Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
Störungen der Planeten überhaupt.

§. 74. (V. Abgesonderte Betrachtung dieser Störungen.) Ja
selbst unter dieser Gestalt würden die Berechnungen der Stö-
rungen, die jeder Planet von allen übrigen erleidet, sehr schwer,
und selbst für den geübtesten und geduldigsten Rechner beinahe
unausführbar seyn, wenn man in der That alle diese Störungen
auf einmal bestimmen sollte. Um z. B. die Perturbationen, welche
die Erde von den übrigen Planeten in jedem Augenblicke erleidet,
zu bestimmen, sollte man, wenn man nach aller Strenge verfahren
wollte, zuerst die Störungen kennen, welche jeder dieser die Erde
störenden Planeten wieder von allen übrigen, die Erde selbst mit ein-
geschlossen, in diesem Augenblicke erfährt. Allein da, wie gesagt,
diese Störungen alle nur gering sind, so kann man sich, ohne
Nachtheil zu befürchten, erlauben, nur diejenigen Perturbationen
zu bestimmen, welche jeder einzelne Planet von jedem anderen
einzelnen Planeten unseres Sonnensystems unter der Voraussetzung
erleidet, daß dieser andere Planet selbst nicht weiter in seiner Bahn
gestört werde, sondern bloß in seiner reinen elliptischen Bewe-
gung um die Sonne gehe. Auf diese Weise ist unser Problem
eigentlich dahin gebracht, daß man nur immer drei Körper auf
einmal betrachtet, nämlich die Sonne, den störenden, und den von
ihm gestörten Planeten, und so ist das berühmte Problem der
drei Körper
entstanden, das größte und schwerste, das viel-
leicht je der menschliche Geiste erörterte, und dessen bloß genä-
herte Auflösung seit Newton, der es zuerst aufgestellt und
wenigstens in seinen vorzüglichsten Theilen gelöst hat, von den
vorzüglichsten Geometern und Astronomen, D'Alembert, Euler,
Laplace, Lagrange u. a. versucht, und erst in unsern Tagen zu
einem Grade der Vollkommenheit ausgebildet wurde, die wohl nur
wenig mehr zu wünschen übrig läßt.

§. 75. (Ueber Wahrheit und Annäherung zu derselben.) Wenn
es aber den Astronomen, aller ihrer Anstrengungen ungeachtet,
bisher doch nur gelungen ist, von dieser wichtigsten Aufgabe ihrer
Wissenschaft bloß eine genäherte Auflösung zu geben -- muß
man da nicht besorgen, daß diese Wissenschaft, die man doch so
oft die Königin aller andern nennen hört, noch sehr unvollkom-
men, und noch weit von der Vollendung entfernt ist, die sie allein
zu der Annahme einer solchen Benennung berechtigen könnte? --

Störungen der Planeten überhaupt.

§. 74. (V. Abgeſonderte Betrachtung dieſer Störungen.) Ja
ſelbſt unter dieſer Geſtalt würden die Berechnungen der Stö-
rungen, die jeder Planet von allen übrigen erleidet, ſehr ſchwer,
und ſelbſt für den geübteſten und geduldigſten Rechner beinahe
unausführbar ſeyn, wenn man in der That alle dieſe Störungen
auf einmal beſtimmen ſollte. Um z. B. die Perturbationen, welche
die Erde von den übrigen Planeten in jedem Augenblicke erleidet,
zu beſtimmen, ſollte man, wenn man nach aller Strenge verfahren
wollte, zuerſt die Störungen kennen, welche jeder dieſer die Erde
ſtörenden Planeten wieder von allen übrigen, die Erde ſelbſt mit ein-
geſchloſſen, in dieſem Augenblicke erfährt. Allein da, wie geſagt,
dieſe Störungen alle nur gering ſind, ſo kann man ſich, ohne
Nachtheil zu befürchten, erlauben, nur diejenigen Perturbationen
zu beſtimmen, welche jeder einzelne Planet von jedem anderen
einzelnen Planeten unſeres Sonnenſyſtems unter der Vorausſetzung
erleidet, daß dieſer andere Planet ſelbſt nicht weiter in ſeiner Bahn
geſtört werde, ſondern bloß in ſeiner reinen elliptiſchen Bewe-
gung um die Sonne gehe. Auf dieſe Weiſe iſt unſer Problem
eigentlich dahin gebracht, daß man nur immer drei Körper auf
einmal betrachtet, nämlich die Sonne, den ſtörenden, und den von
ihm geſtörten Planeten, und ſo iſt das berühmte Problem der
drei Körper
entſtanden, das größte und ſchwerſte, das viel-
leicht je der menſchliche Geiſte erörterte, und deſſen bloß genä-
herte Auflöſung ſeit Newton, der es zuerſt aufgeſtellt und
wenigſtens in ſeinen vorzüglichſten Theilen gelöst hat, von den
vorzüglichſten Geometern und Aſtronomen, D’Alembert, Euler,
Laplace, Lagrange u. a. verſucht, und erſt in unſern Tagen zu
einem Grade der Vollkommenheit ausgebildet wurde, die wohl nur
wenig mehr zu wünſchen übrig läßt.

