Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.Die Sonne. Mathematikern, wie Saunderson und Euler, anführen könnten,bei welchen der Verlust ihres Augenlichtes den Verstand und die Einbildungskraft noch zu schärfen schien. Das Licht ist demnach gleichsam nur ein Gegenstand des Luxus der Natur, und wenig- stens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher spendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige- bigkeit aus, sondern sie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco- nomie, die sie sich bei allen den Gaben vorzuschreiben pflegt, die bloß das Vergnügen ihrer Geschöpfe, nicht aber die unentbehrli- chen Bedürfnisse derselben zum Zwecke haben. Die Wärme aber hat sie überall und für alle mit der frei- §. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunst und Wissenschaft.) Die Sonne. Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten,bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig- ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige- bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco- nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli- chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben. Die Wärme aber hat ſie überall und für alle mit der frei- §. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0038" n="28"/><fw place="top" type="header">Die Sonne.</fw><lb/> Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten,<lb/> bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die<lb/> Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach<lb/> gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig-<lb/> ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher<lb/> ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-<lb/> bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-<lb/> nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die<lb/> bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli-<lb/> chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Wärme</hi> aber hat ſie überall und für alle mit der frei-<lb/> gebigſten Hand ausgetheilt. Dieſes Geſchenk findet ſich zu allen<lb/> Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, ſelbſt der unorgani-<lb/> ſche, ſelbſt der luftförmige enthält ſie in reichlichem Maaße. Die<lb/> todte Maſſe des Waſſers, der Erde, der Steine, und was wir<lb/> ſehen, was wir nur durch irgend einen unſerer Sinne erkennen,<lb/> iſt damit angefüllt. Dem Einfluſſe der Wärme iſt jene endloſe<lb/> Verſchiedenheit der Geſtalten zuzuſchreiben, die über die Erde ver-<lb/> breitet ſind. Unſer Feſtland, unſere Meere und Flüſſe, unſere<lb/> Atmoſphäre ſelbſt könnten nicht einen Augenblick ſo bleiben, wie ſie<lb/> ſind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,<lb/> ohne ſie, in eine rohe, ſtarre, formloſe Maſſe zuſammen fallen.<lb/> Die Luft, die uns umgibt, müßte, ſobald ihr die Wärme entzo-<lb/> gen würde, in eine dicke, harte Rinde zuſammen ſchrumpfen,<lb/> welche die Erde rings umſchließen, und alle ihre Geſchöpfe in ein<lb/> einziges, großes, undurchdringliches Grab ſtürzen würde. Die<lb/> Wärme iſt die Mutter und die Amme aller organiſchen Weſen,<lb/> und ſelbſt die unorganiſchen entſpringen nur aus ihrem Schooße.<lb/> Jeder Körper der Natur, wie grob ſeine Maſſe, oder wie fein<lb/> auch ſein Gewebe ſeyn mag, verdankt ſeine Entſtehung und ſeine<lb/> Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der<lb/> Natur, und ſofort verſchwindet auch alle Bewegung, alle Form-<lb/> gebung und alles Leben aus derſelben, und das alte Chaos tritt<lb/> wieder in ſeine Rechte ein.</p><lb/> <p>§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.)<lb/> Auch unſere Künſte und Manufacturen können ſie ſo wenig, als<lb/> die Natur ſelbſt, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0038]
Die Sonne.
Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten,
bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die
Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach
gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig-
ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher
ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-
bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-
nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die
bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli-
chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben.
Die Wärme aber hat ſie überall und für alle mit der frei-
gebigſten Hand ausgetheilt. Dieſes Geſchenk findet ſich zu allen
Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, ſelbſt der unorgani-
ſche, ſelbſt der luftförmige enthält ſie in reichlichem Maaße. Die
todte Maſſe des Waſſers, der Erde, der Steine, und was wir
ſehen, was wir nur durch irgend einen unſerer Sinne erkennen,
iſt damit angefüllt. Dem Einfluſſe der Wärme iſt jene endloſe
Verſchiedenheit der Geſtalten zuzuſchreiben, die über die Erde ver-
breitet ſind. Unſer Feſtland, unſere Meere und Flüſſe, unſere
Atmoſphäre ſelbſt könnten nicht einen Augenblick ſo bleiben, wie ſie
ſind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,
ohne ſie, in eine rohe, ſtarre, formloſe Maſſe zuſammen fallen.
Die Luft, die uns umgibt, müßte, ſobald ihr die Wärme entzo-
gen würde, in eine dicke, harte Rinde zuſammen ſchrumpfen,
welche die Erde rings umſchließen, und alle ihre Geſchöpfe in ein
einziges, großes, undurchdringliches Grab ſtürzen würde. Die
Wärme iſt die Mutter und die Amme aller organiſchen Weſen,
und ſelbſt die unorganiſchen entſpringen nur aus ihrem Schooße.
Jeder Körper der Natur, wie grob ſeine Maſſe, oder wie fein
auch ſein Gewebe ſeyn mag, verdankt ſeine Entſtehung und ſeine
Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der
Natur, und ſofort verſchwindet auch alle Bewegung, alle Form-
gebung und alles Leben aus derſelben, und das alte Chaos tritt
wieder in ſeine Rechte ein.
§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.)
Auch unſere Künſte und Manufacturen können ſie ſo wenig, als
die Natur ſelbſt, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit
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