Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Siebendes Buch [Spaltenumbruch]
flüchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlichthatte; ließ er den König der Bojen für sich er- fordern; welcher nun gebunden für dem Stule seinen Feind kniebeugend verehren muste; dar- auf er noch den Tag zuvor so viel tausenden Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwürdigen Beyspiele: daß zwifchen der höchsten Ehren- Staffel und tieffstem Kniebeugen nur ein Schritt/ zwischen Lorbeern und Cypressen nur ein Hand umwenden/ zwischen Kron und Fes- sel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un- terschied mache. Marbod fragte Critasirn: Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren einmahl beliebten Fürsten den Auffstand zu ma- chen? Dieser antwortete: jene die Liebe der Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag- te ferner: wie er nun beyde gehandelt wissen wolte? Critasir antwortete: Mit dem Volcke/ wie es der Ruhm eines so grossen Siegers er- fordert; mit mir/ wie du gehandelt seyn woltest/ wenn dich heute das wanckelhaffte Glücke in meine Stelle versetzt hätte. Marbod befahl nach einem langen Still schweigen die Königin herbey zu führen; welche ihre vorige Pracht in schlechte Trauer-Kleider ver hüllet hatte; und/ weil das Hertzeleid ihrer schweren Zunge das Reden verbot/ ihre Thränen an statt der Worte brauchte. Sie sanck für dem Marbod in halbe Ohnmacht nieder; endlich erholete sie sich gleich- wol/ und fieng an: Ob sie zwar das Verhäng- nüs alles Vermögens entsetzet hätte/ bliebe doch auch denen Elendesten das Bitten übrig. Die- ses wolte sie nicht für sich selbst verschwenden/ sondern für ihren Gemahl und Tochter ange- wehren. Sie selbst entschüttete sich nicht allein aller Würde/ welche nach erlangtem Besitzthu- me bey weitem nicht so viel wiege/ als ihr die an- fängliche Begierde hiervon träumen liesse/ son- dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U- berlast der Unglückseligen wäre. Jedoch wür- de er zuversichtlich behertzigen: daß ein Mensch durch nichts/ als Verzeihung sich GOtt ähn- [Spaltenumbruch] lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fürsten berühmt/ und seine Herrschafft unüber windlich machte; und daher auch Marbod seine Sieges- Gesetze nach seinem Ruhme und der Uberwun- denen Mögligkeit mäßigen würde; weil es schwerer wäre anbefohlene Dinge thun; als be- fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie- wol nun der Hochmuth mit dem Glücke sich für längst in Marbods Hertze eingespielt hatte; Menschen auch zwar ihre ersten gerathenen Streiche mit vernünfftiger Gemüthsmäßi- gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und Empfindligkeit von über mäßigem Wachsthu- me ver drückt wird; redete doch die Königin so nachdrücklich: daß dem Marbod die Augen ü- bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf- fen hätte er wieder kein Frauen-Zimmer ge- zückt; und also solte weder ihr noch ihrem Ge- schlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun Critasir und die Bojen ihm sein Licht auszule- schen weder Arglist noch Anstalt gesparet; ob wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten zu fesseln wäre; ja die/ welche darmit betheilt würden/ für eine Beleidigung annehmen/ wenn etwas übrig bliebe/ das sie noch hätten bekommen können; und endlich untreue Gemüther nichts minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle- gung nur mehr versehrt würden; wolte er doch ihrer Fürbitte so viel enträumen: daß alle Bo- jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze Land aber den Marckmännern räumen/ und ihnen einen Sitz entweder über der Weichsel oder der Donau suchen solten. Weil nun einem Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh- mende Scheuterungs-Klippe für einen Hafen dienet; und der zu allem leicht zu bereden ist/ der sich so gar seines Lebens schon verziehen hat/ nahm nicht nur die Königin/ sondern Critasir selbst diese Erklärung für eine grosse Gnade mit tieffer Dancksagung an; wiewol nichts schwe- rer ist/ als seinem Vaterlande auf ewig gute Nacht sagen; dessen Liebe viel ihrem Leben vor- gezogen.
