Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] che für Treue und Zuneigung annimmt; da es
den Fürsten doch nur in seinen Lastern einschlä-
fet/ und auf Vergrösserung der Heuchler ange-
zielet ist. Diese öffnen die Ohren ihres Fürsten
gegen die Sirenen-Lieder der reitzenden Wol-
lüste/ verstopffen sie aber gegen dem Schalle der
heilsamen Warheit. Sie sind die Spinnen/
welche mit ihrem Kothe die Tugend besudeln/
mit ihrem Gewebe den Abgrund des Verter-
bens überspinnen/ mit ihrem Giffte die Seele
des Königs und den Wolstand der Völcker töd-
ten. Wie viel heilsamer ist es den Fürsten ge-
hast/ als geliebkoset zu seyn. Denn der Haß ist
ein aufrichtiger Spiegel/ welcher uns unsere
Flecken deutlich für Augen stellt/ und sie abzu-
wischen uns erinnert. Die Heucheley aber ver-
deckt sie nicht nur/ sondern überfirnset sie auch
mit dem Kleister grosser Helden-Tugenden;
für welche ich Verleiteter auch vielmahl die
grausamsten Tugenden angesehen habe. Aber/
weiser Vater/ würdige den nun auch einer heil-
samen Artzney/ dessen Gemüths-Wunden du
ihm auffs Lebendige gerühret/ und dessen Seu-
chen du ihm entdeckt hast. Dem Einsiedler gefiel
dieses Erkäntnüß so wol: daß er Mitleiden mit
Marbods Verbrechen hatte/ und ihm antwor-
tete: Er wäre bereit auf dem rechten Wege sein
Hülffs-Mittel zu finden. Aber Marbod ver-
setzte: Er würde selbtes dennoch verfehlen/ wenn
er ihn nicht mit der Hand darzu leitete. Denn
wie die Natur in den Augen einen nicht gerin-
gen Fehler begangen hätte: daß sie alles andere/
sich alleine selbst nicht sehen könten; also wisse
der stets irrende Mensch ihm auch selten selbst zu
rechte zu helffen; und wie er über andere Feh-
ler Luchs-Augen hätte/ also wäre er in seinen
eigenen blinder/ als ein Maulwurff. Daß er
derogestalt die Heßligkeit seiner viehischen Ver-
stellung/ der Zornige nicht seine verdrehte Au-
gen/ der Wollüstige nicht seine thörichte Ge-
behrdung; weniger aber sein Heil erkennen kan.
Der Einsiedler fieng an: Jch spüre diese Blind-
[Spaltenumbruch] heit mehr denn zu viel an dir. Denn du hast das
Kraut zu deiner Genesung in Händen/ und sie-
hest es gleichwol nicht. Wolte GOtt! antwor-
tete Marbod; es wäre nicht allein so nahe bey
mir/ sondern auch nicht unsichtbar. Sich selbst
kennen/ fieng der treuhertzige Einsiedel an; ist
die Artzney wieder alle Gemüths-Schwachhei-
ten; und so allgemein: daß sie Königen und
Kohlbrennern anschlägt/ die Wurtzel aller
Vergnügung/ und der Pfeiler unser Glückse-
ligkeit ist. Denn/ was hilfft es alle andere Din-
ge kennen; wenn man ihm selbst unbekandt ist?
