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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Beschreibung und Gebrauch der astronom. Instrumente.

§. 72. (Wahrscheinlichkeitsrechnung bei Urtheilssprüchen.)
In solchen Gerichten, wo wichtige und schwere Verurtheilungen
ausgesprochen werden, müssen offenbar auch die stärksten Gründe
für die Existenz der zu strafenden Schuld vorausgeben, besonders
bei Todesstrafen, wo kein Ersatz mehr möglich ist. Mathemati-
sche Gewißheit ist hier meistens unmöglich, und doch muß das
Urtheil gefällt werden, weil durch die Ungestraftheit des Verbre-
chers die Sicherheit der Gesellschaft leidet. Man muß also we-
nigstens so starke Beweise für die wirkliche Existenz der Schuld
haben, daß die Gesellschaft weniger zu fürchten bat, wenn der
Beklagte unschuldig verurtheilt wird, als wenn er, schuldig und
freigesprochen, durch seine künftigen Attentate den Staat wieder
in neue Gefahren setzt.

Welches ist aber die Wahrscheinlichkeit, daß ein durch die
Mehrheit der Richter ausgesprochenes Urtheil in der That der
Gerechtigkeit angemessen ist? -- Die Majorität von bloß einer
Stimme in einem zahlreichen Tribunale zeigt an, daß der Ge-
genstand, um den es sich hier handelt, noch sehr zweifelhaft ist.
Wollte man aber z. B. bei jedem Todesurtheile die Totalität der
Stimmen fordern, so ist wohl die Wahrscheinlichkeit des Ausspruchs
sehr groß, aber dann würden auch gewiß zu viele Schuldige ungestraft
bleiben. Man muß daher entweder die Anzahl der Richter ver-
mindern, wenn man ihre Unanimität als Basis der Verurthei-
lung aufstellt, oder man muß die Majorität der Stimmen ver-
größern, wenn man nach der Simmenmehrheit urtheilen will.

Unsere Analyse zeigt darüber Folgendes. -- Wenn in einem
Tribunale z. B. von 8 Richtern schon 5 Stimmen zur Verurthei-
lung des Angeklagten hinreichen, so ist die W., daß die Sen-
tenz gerecht ist, gleich 0,746, also kleiner als 3/4, da sie doch
gleich 1 seyn sollte, wenn diese W. zur Gewißheit wird. Sind
nur 6 Richter und werden 4 Stimmen zum Urtheil erfordert,
so ist jene W. gleich 0,774, schon größer als 3/4, also auch
größer als zuvor. Der Angeklagte geht daher im zweiten
Falle, bei weniger Richtern, sicherer, als im ersten, obschon
in beiden Fällen die Majorität um dieselbe Größe 2 beträchtli-
cher ist, als die Minorität. Sind von 10 Richtern schon 6 zur
Majorität hinreichend, so ist die W. eines gerechten Urtheils

Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente.

§. 72. (Wahrſcheinlichkeitsrechnung bei Urtheilsſprüchen.)
In ſolchen Gerichten, wo wichtige und ſchwere Verurtheilungen
ausgeſprochen werden, müſſen offenbar auch die ſtärkſten Gründe
für die Exiſtenz der zu ſtrafenden Schuld vorausgeben, beſonders
bei Todesſtrafen, wo kein Erſatz mehr möglich iſt. Mathemati-
ſche Gewißheit iſt hier meiſtens unmöglich, und doch muß das
Urtheil gefällt werden, weil durch die Ungeſtraftheit des Verbre-
chers die Sicherheit der Geſellſchaft leidet. Man muß alſo we-
nigſtens ſo ſtarke Beweiſe für die wirkliche Exiſtenz der Schuld
haben, daß die Geſellſchaft weniger zu fürchten bat, wenn der
Beklagte unſchuldig verurtheilt wird, als wenn er, ſchuldig und
freigeſprochen, durch ſeine künftigen Attentate den Staat wieder
in neue Gefahren ſetzt.

Welches iſt aber die Wahrſcheinlichkeit, daß ein durch die
Mehrheit der Richter ausgeſprochenes Urtheil in der That der
Gerechtigkeit angemeſſen iſt? — Die Majorität von bloß einer
Stimme in einem zahlreichen Tribunale zeigt an, daß der Ge-
genſtand, um den es ſich hier handelt, noch ſehr zweifelhaft iſt.
Wollte man aber z. B. bei jedem Todesurtheile die Totalität der
Stimmen fordern, ſo iſt wohl die Wahrſcheinlichkeit des Ausſpruchs
ſehr groß, aber dann würden auch gewiß zu viele Schuldige ungeſtraft
bleiben. Man muß daher entweder die Anzahl der Richter ver-
mindern, wenn man ihre Unanimität als Baſis der Verurthei-
lung aufſtellt, oder man muß die Majorität der Stimmen ver-
größern, wenn man nach der Simmenmehrheit urtheilen will.