Siebendes Buch [Spaltenumbruch]
fluͤchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlichthatte; ließ er den Koͤnig der Bojen fuͤr ſich er- fordern; welcher nun gebunden fuͤr dem Stule ſeinen Feind kniebeugend verehren muſte; dar- auf er noch den Tag zuvor ſo viel tauſenden Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwuͤrdigen Beyſpiele: daß zwifchen der hoͤchſten Ehren- Staffel und tieffſtem Kniebeugen nur ein Schritt/ zwiſchen Lorbeern und Cypreſſen nur ein Hand umwenden/ zwiſchen Kron und Feſ- ſel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un- terſchied mache. Marbod fragte Critaſirn: Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren einmahl beliebten Fuͤrſten den Auffſtand zu ma- chen? Dieſer antwortete: jene die Liebe der Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag- te ferner: wie er nun beyde gehandelt wiſſen wolte? Critaſir antwortete: Mit dem Volcke/ wie es der Ruhm eines ſo groſſen Siegers er- fordert; mit mir/ wie du gehandelt ſeyn wolteſt/ wenn dich heute das wanckelhaffte Gluͤcke in meine Stelle verſetzt haͤtte. Marbod befahl nach einem langen Still ſchweigen die Koͤnigin herbey zu fuͤhren; welche ihre vorige Pracht in ſchlechte Trauer-Kleider ver huͤllet hatte; und/ weil das Hertzeleid ihrer ſchweren Zunge das Reden verbot/ ihre Thraͤnen an ſtatt der Worte brauchte. Sie ſanck fuͤr dem Marbod in halbe Ohnmacht nieder; endlich erholete ſie ſich gleich- wol/ und fieng an: Ob ſie zwar das Verhaͤng- nuͤs alles Vermoͤgens entſetzet haͤtte/ bliebe doch auch denen Elendeſten das Bitten uͤbrig. Die- ſes wolte ſie nicht fuͤr ſich ſelbſt verſchwenden/ ſondern fuͤr ihren Gemahl und Tochter ange- wehren. Sie ſelbſt entſchuͤttete ſich nicht allein aller Wuͤrde/ welche nach erlangtem Beſitzthu- me bey weitem nicht ſo viel wiege/ als ihr die an- faͤngliche Begierde hiervon traͤumen lieſſe/ ſon- dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U- berlaſt der Ungluͤckſeligen waͤre. Jedoch wuͤr- de er zuverſichtlich behertzigen: daß ein Menſch durch nichts/ als Verzeihung ſich GOtt aͤhn- [Spaltenumbruch] lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fuͤrſten beruͤhmt/ und ſeine Herꝛſchafft unuͤber windlich machte; und daher auch Marbod ſeine Sieges- Geſetze nach ſeinem Ruhme und der Uberwun- denen Moͤgligkeit maͤßigen wuͤrde; weil es ſchwerer waͤre anbefohlene Dinge thun; als be- fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie- wol nun der Hochmuth mit dem Gluͤcke ſich fuͤr laͤngſt in Marbods Hertze eingeſpielt hatte; Menſchen auch zwar ihre erſten gerathenen Streiche mit vernuͤnfftiger Gemuͤthsmaͤßi- gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und Empfindligkeit von uͤber maͤßigem Wachsthu- me ver druͤckt wird; redete doch die Koͤnigin ſo nachdruͤcklich: daß dem Marbod die Augen uͤ- bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf- fen haͤtte er wieder kein Frauen-Zimmer ge- zuͤckt; und alſo ſolte weder ihr noch ihrem Ge- ſchlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun Critaſir und die Bojen ihm ſein Licht auszule- ſchen weder Argliſt noch Anſtalt geſparet; ob wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten zu feſſeln waͤre; ja die/ welche darmit betheilt wuͤrden/ fuͤr eine Beleidigung annehmen/ wenn etwas uͤbrig bliebe/ das ſie noch haͤtten bekom̃en koͤnnen; und endlich untreue Gemuͤther nichts minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle- gung nur mehr verſehrt wuͤrden; wolte er doch ihrer Fuͤrbitte ſo viel entraͤumen: daß alle Bo- jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze Land aber den Marckmaͤnnern raͤumen/ und ihnen einen Sitz entweder uͤber der Weichſel oder der Donau ſuchen ſolten. Weil nun einem Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh- mende Scheuterungs-Klippe fuͤr einen Hafen dienet; und der zu allem leicht zu bereden iſt/ der ſich ſo gar ſeines Lebens ſchon verziehen hat/ nahm nicht nur die Koͤnigin/ ſondern Critaſir ſelbſt dieſe Erklaͤrung fuͤr eine groſſe Gnade mit tieffer Danckſagung an; wiewol nichts ſchwe- rer iſt/ als ſeinem Vaterlande auf ewig gute Nacht ſagen; deſſen Liebe viel ihrem Leben vor- gezogen.