wiewol auch der schwerlich was anders kennen
kan; der sich selbst nie betrachtet/ oder seiner ver-
gessen hat. Alle andere Thiere kennen sich; und
ihr eingebohrner Trieb leitet sie zu allem/ was
ihre Erhaltung erfordert. Der schädliche Scor-
pion fleucht das Scorpionen-Kraut/ die
Schlange den Schatten der Eschbäume/ als ihr
tödtliches Gifft. Die verwundete Gemse kennet
ihr Wund-Kraut; und der Hirsch weiß ein
Mittel: daß ihm die Natter nicht schade; welche
er mit seinem Athem aus den Steinritzen gezo-
gen hat. Der elende Mensch allein kennet we-
der sich/ noch sein Gutes; sondern erquicket sich
am Giffte/ rennet in sein eigen Verterben/
verwundet sich mit seinem eigenen Messer; weil
er den Funcken der Göttligkeit/ nehmlich die
Vernunfft nicht zu Rathe nimmt/ und das edle
Kleinod des freyen Willens so schändlich miß-
braucht; und sich dardurch derogestalt verstel-
let: daß Socrates/ welchen doch die Gött-
liche Wahrsagung für den weisesten Men-
schen erklärt hatte/ an ihm selbst nicht ohne
Ursache zweiffelt: ob er ein rechter Mensch
oder ander Thier sey; und daß der so weise
Lehrmeister des Achilles Chiron sich nur für
einen Halb Menschen gelten läst; sein nie-
driges Theil aber zum Pferde macht; ja
die Weisen gar artlich die viehischen Nei-
gungen des Menschen dardurch für gebil-
det haben: daß Prometheus bey Bildung

des

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] che fuͤr Treue und Zuneigung annimmt; da es
den Fuͤrſten doch nur in ſeinen Laſtern einſchlaͤ-
fet/ und auf Vergroͤſſerung der Heuchler ange-
zielet iſt. Dieſe oͤffnen die Ohren ihres Fuͤrſten
gegen die Sirenen-Lieder der reitzenden Wol-
luͤſte/ verſtopffen ſie aber gegen dem Schalle der
heilſamen Warheit. Sie ſind die Spinnen/
welche mit ihrem Kothe die Tugend beſudeln/
mit ihrem Gewebe den Abgrund des Verter-
bens uͤberſpinnen/ mit ihrem Giffte die Seele
des Koͤnigs und den Wolſtand der Voͤlcker toͤd-
ten. Wie viel heilſamer iſt es den Fuͤrſten ge-
haſt/ als geliebkoſet zu ſeyn. Denn der Haß iſt
ein aufrichtiger Spiegel/ welcher uns unſere
Flecken deutlich fuͤr Augen ſtellt/ und ſie abzu-
wiſchen uns erinnert. Die Heucheley aber ver-
deckt ſie nicht nur/ ſondern uͤberfirnſet ſie auch
mit dem Kleiſter groſſer Helden-Tugenden;
fuͤr welche ich Verleiteter auch vielmahl die
grauſamſten Tugenden angeſehen habe. Aber/
weiſer Vater/ wuͤrdige den nun auch einer heil-
ſamen Artzney/ deſſen Gemuͤths-Wunden du
ihm auffs Lebendige geruͤhret/ und deſſen Seu-
chen du ihm entdeckt haſt. Dem Einſiedler gefiel
dieſes Erkaͤntnuͤß ſo wol: daß er Mitleiden mit
Marbods Verbrechen hatte/ und ihm antwor-
tete: Er waͤre bereit auf dem rechten Wege ſein
Huͤlffs-Mittel zu finden. Aber Marbod ver-
ſetzte: Er wuͤrde ſelbtes dennoch verfehlen/ wenn
er ihn nicht mit der Hand darzu leitete. Denn
wie die Natur in den Augen einen nicht gerin-
gen Fehler begangen haͤtte: daß ſie alles andere/
ſich alleine ſelbſt nicht ſehen koͤnten; alſo wiſſe
der ſtets irrende Menſch ihm auch ſelten ſelbſt zu
rechte zu helffen; und wie er uͤber andere Feh-
ler Luchs-Augen haͤtte/ alſo waͤre er in ſeinen
eigenen blinder/ als ein Maulwurff. Daß er
derogeſtalt die Heßligkeit ſeiner viehiſchen Ver-
ſtellung/ der Zornige nicht ſeine verdrehte Au-
gen/ der Wolluͤſtige nicht ſeine thoͤrichte Ge-
behrdung; weniger aber ſein Heil erkennen kan.
