Lohenstein, Daniel Casper von: Agrippina. Breslau, 1665. 1. Die Tugenden. Jhr thör'chtes Volck/ die ihr der Tugend Licht 600.Die Sonne der Vernunfft nicht einmal könn't erblicken/ Weil der Begierden Dünst'euch zanbernde bestricken/ Wir sähnen uns nach euren Aepffeln nicht/ Die außen Gold/ innwendig Asche sind. Jhr lästert unsern Glantz; Alleine könn't ihr Raben 605.Uns Sonnen anzuschau'n wol Adlers-Augen haben? Geh't/ speiß't euch nur mit Aeßern Rauch' und Wind. Wir können Wolluft-Gifft leicht mißen/ Weil wir der Seele Milch genüßen. 2. Die Laster. Welch Nectar kan die Seele mehr erkwicken/ 610.Als Zucker süßer Libes-Brunst? Des Himmels Glantz/ den tausend Sternen schmücken/ Jst gegen Ehr' und Purper neblicht Dunst. Kein Honig-thau erfrisch't so durst'ge Saaten; Als Rachgier sich mit Feindes Blutt kühl't ab. 615.Jhr Armen müß't am Unglücks-feuer braten/ Biß unser Witz euch bring't beschimpf't in's Grab. Wie/ daß euch denn für Zucker Gallen/ Für Rosen Neßeln so gefallen? 2. Die Tugenden. Weichlinge brenn't der Keuschheit Neßel zwar; 620.Doch sie erhält die Lilg' und Brust für Fäul und Flecken. Der Scharlach saug't mehr Blut der Menschen/ als der Schnecken; Der Demuth Kleid bleibt Schwanen-rein und klar. Die Rachgier ist ihr eigen Seelen-Wurm. Die Sanfftmuth aber kühl't mit Unschuld ihr Gewissen. 625.Die Boßheit hat ihr Gifft ja was bezuckern müssen; Die stillste Lufft berg't Schifbruch/ Wind und Sturm. Zwar Tugend schmeck't den Lippen bitter/ Doch lab't ihr Nectar die Gemütter. 1. Die Gerechtigkeit. Ja/ libsten Kinder/ las't euch nicht die Wollust Zirzen Ver- B 4
1. Die Tugenden. Jhr thoͤr’chtes Volck/ die ihr der Tugend Licht 600.Die Sonne der Vernunfft nicht einmal koͤnn’t erblicken/ Weil der Begierden Duͤnſt’euch zanbernde beſtricken/ Wir ſaͤhnen uns nach euren Aepffeln nicht/ Die außen Gold/ innwendig Aſche ſind. Jhr laͤſtert unſern Glantz; Alleine koͤnn’t ihr Raben 605.Uns Sonnen anzuſchau’n wol Adlers-Augen haben? Geh’t/ ſpeiß’t euch nur mit Aeßern Rauch’ und Wind. Wir koͤnnen Wolluft-Gifft leicht mißen/ Weil wir der Seele Milch genuͤßen. 2. Die Laſter. Welch Nectar kan die Seele mehr erkwicken/ 610.Als Zucker ſuͤßer Libes-Brunſt? Des Himmels Glantz/ den tauſend Sternen ſchmuͤcken/ Jſt gegen Ehr’ und Purper neblicht Dunſt. Kein Honig-thau erfriſch’t ſo durſt’ge Saaten; Als Rachgier ſich mit Feindes Blutt kuͤhl’t ab. 615.Jhr Armen muͤß’t am Ungluͤcks-feuer braten/ Biß unſer Witz euch bring’t beſchimpf’t in’s Grab. Wie/ daß euch denn fuͤr Zucker Gallen/ Fuͤr Roſen Neßeln ſo gefallen? 2. Die Tugenden. Weichlinge brenn’t der Keuſchheit Neßel zwar; 620.Doch ſie erhaͤlt die Lilg’ und Bruſt fuͤr Faͤul und Flecken. Der Scharlach ſaug’t mehr Blut der Menſchen/ als der Schnecken; Der Demuth Kleid bleibt Schwanen-rein und klar. Die Rachgier iſt ihr eigen Seelen-Wurm. Die Sanfftmuth aber kuͤhl’t mit Unſchuld ihr Gewiſſen. 625.Die Boßheit hat ihr Gifft ja was bezuckern muͤſſen; Die ſtillſte Lufft berg’t Schifbruch/ Wind und Sturm. Zwar Tugend ſchmeck’t den Lippen bitter/ Doch lab’t ihr Nectar die Gemuͤtter. 1. Die Gerechtigkeit. Ja/ libſten Kinder/ laſ’t euch nicht die Wolluſt Zirzen Ver- B 4
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1. Die Tugenden.
Jhr thoͤr’chtes Volck/ die ihr der Tugend Licht
Die Sonne der Vernunfft nicht einmal koͤnn’t erblicken/
Weil der Begierden Duͤnſt’euch zanbernde beſtricken/
Wir ſaͤhnen uns nach euren Aepffeln nicht/
Die außen Gold/ innwendig Aſche ſind.
Jhr laͤſtert unſern Glantz; Alleine koͤnn’t ihr Raben
Uns Sonnen anzuſchau’n wol Adlers-Augen haben?
Geh’t/ ſpeiß’t euch nur mit Aeßern Rauch’ und Wind.
Wir koͤnnen Wolluft-Gifft leicht mißen/
Weil wir der Seele Milch genuͤßen.
2. Die Laſter.
Welch Nectar kan die Seele mehr erkwicken/
Als Zucker ſuͤßer Libes-Brunſt?
Des Himmels Glantz/ den tauſend Sternen ſchmuͤcken/
Jſt gegen Ehr’ und Purper neblicht Dunſt.
Kein Honig-thau erfriſch’t ſo durſt’ge Saaten;
Als Rachgier ſich mit Feindes Blutt kuͤhl’t ab.
Jhr Armen muͤß’t am Ungluͤcks-feuer braten/
Biß unſer Witz euch bring’t beſchimpf’t in’s Grab.
Wie/ daß euch denn fuͤr Zucker Gallen/
Fuͤr Roſen Neßeln ſo gefallen?
2. Die Tugenden.
Weichlinge brenn’t der Keuſchheit Neßel zwar;
Doch ſie erhaͤlt die Lilg’ und Bruſt fuͤr Faͤul und Flecken.
Der Scharlach ſaug’t mehr Blut der Menſchen/ als der
Schnecken;
Der Demuth Kleid bleibt Schwanen-rein und klar.
Die Rachgier iſt ihr eigen Seelen-Wurm.
Die Sanfftmuth aber kuͤhl’t mit Unſchuld ihr Gewiſſen.
Die Boßheit hat ihr Gifft ja was bezuckern muͤſſen;
Die ſtillſte Lufft berg’t Schifbruch/ Wind und Sturm.
Zwar Tugend ſchmeck’t den Lippen bitter/
Doch lab’t ihr Nectar die Gemuͤtter.
1. Die Gerechtigkeit.
Ja/ libſten Kinder/ laſ’t euch nicht die Wolluſt Zirzen
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B 4
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