§. 75. (Ueber Wahrheit und Annäherung zu derſelben.) Wenn
es aber den Aſtronomen, aller ihrer Anſtrengungen ungeachtet,
bisher doch nur gelungen iſt, von dieſer wichtigſten Aufgabe ihrer
Wiſſenſchaft bloß eine genäherte Auflöſung zu geben — muß
man da nicht beſorgen, daß dieſe Wiſſenſchaft, die man doch ſo
oft die Königin aller andern nennen hört, noch ſehr unvollkom-
men, und noch weit von der Vollendung entfernt iſt, die ſie allein
zu der Annahme einer ſolchen Benennung berechtigen könnte? —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0124" n="112"/>
              <fw place="top" type="header">Störungen der Planeten überhaupt.</fw><lb/>
              <p>§. 74. (<hi rendition="#aq">V.</hi> Abge&#x017F;onderte Betrachtung die&#x017F;er Störungen.) Ja<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t unter die&#x017F;er Ge&#x017F;talt würden die Berechnungen der Stö-<lb/>
rungen, die jeder Planet von allen übrigen erleidet, &#x017F;ehr &#x017F;chwer,<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t für den geübte&#x017F;ten und geduldig&#x017F;ten Rechner beinahe<lb/>
unausführbar &#x017F;eyn, wenn man in der That <hi rendition="#g">alle</hi> die&#x017F;e Störungen<lb/>
auf einmal be&#x017F;timmen &#x017F;ollte. Um z. B. die Perturbationen, welche<lb/>
die Erde von den übrigen Planeten in jedem Augenblicke erleidet,<lb/>
zu be&#x017F;timmen, &#x017F;ollte man, wenn man nach aller Strenge verfahren<lb/>
wollte, zuer&#x017F;t die Störungen kennen, welche jeder die&#x017F;er die Erde<lb/>
&#x017F;törenden Planeten wieder von allen übrigen, die Erde &#x017F;elb&#x017F;t mit ein-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, in die&#x017F;em Augenblicke erfährt. Allein da, wie ge&#x017F;agt,<lb/>
die&#x017F;e Störungen alle nur gering &#x017F;ind, &#x017F;o kann man &#x017F;ich, ohne<lb/>
Nachtheil zu befürchten, erlauben, nur diejenigen Perturbationen<lb/>
zu be&#x017F;timmen, welche jeder einzelne Planet von jedem anderen<lb/>
einzelnen Planeten un&#x017F;eres Sonnen&#x017F;y&#x017F;tems unter der Voraus&#x017F;etzung<lb/>
erleidet, daß die&#x017F;er andere Planet &#x017F;elb&#x017F;t nicht weiter in &#x017F;einer Bahn<lb/>
ge&#x017F;tört werde, &#x017F;ondern bloß in &#x017F;einer reinen ellipti&#x017F;chen Bewe-<lb/>
gung um die Sonne gehe. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e i&#x017F;t un&#x017F;er Problem<lb/>
eigentlich dahin gebracht, daß man nur immer <hi rendition="#g">drei</hi> Körper auf<lb/>
einmal betrachtet, nämlich die Sonne, den &#x017F;törenden, und den von<lb/>
ihm ge&#x017F;törten Planeten, und &#x017F;o i&#x017F;t das berühmte <hi rendition="#g">Problem der<lb/>
drei Körper</hi> ent&#x017F;tanden, das größte und &#x017F;chwer&#x017F;te, das viel-<lb/>
leicht je der men&#x017F;chliche Gei&#x017F;te erörterte, und de&#x017F;&#x017F;en bloß genä-<lb/>
herte Auflö&#x017F;ung &#x017F;eit Newton, der es zuer&#x017F;t aufge&#x017F;tellt und<lb/>
wenig&#x017F;tens in &#x017F;einen vorzüglich&#x017F;ten Theilen gelöst hat, von den<lb/>
vorzüglich&#x017F;ten Geometern und A&#x017F;tronomen, D&#x2019;Alembert, Euler,<lb/>
Laplace, Lagrange u. a. ver&#x017F;ucht, und er&#x017F;t in un&#x017F;ern Tagen zu<lb/>
einem Grade der Vollkommenheit ausgebildet wurde, die wohl nur<lb/>
wenig mehr zu wün&#x017F;chen übrig läßt.</p><lb/>