Der Einſiedler fieng an: Jch ſpuͤre dieſe Blind-
[Spaltenumbruch] heit mehr denn zu viel an dir. Denn du haſt das
Kraut zu deiner Geneſung in Haͤnden/ und ſie-
heſt es gleichwol nicht. Wolte GOtt! antwor-
tete Marbod; es waͤre nicht allein ſo nahe bey
mir/ ſondern auch nicht unſichtbar. Sich ſelbſt
kennen/ fieng der treuhertzige Einſiedel an; iſt
die Artzney wieder alle Gemuͤths-Schwachhei-
ten; und ſo allgemein: daß ſie Koͤnigen und
Kohlbrennern anſchlaͤgt/ die Wurtzel aller
Vergnuͤgung/ und der Pfeiler unſer Gluͤckſe-
ligkeit iſt. Denn/ was hilfft es alle andere Din-
ge kennen; wenn man ihm ſelbſt unbekandt iſt?
wiewol auch der ſchwerlich was anders kennen
kan; der ſich ſelbſt nie betrachtet/ oder ſeiner ver-
geſſen hat. Alle andere Thiere kennen ſich; und
ihr eingebohrner Trieb leitet ſie zu allem/ was
ihre Erhaltung erfordert. Der ſchaͤdliche Scor-
pion fleucht das Scorpionen-Kraut/ die
Schlange den Schatten der Eſchbaͤume/ als ihr
toͤdtliches Gifft. Die verwundete Gemſe kennet
ihr Wund-Kraut; und der Hirſch weiß ein
Mittel: daß ihm die Natter nicht ſchade; welche
er mit ſeinem Athem aus den Steinritzen gezo-
gen hat. Der elende Menſch allein kennet we-
der ſich/ noch ſein Gutes; ſondern erquicket ſich
am Giffte/ rennet in ſein eigen Verterben/
verwundet ſich mit ſeinem eigenen Meſſer; weil
er den Funcken der Goͤttligkeit/ nehmlich die
Vernunfft nicht zu Rathe nimmt/ und das edle
Kleinod des freyen Willens ſo ſchaͤndlich miß-
braucht; und ſich dardurch derogeſtalt verſtel-
let: daß Socrates/ welchen doch die Goͤtt-
liche Wahrſagung fuͤr den weiſeſten Men-
ſchen erklaͤrt hatte/ an ihm ſelbſt nicht ohne
Urſache zweiffelt: ob er ein rechter Menſch
oder ander Thier ſey; und daß der ſo weiſe
Lehrmeiſter des Achilles Chiron ſich nur fuͤr
einen Halb Menſchen gelten laͤſt; ſein nie-
driges Theil aber zum Pferde macht; ja
die Weiſen gar artlich die viehiſchen Nei-
gungen des Menſchen dardurch fuͤr gebil-
det haben: daß Prometheus bey Bildung

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1164" n="1100[1102]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebendes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
che fu&#x0364;r Treue und Zuneigung annimmt; da es<lb/>
den Fu&#x0364;r&#x017F;ten doch nur in &#x017F;einen La&#x017F;tern ein&#x017F;chla&#x0364;-<lb/>
fet/ und auf Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erung der Heuchler ange-<lb/>
zielet i&#x017F;t. Die&#x017F;e o&#x0364;ffnen die Ohren ihres Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
gegen die Sirenen-Lieder der reitzenden Wol-<lb/>
lu&#x0364;&#x017F;te/ ver&#x017F;topffen &#x017F;ie aber gegen dem Schalle der<lb/>
heil&#x017F;amen Warheit. Sie &#x017F;ind die Spinnen/<lb/>
welche mit ihrem Kothe die Tugend be&#x017F;udeln/<lb/>
mit ihrem Gewebe den Abgrund des Verter-<lb/>
bens u&#x0364;ber&#x017F;pinnen/ mit ihrem Giffte die Seele<lb/>
des Ko&#x0364;nigs und den Wol&#x017F;tand der Vo&#x0364;lcker to&#x0364;d-<lb/>
ten. Wie viel heil&#x017F;amer i&#x017F;t es den Fu&#x0364;r&#x017F;ten ge-<lb/>
