Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] also muthmasten: daß die Bojen den König
Marbod oder seine Leiche suchten/ musten sie
doch daselbst verblasen/ weil der hald-tode und
ohnmächtige Marbod unmöglich weiter zu
bringen war. Daher schlepten sie den König
Marbod in die Höle/ zohen ihm seine Waffen
aus/ und erquickten ihn mit etlichen Hand-
volln Wasser aus einem dabey abrinnenden
Quelle. Also ist doch niemand/ wie viel tau-
send ihn gleich fürchten müssen/ nicht immer
der Furcht befreyet; und der mächtigste hat
nichts minder von einem schwächern Gefahr/
als aus einer kleinen Wolcke ein hefftiger Don-
nerschlag kommet/ und ein verschlossener Wind
gantze Gebürge umdrehet. Der verächtliche
Gottwald brachte es derogestalt so weit; daß
auf diesem hohen Gebürge der mächtige König
Marbod so tieff verfallen muste. Und also er-
eignet sich mehrmahls: daß dieselben sich kaum
mit einem Löffel Wasser laben können/ welche
kaum vorher der Besitz etlicher Meere und hun-
dert Flüsse nicht zu sättigen vermocht hat. Bey
anbrechendem Tage wolte Lichtenstein aus der
Höle kriechen/ um den eusserlichen Zustand zu
erkundigen/ und für ihre/ besonders aber Mar-
bods Wunden einige Kräuter aufzusuchen.
Wie er hiermit zurück in die Höle kam/ erblick-
te er zu hinterste einen grossen sich empor he-
benden Bären/ worüber er nach dem Degen
grieff/ und einen hellen Gall anzuruffen fieng/
um den nicht ferne davon liegenden Tannen-
berg zu ermuntern. Dieser sprang hierüber
auch auf/ und wolten sie beyde sich an dieses wil-
de Thier machen. Es kroch aber ein Eysgrauer
mit einer Bären-Haut bekleideter Mann/ des-
sen Bart ihm biß unter den Gürtel gieng/ hin-
ter einem Felsen herfür; und gab ihnen zu ver-
stehen: daß wo sie für keinem Menschen sich et-
was zu befahren hätten/ wären sie für diesem
sonst grimmigen Thiere allerdings sicher. Wie
nun aber Lichtenstein und Tannenberg ihre
Degen nicht bald einsteckten; fuhr der Alte
[Spaltenumbruch] fort: Stehet ausser Sorgen/ ihr Fremdlinge/
wer ihr auch seyd/ ich stehe für aller Gefahr und
Schaden. Denn nach dem die Menschen ge-
lernet haben grimmiger zu seyn/ als wilde
Thiere/ fangen diese an zahmer zu werden als
die Menschen. Die dem Alten aus dem leb-
hafften Antlitze sehende Redligkeit/ und seine
andächtige Gebährden verursachten bey beyden
alsbald ein Ehrerbietiges Ansehen; und der
Bär selbst streckte sich auf sein gegebenes Zei-
chen demüthigst zu Lichtensteins Füssen. Die-
ser hingegen grüste den Alten nunmehr mit
tieffer Verehrung als einen Halb-GOtt/ und
bat um die Auslegung seiner vorigen Worte.
