen, welche die Erde rings umſchließen, und alle ihre Geſchöpfe in ein einziges, großes, undurchdringliches Grab ſtürzen würde. Die Wärme iſt die Mutter und die Amme aller organiſchen Weſen, und ſelbſt die unorganiſchen entſpringen nur aus ihrem Schooße. Jeder Körper der Natur, wie grob ſeine Maſſe, oder wie fein auch ſein Gewebe ſeyn mag, verdankt ſeine Entſtehung und ſeine Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der Natur, und ſofort verſchwindet auch alle Bewegung, alle Form- gebung und alles Leben aus derſelben, und das alte Chaos tritt wieder in ſeine Rechte ein. §. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.) Auch unſere Künſte und Manufacturen können ſie ſo wenig, als die Natur ſelbſt, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/38
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/38>, abgerufen am 23.11.2024.