ha&#x017F;t/ als geliebko&#x017F;et zu &#x017F;eyn. Denn der Haß i&#x017F;t<lb/>
ein aufrichtiger Spiegel/ welcher uns un&#x017F;ere<lb/>
Flecken deutlich fu&#x0364;r Augen &#x017F;tellt/ und &#x017F;ie abzu-<lb/>
wi&#x017F;chen uns erinnert. Die Heucheley aber ver-<lb/>
deckt &#x017F;ie nicht nur/ &#x017F;ondern u&#x0364;berfirn&#x017F;et &#x017F;ie auch<lb/>
mit dem Klei&#x017F;ter gro&#x017F;&#x017F;er Helden-Tugenden;<lb/>
fu&#x0364;r welche ich Verleiteter auch vielmahl die<lb/>
grau&#x017F;am&#x017F;ten Tugenden ange&#x017F;ehen habe. Aber/<lb/>
wei&#x017F;er Vater/ wu&#x0364;rdige den nun auch einer heil-<lb/>
&#x017F;amen Artzney/ de&#x017F;&#x017F;en Gemu&#x0364;ths-Wunden du<lb/>
ihm auffs Lebendige geru&#x0364;hret/ und de&#x017F;&#x017F;en Seu-<lb/>
chen du ihm entdeckt ha&#x017F;t. Dem Ein&#x017F;iedler gefiel<lb/>
die&#x017F;es Erka&#x0364;ntnu&#x0364;ß &#x017F;o wol: daß er Mitleiden mit<lb/>
Marbods Verbrechen hatte/ und ihm antwor-<lb/>
tete: Er wa&#x0364;re bereit auf dem rechten Wege &#x017F;ein<lb/>
Hu&#x0364;lffs-Mittel zu finden. Aber Marbod ver-<lb/>
&#x017F;etzte: Er wu&#x0364;rde &#x017F;elbtes dennoch verfehlen/ wenn<lb/>
er ihn nicht mit der Hand darzu leitete. Denn<lb/>
wie die Natur in den Augen einen nicht gerin-<lb/>
gen Fehler begangen ha&#x0364;tte: daß &#x017F;ie alles andere/<lb/>
&#x017F;ich alleine &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;ehen ko&#x0364;nten; al&#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
der &#x017F;tets irrende Men&#x017F;ch ihm auch &#x017F;elten &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
rechte zu helffen; und wie er u&#x0364;ber andere Feh-<lb/>
ler Luchs-Augen ha&#x0364;tte/ al&#x017F;o wa&#x0364;re er in &#x017F;einen<lb/>
eigenen blinder/ als ein Maulwurff. Daß er<lb/>
deroge&#x017F;talt die Heßligkeit &#x017F;einer viehi&#x017F;chen Ver-<lb/>
&#x017F;tellung/ der Zornige nicht &#x017F;eine verdrehte Au-<lb/>
gen/ der Wollu&#x0364;&#x017F;tige nicht &#x017F;eine tho&#x0364;richte Ge-<lb/>
behrdung; weniger aber &#x017F;ein Heil erkennen kan.<lb/>
Der Ein&#x017F;iedler fieng an: Jch &#x017F;pu&#x0364;re die&#x017F;e Blind-<lb/><cb/>
heit mehr denn zu viel an dir. Denn du ha&#x017F;t das<lb/>
Kraut zu deiner Gene&#x017F;ung in Ha&#x0364;nden/ und &#x017F;ie-<lb/>
he&#x017F;t es gleichwol nicht. Wolte GOtt! antwor-<lb/>
tete Marbod; es wa&#x0364;re nicht allein &#x017F;o nahe bey<lb/>
mir/ &#x017F;ondern auch nicht un&#x017F;ichtbar. Sich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
kennen/ fieng der treuhertzige Ein&#x017F;iedel an; i&#x017F;t<lb/>
die Artzney wieder alle Gemu&#x0364;ths-Schwachhei-<lb/>
ten; und &#x017F;o allgemein: daß &#x017F;ie Ko&#x0364;nigen und<lb/>
Kohlbrennern an&#x017F;chla&#x0364;gt/ die Wurtzel aller<lb/>
Vergnu&#x0364;gung/ und der Pfeiler un&#x017F;er Glu&#x0364;ck&#x017F;e-<lb/>
ligkeit i&#x017F;t. Denn/ was hilfft es alle andere Din-<lb/>
ge kennen; wenn man ihm &#x017F;elb&#x017F;t unbekandt i&#x017F;t?<lb/>
wiewol auch der &#x017F;chwerlich was anders kennen<lb/>