Der Alte versetzte: Er sehe sie theils für seinen
Füssen/ theils trüge er sie an seinem Leibe. Denn
seine Kleider deuteten eine nicht geringe Ver-
wundung an; solche aber hätte schwerlich ein
reissender Bär oder Wolff/ sondern ein viel
blutbegieriger Thier verursacht. Dieses wäre
der Mensch/ welcher biß zum zehenden Jahre
einen Affen/ biß zum zwantzigsten einen Pfau-
en/ biß zum dreyßigsten einen Löwen/ ins vier-
zigste einen Fuchs/ ins funffzigste eine Schlan-
ge/ biß ins Grab einen unersättlichen und alles
Ertzt verdauenden Strauß abbildete; oder viel-
mehr iederzeit die Laster aller Thiere besässe/
zehn Bären aber sich kaum mit der Grausam-
keit eines Menschen betheilten. Ja weil kein
Thier in sein eigen Geschlechte so wütete/ würde
die Welt sicher friedlicher/ die Erde weniger
blutiger seyn/ wenn gleich Löwen/ Panther/ und
Tiger-Thiere die Oberherrschafft der Welt be-
haupteten. Es ist wahr/ antwortete Lichten-
stein. Denn da wir in dieser Bären-Höle nicht
mehr Erbarmnüß finden/ wird die Grausam-
keit gewiß noch unsern übrigen Lebens-Athem
ihr aufopffern. Erbärmlicher Zustand der
Menschen! ruffte dieser holdselige Alte/ wel-
chem zugleich die milden Zähren über die Ba-
cken lieffen/ und an seinem Barte wie Morgen-
Thau hängen blieben. Warlich! wenn die

Sonne

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] alſo muthmaſten: daß die Bojen den Koͤnig
Marbod oder ſeine Leiche ſuchten/ muſten ſie
doch daſelbſt verblaſen/ weil der hald-tode und
ohnmaͤchtige Marbod unmoͤglich weiter zu
bringen war. Daher ſchlepten ſie den Koͤnig
Marbod in die Hoͤle/ zohen ihm ſeine Waffen
aus/ und erquickten ihn mit etlichen Hand-
volln Waſſer aus einem dabey abrinnenden
Quelle. Alſo iſt doch niemand/ wie viel tau-
ſend ihn gleich fuͤrchten muͤſſen/ nicht immer
der Furcht befreyet; und der maͤchtigſte hat
nichts minder von einem ſchwaͤchern Gefahr/
als aus einer kleinen Wolcke ein hefftiger Don-
nerſchlag kommet/ und ein verſchloſſener Wind
gantze Gebuͤrge umdrehet. Der veraͤchtliche
Gottwald brachte es derogeſtalt ſo weit; daß
auf dieſem hohen Gebuͤrge der maͤchtige Koͤnig
Marbod ſo tieff verfallen muſte. Und alſo er-
eignet ſich mehrmahls: daß dieſelben ſich kaum
mit einem Loͤffel Waſſer laben koͤnnen/ welche
kaum vorher der Beſitz etlicher Meere und hun-
dert Fluͤſſe nicht zu ſaͤttigen vermocht hat. Bey
anbrechendem Tage wolte Lichtenſtein aus der
Hoͤle kriechen/ um den euſſerlichen Zuſtand zu
erkundigen/ und fuͤr ihre/ beſonders aber Mar-
bods Wunden einige Kraͤuter aufzuſuchen.
Wie er hiermit zuruͤck in die Hoͤle kam/ erblick-
te er zu hinterſte einen groſſen ſich empor he-
benden Baͤren/ woruͤber er nach dem Degen
grieff/ und einen hellen Gall anzuruffen fieng/
um den nicht ferne davon liegenden Tannen-
berg zu ermuntern. Dieſer ſprang hieruͤber
auch auf/ und wolten ſie beyde ſich an dieſes wil-
de Thier machen. Es kroch aber ein Eysgrauer
mit einer Baͤren-Haut bekleideter Mann/ deſ-
ſen Bart ihm biß unter den Guͤrtel gieng/ hin-
ter einem Felſen herfuͤr; und gab ihnen zu ver-
ſtehen: daß wo ſie fuͤr keinem Menſchen ſich et-
was zu befahren haͤtten/ waͤren ſie fuͤr dieſem
ſonſt grimmigen Thiere allerdings ſicher. Wie
nun aber Lichtenſtein und Tannenberg ihre
Degen nicht bald einſteckten; fuhr der Alte
[Spaltenumbruch] fort: Stehet auſſer Sorgen/ ihr Fremdlinge/
wer ihr auch ſeyd/ ich ſtehe fuͤr aller Gefahr und
Schaden. Denn nach dem die Menſchen ge-
lernet haben grimmiger zu ſeyn/ als wilde
Thiere/ fangen dieſe an zahmer zu werden als
die Menſchen. Die dem Alten aus dem leb-
hafften Antlitze ſehende Redligkeit/ und ſeine
andaͤchtige Gebaͤhrden verurſachten bey beyden
alsbald ein Ehrerbietiges Anſehen; und der
Baͤr ſelbſt ſtreckte ſich auf ſein gegebenes Zei-
chen demuͤthigſt zu Lichtenſteins Fuͤſſen. Die-
ſer hingegen gruͤſte den Alten nunmehr mit
tieffer Verehrung als einen Halb-GOtt/ und
bat um die Auslegung ſeiner vorigen Worte.