              <p>§. 75. (Ueber Wahrheit und Annäherung zu der&#x017F;elben.) Wenn<lb/>
es aber den A&#x017F;tronomen, aller ihrer An&#x017F;trengungen ungeachtet,<lb/>
bisher doch nur gelungen i&#x017F;t, von die&#x017F;er wichtig&#x017F;ten Aufgabe ihrer<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft bloß eine <hi rendition="#g">genäherte</hi> Auflö&#x017F;ung zu geben &#x2014; muß<lb/>
man da nicht be&#x017F;orgen, daß die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, die man doch &#x017F;o<lb/>
oft die Königin aller andern nennen hört, noch &#x017F;ehr unvollkom-<lb/>
men, und noch weit von der Vollendung entfernt i&#x017F;t, die &#x017F;ie allein<lb/>
zu der Annahme einer &#x017F;olchen Benennung berechtigen könnte? &#x2014;<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0124] Störungen der Planeten überhaupt. §. 74. (V. Abgeſonderte Betrachtung dieſer Störungen.) Ja ſelbſt unter dieſer Geſtalt würden die Berechnungen der Stö- rungen, die jeder Planet von allen übrigen erleidet, ſehr ſchwer, und ſelbſt für den geübteſten und geduldigſten Rechner beinahe unausführbar ſeyn, wenn man in der That alle dieſe Störungen auf einmal beſtimmen ſollte. Um z. B. die Perturbationen, welche die Erde von den übrigen Planeten in jedem Augenblicke erleidet, zu beſtimmen, ſollte man, wenn man nach aller Strenge verfahren wollte, zuerſt die Störungen kennen, welche jeder dieſer die Erde ſtörenden Planeten wieder von allen übrigen, die Erde ſelbſt mit ein- geſchloſſen, in dieſem Augenblicke erfährt. Allein da, wie geſagt, dieſe Störungen alle nur gering ſind, ſo kann man ſich, ohne Nachtheil zu befürchten, erlauben, nur diejenigen Perturbationen zu beſtimmen, welche jeder einzelne Planet von jedem anderen einzelnen Planeten unſeres Sonnenſyſtems unter der Vorausſetzung erleidet, daß dieſer andere Planet ſelbſt nicht weiter in ſeiner Bahn geſtört werde, ſondern bloß in ſeiner reinen elliptiſchen Bewe- gung um die Sonne gehe. Auf dieſe Weiſe iſt unſer Problem eigentlich dahin gebracht, daß man nur immer drei Körper auf einmal betrachtet, nämlich die Sonne, den ſtörenden, und den von ihm geſtörten Planeten, und ſo iſt das berühmte Problem der drei Körper entſtanden, das größte und ſchwerſte, das viel- leicht je der menſchliche Geiſte erörterte, und deſſen bloß genä- herte Auflöſung ſeit Newton, der es zuerſt aufgeſtellt und wenigſtens in ſeinen vorzüglichſten Theilen gelöst hat, von den vorzüglichſten Geometern und Aſtronomen, D’Alembert, Euler, Laplace, Lagrange u. a. verſucht, und erſt in unſern Tagen zu einem Grade der Vollkommenheit ausgebildet wurde, die wohl nur wenig mehr zu wünſchen übrig läßt. §. 75. (Ueber Wahrheit und Annäherung zu derſelben.) Wenn es aber den Aſtronomen, aller ihrer Anſtrengungen ungeachtet, bisher doch nur gelungen iſt, von dieſer wichtigſten Aufgabe ihrer Wiſſenſchaft bloß eine genäherte Auflöſung zu geben — muß man da nicht beſorgen, daß dieſe Wiſſenſchaft, die man doch ſo oft die Königin aller andern nennen hört, noch ſehr unvollkom- men, und noch weit von der Vollendung entfernt iſt, die ſie allein zu der Annahme einer ſolchen Benennung berechtigen könnte? —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/124
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/124>, abgerufen am 21.11.2024.