kan; der &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nie betrachtet/ oder &#x017F;einer ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en hat. Alle andere Thiere kennen &#x017F;ich; und<lb/>
ihr eingebohrner Trieb leitet &#x017F;ie zu allem/ was<lb/>
ihre Erhaltung erfordert. Der &#x017F;cha&#x0364;dliche Scor-<lb/>
pion fleucht das Scorpionen-Kraut/ die<lb/>
Schlange den Schatten der E&#x017F;chba&#x0364;ume/ als ihr<lb/>
to&#x0364;dtliches Gifft. Die verwundete Gem&#x017F;e kennet<lb/>
ihr Wund-Kraut; und der Hir&#x017F;ch weiß ein<lb/>
Mittel: daß ihm die Natter nicht &#x017F;chade; welche<lb/>
er mit &#x017F;einem Athem aus den Steinritzen gezo-<lb/>
gen hat. Der elende Men&#x017F;ch allein kennet we-<lb/>
der &#x017F;ich/ noch &#x017F;ein Gutes; &#x017F;ondern erquicket &#x017F;ich<lb/>
am Giffte/ rennet in &#x017F;ein eigen Verterben/<lb/>
verwundet &#x017F;ich mit &#x017F;einem eigenen Me&#x017F;&#x017F;er; weil<lb/>
er den Funcken der Go&#x0364;ttligkeit/ nehmlich die<lb/>
Vernunfft nicht zu Rathe nimmt/ und das edle<lb/>
Kleinod des freyen Willens &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlich miß-<lb/>
braucht; und &#x017F;ich dardurch deroge&#x017F;talt ver&#x017F;tel-<lb/>
let: daß Socrates/ welchen doch die Go&#x0364;tt-<lb/>
liche Wahr&#x017F;agung fu&#x0364;r den wei&#x017F;e&#x017F;ten Men-<lb/>
&#x017F;chen erkla&#x0364;rt hatte/ an ihm &#x017F;elb&#x017F;t nicht ohne<lb/>
Ur&#x017F;ache zweiffelt: ob er ein rechter Men&#x017F;ch<lb/>
oder ander Thier &#x017F;ey; und daß der &#x017F;o wei&#x017F;e<lb/>
Lehrmei&#x017F;ter des Achilles Chiron &#x017F;ich nur fu&#x0364;r<lb/>
einen Halb Men&#x017F;chen gelten la&#x0364;&#x017F;t; &#x017F;ein nie-<lb/>
driges Theil aber zum Pferde macht; ja<lb/>
die Wei&#x017F;en gar artlich die viehi&#x017F;chen Nei-<lb/>
gungen des Men&#x017F;chen dardurch fu&#x0364;r gebil-<lb/>
det haben: daß Prometheus bey Bildung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1100[1102]/1164] Siebendes Buch che fuͤr Treue und Zuneigung annimmt; da es den Fuͤrſten doch nur in ſeinen Laſtern einſchlaͤ- fet/ und auf Vergroͤſſerung der Heuchler ange- zielet iſt. Dieſe oͤffnen die Ohren ihres Fuͤrſten gegen die Sirenen-Lieder der reitzenden Wol- luͤſte/ verſtopffen ſie aber gegen dem Schalle der heilſamen Warheit. Sie ſind die Spinnen/ welche mit ihrem Kothe die Tugend beſudeln/ mit ihrem Gewebe den Abgrund des Verter- bens uͤberſpinnen/ mit ihrem Giffte die Seele des Koͤnigs und den Wolſtand der Voͤlcker toͤd- ten. Wie viel heilſamer iſt es den Fuͤrſten ge- haſt/ als geliebkoſet zu ſeyn. Denn der Haß iſt ein aufrichtiger Spiegel/ welcher uns unſere Flecken deutlich fuͤr Augen ſtellt/ und ſie abzu- wiſchen uns erinnert. Die Heucheley aber ver- deckt ſie nicht nur/ ſondern uͤberfirnſet ſie auch mit dem Kleiſter groſſer Helden-Tugenden; fuͤr welche ich Verleiteter auch vielmahl die grauſamſten Tugenden angeſehen habe. Aber/ weiſer Vater/ wuͤrdige den nun auch einer heil- ſamen Artzney/ deſſen Gemuͤths-Wunden du ihm auffs Lebendige