Der Alte verſetzte: Er ſehe ſie theils fuͤr ſeinen
Fuͤſſen/ theils truͤge er ſie an ſeinem Leibe. Denn
ſeine Kleider deuteten eine nicht geringe Ver-
wundung an; ſolche aber haͤtte ſchwerlich ein
reiſſender Baͤr oder Wolff/ ſondern ein viel
blutbegieriger Thier verurſacht. Dieſes waͤre
der Menſch/ welcher biß zum zehenden Jahre
einen Affen/ biß zum zwantzigſten einen Pfau-
en/ biß zum dreyßigſten einen Loͤwen/ ins vier-
zigſte einen Fuchs/ ins funffzigſte eine Schlan-
ge/ biß ins Grab einen unerſaͤttlichen und alles
Ertzt verdauenden Strauß abbildete; oder viel-
mehr iederzeit die Laſter aller Thiere beſaͤſſe/
zehn Baͤren aber ſich kaum mit der Grauſam-
keit eines Menſchen betheilten. Ja weil kein
Thier in ſein eigen Geſchlechte ſo wuͤtete/ wuͤrde
die Welt ſicher friedlicher/ die Erde weniger
blutiger ſeyn/ wenn gleich Loͤwen/ Panther/ und
Tiger-Thiere die Oberherꝛſchafft der Welt be-
haupteten. Es iſt wahr/ antwortete Lichten-
ſtein. Denn da wir in dieſer Baͤren-Hoͤle nicht
mehr Erbarmnuͤß finden/ wird die Grauſam-
keit gewiß noch unſern uͤbrigen Lebens-Athem
ihr aufopffern. Erbaͤrmlicher Zuſtand der
Menſchen! ruffte dieſer holdſelige Alte/ wel-
chem zugleich die milden Zaͤhren uͤber die Ba-
cken lieffen/ und an ſeinem Barte wie Morgen-
Thau haͤngen blieben. Warlich! wenn die

Sonne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1158" n="1094[1096]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebendes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
al&#x017F;o muthma&#x017F;ten: daß die Bojen den Ko&#x0364;nig<lb/>
Marbod oder &#x017F;eine Leiche &#x017F;uchten/ mu&#x017F;ten &#x017F;ie<lb/>
doch da&#x017F;elb&#x017F;t verbla&#x017F;en/ weil der hald-tode und<lb/>
ohnma&#x0364;chtige Marbod unmo&#x0364;glich weiter zu<lb/>
bringen war. Daher &#x017F;chlepten &#x017F;ie den Ko&#x0364;nig<lb/>
Marbod in die Ho&#x0364;le/ zohen ihm &#x017F;eine Waffen<lb/>
aus/ und erquickten ihn mit etlichen Hand-<lb/>
volln Wa&#x017F;&#x017F;er aus einem dabey abrinnenden<lb/>
Quelle. Al&#x017F;o i&#x017F;t doch niemand/ wie viel tau-<lb/>
&#x017F;end ihn gleich fu&#x0364;rchten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ nicht immer<lb/>
der Furcht befreyet; und der ma&#x0364;chtig&#x017F;te hat<lb/>
nichts minder von einem &#x017F;chwa&#x0364;chern Gefahr/<lb/>
als aus einer kleinen Wolcke ein hefftiger Don-<lb/>
ner&#x017F;chlag kommet/ und ein ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Wind<lb/>
gantze Gebu&#x0364;rge umdrehet. Der vera&#x0364;chtliche<lb/>
Gottwald brachte es deroge&#x017F;talt &#x017F;o weit; daß<lb/>
auf die&#x017F;em hohen Gebu&#x0364;rge der ma&#x0364;chtige Ko&#x0364;nig<lb/>
Marbod &#x017F;o tieff verfallen mu&#x017F;te. Und al&#x017F;o er-<lb/>
eignet &#x017F;ich mehrmahls: daß die&#x017F;elben &#x017F;ich kaum<lb/>
mit einem Lo&#x0364;ffel Wa&#x017F;&#x017F;er laben ko&#x0364;nnen/ welche<lb/>