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Siebendes Buch
fluͤchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht
hatte; ließ er den Koͤnig der Bojen fuͤr ſich er-
fordern; welcher nun gebunden fuͤr dem Stule
ſeinen Feind kniebeugend verehren muſte; dar-
auf er noch den Tag zuvor ſo viel tauſenden
Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwuͤrdigen
Beyſpiele: daß zwifchen der hoͤchſten Ehren-
Staffel und tieffſtem Kniebeugen nur ein
Schritt/ zwiſchen Lorbeern und Cypreſſen nur
ein Hand umwenden/ zwiſchen Kron und Feſ-
ſel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un-
terſchied mache. Marbod fragte Critaſirn:
Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren
einmahl beliebten Fuͤrſten den Auffſtand zu ma-
chen? Dieſer antwortete: jene die Liebe der
Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag-
te ferner: wie er nun beyde gehandelt wiſſen
wolte? Critaſir antwortete: Mit dem Volcke/
wie es der Ruhm eines ſo groſſen Siegers er-
fordert; mit mir/ wie du gehandelt ſeyn wolteſt/
wenn dich heute das wanckelhaffte Gluͤcke in
meine Stelle verſetzt haͤtte. Marbod befahl
nach einem langen Still ſchweigen die Koͤnigin
herbey zu fuͤhren; welche ihre vorige Pracht in
ſchlechte Trauer-Kleider ver huͤllet hatte; und/
weil das Hertzeleid ihrer ſchweren Zunge das
Reden verbot/ ihre Thraͤnen an ſtatt der Worte
brauchte. Sie ſanck fuͤr dem Marbod in halbe
Ohnmacht nieder; endlich erholete ſie ſich gleich-
wol/ und fieng an: Ob ſie zwar das Verhaͤng-
nuͤs alles Vermoͤgens entſetzet haͤtte/ bliebe doch
auch denen Elendeſten das Bitten uͤbrig. Die-
ſes wolte ſie nicht fuͤr ſich ſelbſt verſchwenden/
ſondern fuͤr ihren Gemahl und Tochter ange-
wehren. Sie ſelbſt entſchuͤttete ſich nicht allein
aller Wuͤrde/ welche nach erlangtem Beſitzthu-
me bey weitem nicht ſo viel wiege/ als ihr die an-
faͤngliche Begierde hiervon traͤumen lieſſe/ ſon-
dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U-
berlaſt der Ungluͤckſeligen waͤre. Jedoch wuͤr-
de er zuverſichtlich behertzigen: daß ein Menſch
durch nichts/ als Verzeihung ſich GOtt aͤhn-
lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fuͤrſten
beruͤhmt/ und ſeine Herꝛſchafft unuͤber windlich
machte; und daher auch Marbod ſeine Sieges-
Geſetze nach ſeinem Ruhme und der Uberwun-
denen Moͤgligkeit maͤßigen wuͤrde; weil es
ſchwerer waͤre anbefohlene Dinge thun; als be-
fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie-
wol nun der Hochmuth mit dem Gluͤcke ſich fuͤr
laͤngſt in Marbods Hertze eingeſpielt hatte;
Menſchen auch zwar ihre erſten gerathenen
Streiche mit vernuͤnfftiger Gemuͤthsmaͤßi-
gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und
Empfindligkeit von uͤber maͤßigem Wachsthu-
me ver druͤckt wird; redete doch die Koͤnigin ſo
nachdruͤcklich: daß dem Marbod die Augen uͤ-
bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf-
fen haͤtte er wieder kein Frauen-Zimmer ge-
zuͤckt; und alſo ſolte weder ihr noch ihrem Ge-
ſchlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun
Critaſir und die Bojen ihm ſein Licht auszule-
ſchen weder Argliſt noch Anſtalt geſparet; ob
wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten
zu feſſeln waͤre; ja die/ welche darmit betheilt
wuͤrden/ fuͤr eine Beleidigung annehmen/ wenn
etwas uͤbrig bliebe/ das ſie noch haͤtten bekom̃en
koͤnnen; und endlich untreue Gemuͤther nichts
minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle-
gung nur mehr verſehrt wuͤrden; wolte er doch
ihrer Fuͤrbitte ſo viel entraͤumen: daß alle Bo-
jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze
Land aber den Marckmaͤnnern raͤumen/ und
ihnen einen Sitz entweder uͤber der Weichſel
oder der Donau ſuchen ſolten. Weil nun einem
Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh-
mende Scheuterungs-Klippe fuͤr einen Hafen
dienet; und der zu allem leicht zu bereden iſt/
der ſich ſo gar ſeines Lebens ſchon verziehen hat/
nahm nicht nur die Koͤnigin/ ſondern Critaſir
ſelbſt dieſe Erklaͤrung fuͤr eine groſſe Gnade mit
tieffer Danckſagung an; wiewol nichts ſchwe-
rer iſt/ als ſeinem Vaterlande auf ewig gute
Nacht ſagen; deſſen Liebe viel ihrem Leben vor-
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