Unſere Analyſe zeigt darüber Folgendes. — Wenn in einem
Tribunale z. B. von 8 Richtern ſchon 5 Stimmen zur Verurthei-
lung des Angeklagten hinreichen, ſo iſt die W., daß die Sen-
tenz gerecht iſt, gleich 0,746, alſo kleiner als ¾, da ſie doch
gleich 1 ſeyn ſollte, wenn dieſe W. zur Gewißheit wird. Sind
nur 6 Richter und werden 4 Stimmen zum Urtheil erfordert,
ſo iſt jene W. gleich 0,774, ſchon größer als ¾, alſo auch
größer als zuvor. Der Angeklagte geht daher im zweiten
Falle, bei weniger Richtern, ſicherer, als im erſten, obſchon
in beiden Fällen die Majorität um dieſelbe Größe 2 beträchtli-
cher iſt, als die Minorität. Sind von 10 Richtern ſchon 6 zur
Majorität hinreichend, ſo iſt die W. eines gerechten Urtheils

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[425/0437] Beſchreibung und Gebrauch der aſtronom. Inſtrumente. §. 72. (Wahrſcheinlichkeitsrechnung bei Urtheilsſprüchen.) In ſolchen Gerichten, wo wichtige und ſchwere Verurtheilungen ausgeſprochen werden, müſſen offenbar auch die ſtärkſten Gründe für die Exiſtenz der zu ſtrafenden Schuld vorausgeben, beſonders bei Todesſtrafen, wo kein Erſatz mehr möglich iſt. Mathemati- ſche Gewißheit iſt hier meiſtens unmöglich, und doch muß das Urtheil gefällt werden, weil durch die Ungeſtraftheit des Verbre- chers die Sicherheit der Geſellſchaft leidet. Man muß alſo we- nigſtens ſo ſtarke Beweiſe für die wirkliche Exiſtenz der Schuld haben, daß die Geſellſchaft weniger zu fürchten bat, wenn der Beklagte unſchuldig verurtheilt wird, als wenn er, ſchuldig und freigeſprochen, durch ſeine künftigen Attentate den Staat wieder in neue Gefahren ſetzt. Welches iſt aber die Wahrſcheinlichkeit, daß ein durch die Mehrheit der Richter ausgeſprochenes Urtheil in der That der Gerechtigkeit angemeſſen iſt? — Die Majorität von bloß einer Stimme in einem zahlreichen Tribunale zeigt an, daß der Ge- genſtand, um den es ſich hier handelt, noch ſehr zweifelhaft iſt. Wollte man aber z. B. bei jedem Todesurtheile die Totalität der Stimmen fordern, ſo iſt wohl die Wahrſcheinlichkeit des Ausſpruchs ſehr groß, aber dann würden auch gewiß zu viele Schuldige ungeſtraft bleiben. Man muß daher entweder die Anzahl der Richter ver- mindern, wenn man ihre Unanimität als Baſis der Verurthei- lung aufſtellt, oder man muß die Majorität der Stimmen ver- größern, wenn man nach der Simmenmehrheit urtheilen will. Unſere Analyſe zeigt darüber Folgendes. — Wenn in einem Tribunale z. B. von 8 Richtern ſchon 5 Stimmen zur Verurthei- lung des Angeklagten hinreichen, ſo iſt die W., daß die Sen- tenz gerecht iſt, gleich 0,746, alſo kleiner als ¾, da ſie doch gleich 1 ſeyn ſollte, wenn dieſe W. zur Gewißheit wird. Sind nur 6 Richter und werden 4 Stimmen zum Urtheil erfordert, ſo iſt jene W. gleich 0,774, ſchon größer als ¾, alſo auch größer als zuvor. Der Angeklagte geht daher im zweiten Falle, bei weniger Richtern, ſicherer, als im erſten, obſchon in beiden Fällen die Majorität um dieſelbe Größe 2 beträchtli- cher iſt, als die Minorität. Sind von 10 Richtern ſchon 6 zur Majorität hinreichend, ſo iſt die W. eines gerechten Urtheils

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/437>, abgerufen am 01.11.2024.