kaum vorher der Be&#x017F;itz etlicher Meere und hun-<lb/>
dert Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nicht zu &#x017F;a&#x0364;ttigen vermocht hat. Bey<lb/>
anbrechendem Tage wolte Lichten&#x017F;tein aus der<lb/>
Ho&#x0364;le kriechen/ um den eu&#x017F;&#x017F;erlichen Zu&#x017F;tand zu<lb/>
erkundigen/ und fu&#x0364;r ihre/ be&#x017F;onders aber Mar-<lb/>
bods Wunden einige Kra&#x0364;uter aufzu&#x017F;uchen.<lb/>
Wie er hiermit zuru&#x0364;ck in die Ho&#x0364;le kam/ erblick-<lb/>
te er zu hinter&#x017F;te einen gro&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich empor he-<lb/>
benden Ba&#x0364;ren/ woru&#x0364;ber er nach dem Degen<lb/>
grieff/ und einen hellen Gall anzuruffen fieng/<lb/>
um den nicht ferne davon liegenden Tannen-<lb/>
berg zu ermuntern. Die&#x017F;er &#x017F;prang hieru&#x0364;ber<lb/>
auch auf/ und wolten &#x017F;ie beyde &#x017F;ich an die&#x017F;es wil-<lb/>
de Thier machen. Es kroch aber ein Eysgrauer<lb/>
mit einer Ba&#x0364;ren-Haut bekleideter Mann/ de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Bart ihm biß unter den Gu&#x0364;rtel gieng/ hin-<lb/>
ter einem Fel&#x017F;en herfu&#x0364;r; und gab ihnen zu ver-<lb/>
&#x017F;tehen: daß wo &#x017F;ie fu&#x0364;r keinem Men&#x017F;chen &#x017F;ich et-<lb/>
was zu befahren ha&#x0364;tten/ wa&#x0364;ren &#x017F;ie fu&#x0364;r die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t grimmigen Thiere allerdings &#x017F;icher. Wie<lb/>
nun aber Lichten&#x017F;tein und Tannenberg ihre<lb/>
Degen nicht bald ein&#x017F;teckten; fuhr der Alte<lb/><cb/>
fort: Stehet au&#x017F;&#x017F;er Sorgen/ ihr Fremdlinge/<lb/>
wer ihr auch &#x017F;eyd/ ich &#x017F;tehe fu&#x0364;r aller Gefahr und<lb/>
Schaden. Denn nach dem die Men&#x017F;chen ge-<lb/>
lernet haben grimmiger zu &#x017F;eyn/ als wilde<lb/>
Thiere/ fangen die&#x017F;e an zahmer zu werden als<lb/>
die Men&#x017F;chen. Die dem Alten aus dem leb-<lb/>
hafften Antlitze &#x017F;ehende Redligkeit/ und &#x017F;eine<lb/>
anda&#x0364;chtige Geba&#x0364;hrden verur&#x017F;achten bey beyden<lb/>
alsbald ein Ehrerbietiges An&#x017F;ehen; und der<lb/>
Ba&#x0364;r &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;treckte &#x017F;ich auf &#x017F;ein gegebenes Zei-<lb/>
chen demu&#x0364;thig&#x017F;t zu Lichten&#x017F;teins Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Die-<lb/>
&#x017F;er hingegen gru&#x0364;&#x017F;te den Alten nunmehr mit<lb/>
tieffer Verehrung als einen Halb-GOtt/ und<lb/>
bat um die Auslegung &#x017F;einer vorigen Worte.<lb/>
Der Alte ver&#x017F;etzte: Er &#x017F;ehe &#x017F;ie theils fu&#x0364;r &#x017F;einen<lb/>
Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ theils tru&#x0364;ge er &#x017F;ie an &#x017F;einem Leibe. Denn<lb/>
&#x017F;eine Kleider deuteten eine nicht geringe Ver-<lb/>
