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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.

§. 68. (Instinct der Menschen.) Wir pflegen in der uns, wie
es scheint, schon angebornen Bescheidenheit unseren eigenen Werth
so hoch anzuschlagen, daß wir mit den anderen lebenden Wesen
auf dieser Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir spre-
chen ihnen erstens den Verstand ab und wollen zweitens nichts von
ihrem Instinct an uns haben, und -- wir irren uns wahrscheinlich in
beiden Fällen. Die meisten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen
uns, daß in unserm inneren, sogenannten geistigen Organismus ein
sehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge-
schöpfen Instinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiischen Be-
trachtung unserer Handlungen und beinahe aller unserer geistigen
Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen selbstge-
fällig zu schmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und
freie Wahl voraus, sondern meistens nur ein gewisses zwar dunk-
les, aber mächtig bestimmendes Gefühl, das Menschen von
glücklicher Organisation nur selten trügt, und das uns sicherer
leitet, als alles schulgerechte Raisonnement. Auch ist es jenes
dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir
Vernunftschlüsse nennen, meistens später, erst hinter jenem Gefühle,
nachkömmt und mehr dazu dient, jene erste Sensation zu control-
liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menschen, wie es scheint,
nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und sie schickt oft
schon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweise noch lange
nicht fertig sind. Auf diese Weise greift der Instinct beinahe im-
mer dem geschlossenen Urtheile vor. Das Brauchbarste im Leben
hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es
wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne selbst recht zu wissen,
auf welche Art. Am deutlichsten sehen wir dieß in jenen Dingen,
in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf diese Weise sehen:
ich meine, in unseren sogenannten hyperphysischen Wissenschaften.
Denn besteht nicht z. B. unsere Metaphysik, und unsere ganze
Philosophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns dessen etwas
deutlicher, oder -- soll ich sagen -- etwas gelehrter bewußt zu
machen, was wir auch ohne Metaphysik eigentlich schon längst
gewußt haben?

Die stärkste Leidenschaft unter allen, die des Menschen Herz be-
wegt, diejenige, die keinen Widerstand kennt und kein Opfer scheut,

Littrow's Himmel u. s. Wunder. III. 27
Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.

§. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie
es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth
ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen
auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre-
chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von
ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in
beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen
uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein
ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge-
ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be-
trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen
Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge-
fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und
freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk-
les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von
glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer
leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes
dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir
Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle,
nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control-
liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint,
nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft
ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange
nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im-
mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben
hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es
wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen,
auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen,
in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen:
ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften.
Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze
Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas
deutlicher, oder — ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu
machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt
gewußt haben?

Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be-
wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut,

Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 27
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[417/0429] Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente. §. 68. (Inſtinct der Menſchen.) Wir pflegen in der uns, wie es ſcheint, ſchon angebornen Beſcheidenheit unſeren eigenen Werth ſo hoch anzuſchlagen, daß wir mit den anderen lebenden Weſen auf dieſer Erde durchaus nichts gemein haben wollen. Wir ſpre- chen ihnen erſtens den Verſtand ab und wollen zweitens nichts von ihrem Inſtinct an uns haben, und — wir irren uns wahrſcheinlich in beiden Fällen. Die meiſten der vorhergehenden Bemerkungen zeigen uns, daß in unſerm inneren, ſogenannten geiſtigen Organismus ein ſehr großer Theil demjenigen angehört, was wir bei den übrigen Ge- ſchöpfen Inſtinct zu nennen pflegen. Bei einer unpartheiiſchen Be- trachtung unſerer Handlungen und beinahe aller unſerer geiſtigen Functionen geht keineswegs, wie wir uns wohl zuweilen ſelbſtge- fällig zu ſchmeicheln pflegen, Ueberlegung, Vernunftgrund und freie Wahl voraus, ſondern meiſtens nur ein gewiſſes zwar dunk- les, aber mächtig beſtimmendes Gefühl, das Menſchen von glücklicher Organiſation nur ſelten trügt, und das uns ſicherer leitet, als alles ſchulgerechte Raiſonnement. Auch iſt es jenes dunkle Gefühl, was uns zum Handeln führt, da das, was wir Vernunftſchlüſſe nennen, meiſtens ſpäter, erſt hinter jenem Gefühle, nachkömmt und mehr dazu dient, jene erſte Senſation zu control- liren. Die gütige Natur ließ es bei dem Menſchen, wie es ſcheint, nicht gern auf die Vernunft allein ankommen, und ſie ſchickt oft ſchon den Trieb über uns, wenn wir mit dem Beweiſe noch lange nicht fertig ſind. Auf dieſe Weiſe greift der Inſtinct beinahe im- mer dem geſchloſſenen Urtheile vor. Das Brauchbarſte im Leben hat gewöhnlich Jeder unter uns nicht von Andern gelernt: es wohnt uns bei, und wir kommen dazu, ohne ſelbſt recht zu wiſſen, auf welche Art. Am deutlichſten ſehen wir dieß in jenen Dingen, in welchen wir eigentlich nichts, als eben auf dieſe Weiſe ſehen: ich meine, in unſeren ſogenannten hyperphyſiſchen Wiſſenſchaften. Denn beſteht nicht z. B. unſere Metaphyſik, und unſere ganze Philoſophie dazu, eigentlich doch nur darin, uns deſſen etwas deutlicher, oder — ſoll ich ſagen — etwas gelehrter bewußt zu machen, was wir auch ohne Metaphyſik eigentlich ſchon längſt gewußt haben? Die ſtärkſte Leidenſchaft unter allen, die des Menſchen Herz be- wegt, diejenige, die keinen Widerſtand kennt und kein Opfer ſcheut, Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 27

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/429>, abgerufen am 01.11.2024.