geruͤhret/ und deſſen Seu- chen du ihm entdeckt haſt. Dem Einſiedler gefiel dieſes Erkaͤntnuͤß ſo wol: daß er Mitleiden mit Marbods Verbrechen hatte/ und ihm antwor- tete: Er waͤre bereit auf dem rechten Wege ſein Huͤlffs-Mittel zu finden. Aber Marbod ver- ſetzte: Er wuͤrde ſelbtes dennoch verfehlen/ wenn er ihn nicht mit der Hand darzu leitete. Denn wie die Natur in den Augen einen nicht gerin- gen Fehler begangen haͤtte: daß ſie alles andere/ ſich alleine ſelbſt nicht ſehen koͤnten; alſo wiſſe der ſtets irrende Menſch ihm auch ſelten ſelbſt zu rechte zu helffen; und wie er uͤber andere Feh- ler Luchs-Augen haͤtte/ alſo waͤre er in ſeinen eigenen blinder/ als ein Maulwurff. Daß er derogeſtalt die Heßligkeit ſeiner viehiſchen Ver- ſtellung/ der Zornige nicht ſeine verdrehte Au- gen/ der Wolluͤſtige nicht ſeine thoͤrichte Ge- behrdung; weniger aber ſein Heil erkennen kan. Der Einſiedler fieng an: Jch ſpuͤre dieſe Blind- heit mehr denn zu viel an dir. Denn du haſt das Kraut zu deiner Geneſung in Haͤnden/ und ſie- heſt es gleichwol nicht. Wolte GOtt! antwor- tete Marbod; es waͤre nicht allein ſo nahe bey mir/ ſondern auch nicht unſichtbar. Sich ſelbſt kennen/ fieng der treuhertzige Einſiedel an; iſt die Artzney wieder alle Gemuͤths-Schwachhei- ten; und ſo allgemein: daß ſie Koͤnigen und Kohlbrennern anſchlaͤgt/ die Wurtzel aller Vergnuͤgung/ und der Pfeiler unſer Gluͤckſe- ligkeit iſt. Denn/ was hilfft es alle andere Din- ge kennen; wenn man ihm ſelbſt unbekandt iſt? wiewol auch der ſchwerlich was anders kennen kan; der ſich ſelbſt nie betrachtet/ oder ſeiner ver- geſſen hat. Alle andere Thiere kennen ſich; und ihr eingebohrner Trieb leitet ſie zu allem/ was ihre Erhaltung erfordert. Der ſchaͤdliche Scor- pion fleucht das Scorpionen-Kraut/ die Schlange den Schatten der Eſchbaͤume/ als ihr toͤdtliches Gifft. Die verwundete Gemſe kennet ihr Wund-Kraut; und der Hirſch weiß ein Mittel: daß ihm die Natter nicht ſchade; welche er mit ſeinem Athem aus den Steinritzen gezo- gen hat. Der elende Menſch allein kennet we- der ſich/ noch ſein Gutes; ſondern erquicket ſich am Giffte/ rennet in ſein eigen Verterben/ verwundet ſich mit ſeinem eigenen Meſſer; weil er den Funcken der Goͤttligkeit/ nehmlich die Vernunfft nicht zu Rathe nimmt/ und das edle Kleinod des freyen Willens ſo ſchaͤndlich miß- braucht; und ſich dardurch derogeſtalt verſtel- let: daß Socrates/ welchen doch die Goͤtt- liche Wahrſagung fuͤr den weiſeſten Men- ſchen erklaͤrt hatte/ an ihm ſelbſt nicht ohne Urſache zweiffelt: ob er ein rechter Menſch oder ander Thier ſey; und daß der ſo weiſe Lehrmeiſter des Achilles Chiron ſich nur fuͤr einen Halb Menſchen gelten laͤſt; ſein nie- driges Theil aber zum Pferde macht; ja die Weiſen gar artlich die viehiſchen Nei- gungen des Menſchen dardurch fuͤr gebil- det haben: daß Prometheus bey Bildung des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1164
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1100[1102]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1164>, abgerufen am 23.11.2024.