wundung an; &#x017F;olche aber ha&#x0364;tte &#x017F;chwerlich ein<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;ender Ba&#x0364;r oder Wolff/ &#x017F;ondern ein viel<lb/>
blutbegieriger Thier verur&#x017F;acht. Die&#x017F;es wa&#x0364;re<lb/>
der Men&#x017F;ch/ welcher biß zum zehenden Jahre<lb/>
einen Affen/ biß zum zwantzig&#x017F;ten einen Pfau-<lb/>
en/ biß zum dreyßig&#x017F;ten einen Lo&#x0364;wen/ ins vier-<lb/>
zig&#x017F;te einen Fuchs/ ins funffzig&#x017F;te eine Schlan-<lb/>
ge/ biß ins Grab einen uner&#x017F;a&#x0364;ttlichen und alles<lb/>
Ertzt verdauenden Strauß abbildete; oder viel-<lb/>
mehr iederzeit die La&#x017F;ter aller Thiere be&#x017F;a&#x0364;&#x017F;&#x017F;e/<lb/>
zehn Ba&#x0364;ren aber &#x017F;ich kaum mit der Grau&#x017F;am-<lb/>
keit eines Men&#x017F;chen betheilten. Ja weil kein<lb/>
Thier in &#x017F;ein eigen Ge&#x017F;chlechte &#x017F;o wu&#x0364;tete/ wu&#x0364;rde<lb/>
die Welt &#x017F;icher friedlicher/ die Erde weniger<lb/>
blutiger &#x017F;eyn/ wenn gleich Lo&#x0364;wen/ Panther/ und<lb/>
Tiger-Thiere die Oberher&#xA75B;&#x017F;chafft der Welt be-<lb/>
haupteten. Es i&#x017F;t wahr/ antwortete Lichten-<lb/>
&#x017F;tein. Denn da wir in die&#x017F;er Ba&#x0364;ren-Ho&#x0364;le nicht<lb/>
mehr Erbarmnu&#x0364;ß finden/ wird die Grau&#x017F;am-<lb/>
keit gewiß noch un&#x017F;ern u&#x0364;brigen Lebens-Athem<lb/>
ihr aufopffern. Erba&#x0364;rmlicher Zu&#x017F;tand der<lb/>
Men&#x017F;chen! ruffte die&#x017F;er hold&#x017F;elige Alte/ wel-<lb/>
chem zugleich die milden Za&#x0364;hren u&#x0364;ber die Ba-<lb/>
cken lieffen/ und an &#x017F;einem Barte wie Morgen-<lb/>
Thau ha&#x0364;ngen blieben. Warlich! wenn die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sonne</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1094[1096]/1158] Siebendes Buch alſo muthmaſten: daß die Bojen den Koͤnig Marbod oder ſeine Leiche ſuchten/ muſten ſie doch daſelbſt verblaſen/ weil der hald-tode und ohnmaͤchtige Marbod unmoͤglich weiter zu bringen war. Daher ſchlepten ſie den Koͤnig Marbod in die Hoͤle/ zohen ihm ſeine Waffen aus/ und erquickten ihn mit etlichen Hand- volln Waſſer aus einem dabey abrinnenden Quelle. Alſo iſt doch niemand/ wie viel tau- ſend ihn gleich fuͤrchten muͤſſen/ nicht immer der Furcht befreyet; und der maͤchtigſte hat nichts minder von einem ſchwaͤchern Gefahr/ als aus einer kleinen Wolcke ein hefftiger Don- nerſchlag kommet/ und ein verſchloſſener Wind gantze Gebuͤrge umdrehet. Der veraͤchtliche Gottwald brachte es derogeſtalt ſo weit; daß auf dieſem hohen Gebuͤrge der maͤchtige Koͤnig Marbod ſo tieff verfallen muſte. Und alſo er- eignet ſich mehrmahls: daß dieſelben ſich kaum mit einem Loͤffel Waſſer laben koͤnnen/ welche kaum vorher der Beſitz etlicher Meere und hun- dert Fluͤſſe nicht zu ſaͤttigen vermocht hat. Bey anbrechendem Tage wolte Lichtenſtein aus der Hoͤle kriechen/ um den euſſerlichen Zuſtand zu erkundigen/ und fuͤr ihre/ beſonders aber Mar- bods Wunden einige