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Löhe, Wilhelm: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Nürnberg, 1870.

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11.

Mel.: Nun komm der Heiden Heiland etc.

Bind zusammen Herz und Herz;
Laß uns trennen keinen Schmerz;
Knüpfe selbst durch deine Hand
Das geweihte Brüderband.
Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sei dem Höchsten allezeit,
Der, wie er ist Drei in Ein,
Uns in ihm läßt Eines sein!
12.
5. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver:

Wir wollen nun hören und kürzlich betrachten die Beschaffenheit der Barmherzigkeit und was sie für eine Tugend sei. Die Barmherzigkeit ist eine mitleidende Liebe und eine Bereitwilligkeit, dem Nächsten mit Rath, Hilfe und Trost beizuspringen, wenn er in Noth gerathen ist. Die Liebe insgemein betrachtet den Menschen in allem Zustand und sehnt sich, ihm Gutes zu erweisen; die Barmherzigkeit aber ist vornehmlich geschäftig und erzeigt sich, wenn sie ihn in Trübsal und Elend findet. Eine Mutter liebt ihr Kind allezeit und begleitet es mit ihrem Herzen und Augen allenthalben; wird es aber krank, so wird die Liebe gleichsam heftiger und erzeigt sich auf eine ausnehmende Weise: sie hebt und trägt das Kind; sie pflegt und wartet sein; sie spricht ihm freundlich zu; sie netzt es manchmal mit ihren Thränen, wann es matt und kraftlos in ihrem Schooße liegt, sie erquickt es und hilft ihm, wie sie kann und mag und wünscht, daß es bald aus der Gefahr gerißen und zu voriger Gesundheit gelangen möge. Dies alles thut sie aus innerlichem Antrieb ihres mütterlichen Herzens, welches die Noth des Kindes empfindet und seine Schmerzen gleichsam fühlt. So ist es auch mit der christlichen Liebe. Sie ist zwar allezeit auf den Nächsten gerichtet und hält ihn theuer und werth in ihrem Herzen; wenn er aber in Krankheit, in Armuth, in Verfolgung, in hartem Gefängnis und andrer Bedrängnis steckt; so wird sie desto brünstiger und trachtet, ihm auf allerlei Art, nach äußerstem Vermögen zu helfen,

11.

Mel.: Nun komm der Heiden Heiland etc.

Bind zusammen Herz und Herz;
Laß uns trennen keinen Schmerz;
Knüpfe selbst durch deine Hand
Das geweihte Brüderband.
Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sei dem Höchsten allezeit,
Der, wie er ist Drei in Ein,
Uns in ihm läßt Eines sein!
12.
5. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver:

Wir wollen nun hören und kürzlich betrachten die Beschaffenheit der Barmherzigkeit und was sie für eine Tugend sei. Die Barmherzigkeit ist eine mitleidende Liebe und eine Bereitwilligkeit, dem Nächsten mit Rath, Hilfe und Trost beizuspringen, wenn er in Noth gerathen ist. Die Liebe insgemein betrachtet den Menschen in allem Zustand und sehnt sich, ihm Gutes zu erweisen; die Barmherzigkeit aber ist vornehmlich geschäftig und erzeigt sich, wenn sie ihn in Trübsal und Elend findet. Eine Mutter liebt ihr Kind allezeit und begleitet es mit ihrem Herzen und Augen allenthalben; wird es aber krank, so wird die Liebe gleichsam heftiger und erzeigt sich auf eine ausnehmende Weise: sie hebt und trägt das Kind; sie pflegt und wartet sein; sie spricht ihm freundlich zu; sie netzt es manchmal mit ihren Thränen, wann es matt und kraftlos in ihrem Schooße liegt, sie erquickt es und hilft ihm, wie sie kann und mag und wünscht, daß es bald aus der Gefahr gerißen und zu voriger Gesundheit gelangen möge. Dies alles thut sie aus innerlichem Antrieb ihres mütterlichen Herzens, welches die Noth des Kindes empfindet und seine Schmerzen gleichsam fühlt. So ist es auch mit der christlichen Liebe. Sie ist zwar allezeit auf den Nächsten gerichtet und hält ihn theuer und werth in ihrem Herzen; wenn er aber in Krankheit, in Armuth, in Verfolgung, in hartem Gefängnis und andrer Bedrängnis steckt; so wird sie desto brünstiger und trachtet, ihm auf allerlei Art, nach äußerstem Vermögen zu helfen,

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[57/0057] 11. Mel.: Nun komm der Heiden Heiland etc. Bind zusammen Herz und Herz; Laß uns trennen keinen Schmerz; Knüpfe selbst durch deine Hand Das geweihte Brüderband. Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit Sei dem Höchsten allezeit, Der, wie er ist Drei in Ein, Uns in ihm läßt Eines sein! 12. 5. Lection. So predigt der treue Prediger Christian Scriver: Wir wollen nun hören und kürzlich betrachten die Beschaffenheit der Barmherzigkeit und was sie für eine Tugend sei. Die Barmherzigkeit ist eine mitleidende Liebe und eine Bereitwilligkeit, dem Nächsten mit Rath, Hilfe und Trost beizuspringen, wenn er in Noth gerathen ist. Die Liebe insgemein betrachtet den Menschen in allem Zustand und sehnt sich, ihm Gutes zu erweisen; die Barmherzigkeit aber ist vornehmlich geschäftig und erzeigt sich, wenn sie ihn in Trübsal und Elend findet. Eine Mutter liebt ihr Kind allezeit und begleitet es mit ihrem Herzen und Augen allenthalben; wird es aber krank, so wird die Liebe gleichsam heftiger und erzeigt sich auf eine ausnehmende Weise: sie hebt und trägt das Kind; sie pflegt und wartet sein; sie spricht ihm freundlich zu; sie netzt es manchmal mit ihren Thränen, wann es matt und kraftlos in ihrem Schooße liegt, sie erquickt es und hilft ihm, wie sie kann und mag und wünscht, daß es bald aus der Gefahr gerißen und zu voriger Gesundheit gelangen möge. Dies alles thut sie aus innerlichem Antrieb ihres mütterlichen Herzens, welches die Noth des Kindes empfindet und seine Schmerzen gleichsam fühlt. So ist es auch mit der christlichen Liebe. Sie ist zwar allezeit auf den Nächsten gerichtet und hält ihn theuer und werth in ihrem Herzen; wenn er aber in Krankheit, in Armuth, in Verfolgung, in hartem Gefängnis und andrer Bedrängnis steckt; so wird sie desto brünstiger und trachtet, ihm auf allerlei Art, nach äußerstem Vermögen zu helfen,

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Zitationshilfe: Löhe, Wilhelm: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Nürnberg, 1870, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loehe_neuendettelsau_1870/57>, abgerufen am 25.11.2024.