Kraͤuter aufzuſuchen. Wie er hiermit zuruͤck in die Hoͤle kam/ erblick- te er zu hinterſte einen groſſen ſich empor he- benden Baͤren/ woruͤber er nach dem Degen grieff/ und einen hellen Gall anzuruffen fieng/ um den nicht ferne davon liegenden Tannen- berg zu ermuntern. Dieſer ſprang hieruͤber auch auf/ und wolten ſie beyde ſich an dieſes wil- de Thier machen. Es kroch aber ein Eysgrauer mit einer Baͤren-Haut bekleideter Mann/ deſ- ſen Bart ihm biß unter den Guͤrtel gieng/ hin- ter einem Felſen herfuͤr; und gab ihnen zu ver- ſtehen: daß wo ſie fuͤr keinem Menſchen ſich et- was zu befahren haͤtten/ waͤren ſie fuͤr dieſem ſonſt grimmigen Thiere allerdings ſicher. Wie nun aber Lichtenſtein und Tannenberg ihre Degen nicht bald einſteckten; fuhr der Alte fort: Stehet auſſer Sorgen/ ihr Fremdlinge/ wer ihr auch ſeyd/ ich ſtehe fuͤr aller Gefahr und Schaden. Denn nach dem die Menſchen ge- lernet haben grimmiger zu ſeyn/ als wilde Thiere/ fangen dieſe an zahmer zu werden als die Menſchen. Die dem Alten aus dem leb- hafften Antlitze ſehende Redligkeit/ und ſeine andaͤchtige Gebaͤhrden verurſachten bey beyden alsbald ein Ehrerbietiges Anſehen; und der Baͤr ſelbſt ſtreckte ſich auf ſein gegebenes Zei- chen demuͤthigſt zu Lichtenſteins Fuͤſſen. Die- ſer hingegen gruͤſte den Alten nunmehr mit tieffer Verehrung als einen Halb-GOtt/ und bat um die Auslegung ſeiner vorigen Worte. Der Alte verſetzte: Er ſehe ſie theils fuͤr ſeinen Fuͤſſen/ theils truͤge er ſie an ſeinem Leibe. Denn ſeine Kleider deuteten eine nicht geringe Ver- wundung an; ſolche aber haͤtte ſchwerlich ein reiſſender Baͤr oder Wolff/ ſondern ein viel blutbegieriger Thier verurſacht. Dieſes waͤre der Menſch/ welcher biß zum zehenden Jahre einen Affen/ biß zum zwantzigſten einen Pfau- en/ biß zum dreyßigſten einen Loͤwen/ ins vier- zigſte einen Fuchs/ ins funffzigſte eine Schlan- ge/ biß ins Grab einen unerſaͤttlichen und alles Ertzt verdauenden Strauß abbildete; oder viel- mehr iederzeit die Laſter aller Thiere beſaͤſſe/ zehn Baͤren aber ſich kaum mit der Grauſam- keit eines Menſchen betheilten. Ja weil kein Thier in ſein eigen Geſchlechte ſo wuͤtete/ wuͤrde die Welt ſicher friedlicher/ die Erde weniger blutiger ſeyn/ wenn gleich Loͤwen/ Panther/ und Tiger-Thiere die Oberherꝛſchafft der Welt be- haupteten. Es iſt wahr/ antwortete Lichten- ſtein. Denn da wir in dieſer Baͤren-Hoͤle nicht mehr Erbarmnuͤß finden/ wird die Grauſam- keit gewiß noch unſern uͤbrigen Lebens-Athem ihr aufopffern. Erbaͤrmlicher Zuſtand der Menſchen! ruffte dieſer holdſelige Alte/ wel- chem zugleich die milden Zaͤhren uͤber die Ba- cken lieffen/ und an ſeinem Barte wie Morgen- Thau haͤngen blieben. Warlich! wenn die Sonne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1158
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1094[1096]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1158>, abgerufen am 23.11.2024.