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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] die Weltweißheit so vielmehr verzuckerte; be-
nahm er ihm alsbald anfangs den Jrrthum des
Pöfels und der Stoischen Weisen; Welche
diese annehmliche Gefärthin als eine sauersehen-
de Unholdin abbilden/ und ihr nichts/ als Strang
und Messer in die Hand geben. Er zohe
ihr diese abscheuliche Larve vom Antlitze/ und
lehrte ihn: daß weil der Zweck der unverfälsch-
ten Weltweißheit in der Ruhe des Gemüthes/
und in der Freudigkeit eines ungefässelten Gei-
stes bestünde; müste man aus allen an sich selbst
auch verdrüßlichen Dingen eben so Wollust
schöpffen; als man mit sauern Granat-Aepf-
feln die allzusüssen Speisen annehmlich mach-
te. Diesemnach wäre es ein lächerlicher Aber-
witz/ wenn Zeno diese edle Göttin in eine Hen-
ckerin/ und ihre Liebhaber in Ruder-Knech[t]e
verwandelte; ihre Taffel in Sand und Koth
deckte/ und nur Wasser und Gritze zur Kost
auffsetzte. Wenn er ihr ein verschimmeltes Faß
zum Zimmer einräumte; und nur Sack-Lein-
wand zum Kleide verlaubte/ wenn er ihr eine
schlammichte Tasche zum Behältnüß alles
Vorraths anhienge; und einen knörnrichten
Stab zum gantzen Beyschube ihrer Reisen mit
gäbe; Gleich/ als wenn die Göttliche Verse-
hung nicht alle Geschäncke der Natur dem
Menschen zum Gebrauche geeignet hätte: daß
also diese hartnäckichte Bettlerin die Natur
und das Glücke/ wenn sie ihre milde Hand und
Gaben mit Füssen von sich stiesse/ zu trotzen sich
nicht scheuete/ und zwischen ihrem zerrissenen
Mantel mehr Hoffart fürbleckte; als der zu
gelegener Zeit sich seiner Gemächligkeit bedie-
nende/ im Fall der Noth aber sich auch mit
Wasser und Brodt vergnügende Epicur unter
seinem Goldenstücke und Scharlach-Mantel
verborgen hätte. Die Weißheit wäre nichts
minder/ als die Natur eine Magd und Befehl-
haberin Gottes; also könte weder ihr Zweck/
noch ihre Anleitung einander zu wieder seyn.
Hätte iene nun eine Güte in der Heßligkeit ge-
[Spaltenumbruch] funden/ würde sie gewiß eitel flennende Mäu-
ler/ hängende Wangen/ krüplichte Rücken/ und
hinckende Hüfften/ ja an statt der Trauben
und Pomerantzen nur Schleen und Holtz-
Aepffel haben wachsen lassen. Warum solte
denn die Weißheit ihre Kräfften zu solchen Er-
findungen anwenden/ wie sie ihren Zucker
vergällen möchte? Warum solte sie von den
Rosen-Sträuchen ihre Purper-Blumen ver-
tilgen; und nur der Dornen warten? Da sie
doch GOtt dem Menschen als ein überirrdi-
sches Geschäncke verliehen hätte: daß sie als
eine Erfinderin vieler Künste und Werckzeuge
die Gebrechen der Natur ersetzen; und als ei-
ne Meisterin des Lebens/ eine Herrscherin der
Gemüths-Regungen ihre Schwäche in Voll-
kommenheit versetzen solte. Jch weiß wohl/
liebster Herrmann/ fuhr Mecenas fort: daß
die/ welche in eitel Haaren von Wichtel-Zöpf-
fen/ mit rauchen Antlitzen wilder Männer/ in
Lumpen voller Unflat daher gehen/ die rein-
lichte Weltweißheit eben so für ein verzärteltes
Lustweib/ als den Mecenas für einen Weich-
ling schelten; aber ich bin versichert: daß jene
bey ihrer Fähigkeit viel mehr Maaß zu halten;
und/ ob sie zwar nicht wilde und mörderisch
aussiehet/ doch hertzhafft zu seyn; als Mecenas
sich so wol auf dem Rasen/ und in Haare/ als
auf Marmel und in Seide seine Vergnügung
zu fuchen wisse. Denn in Warheit: Die/ wel-
che auf Sammet und Purper sitzen/ empfinden
am allerersten die Folterbanck; und die Spi-
tzen des stachlichten Glückes. Jener Sauer-
töpffe Unschuld und Hertzhafftigkeit bestehet in
einem unzeitigen Urthel/ und einer ungedulti-
gen Verzweiffelung; in dem sie auff fremde
Fehler alle Flüche ausschütten/ selbst aber lan-
ge Zeit das dräuende Gesichte des Unglücks
nicht vertragen können; sondern durch Eigen-
Mord wieder sich selbst wüten; Dahingegen
der sittsame Epicur aus fremden und so gar
seines Ehgenossen Lastern ein Oel der Tugend

zeucht/

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] die Weltweißheit ſo vielmehr verzuckerte; be-
nahm er ihm alsbald anfangs den Jrrthum des
Poͤfels und der Stoiſchen Weiſen; Welche
dieſe añehmliche Gefaͤrthin als eine ſauerſehen-
de Unholdin abbilden/ uñ ihꝛ nichts/ als Strang
und Meſſer in die Hand geben. Er zohe
ihr dieſe abſcheuliche Larve vom Antlitze/ und
lehrte ihn: daß weil der Zweck der unverfaͤlſch-
ten Weltweißheit in der Ruhe des Gemuͤthes/
und in der Freudigkeit eines ungefaͤſſelten Gei-
ſtes beſtuͤnde; muͤſte man aus allen an ſich ſelbſt
auch verdruͤßlichen Dingen eben ſo Wolluſt
ſchoͤpffen; als man mit ſauern Granat-Aepf-
feln die allzuſuͤſſen Speiſen annehmlich mach-
te. Dieſemnach waͤre es ein laͤcherlicher Aber-
witz/ wenn Zeno dieſe edle Goͤttin in eine Hen-
ckerin/ und ihre Liebhaber in Ruder-Knech[t]e
verwandelte; ihre Taffel in Sand und Koth
deckte/ und nur Waſſer und Gritze zur Koſt
auffſetzte. Wenn er ihr ein verſchimmeltes Faß
zum Zimmer einraͤumte; und nur Sack-Lein-
wand zum Kleide verlaubte/ wenn er ihr eine
ſchlammichte Taſche zum Behaͤltnuͤß alles
Vorraths anhienge; und einen knoͤrnrichten
Stab zum gantzen Beyſchube ihrer Reiſen mit
gaͤbe; Gleich/ als wenn die Goͤttliche Verſe-
hung nicht alle Geſchaͤncke der Natur dem
Menſchen zum Gebrauche geeignet haͤtte: daß
alſo dieſe hartnaͤckichte Bettlerin die Natur
und das Gluͤcke/ wenn ſie ihre milde Hand und
Gaben mit Fuͤſſen von ſich ſtieſſe/ zu trotzen ſich
nicht ſcheuete/ und zwiſchen ihrem zerriſſenen
Mantel mehr Hoffart fuͤrbleckte; als der zu
gelegener Zeit ſich ſeiner Gemaͤchligkeit bedie-
nende/ im Fall der Noth aber ſich auch mit
Waſſer und Brodt vergnuͤgende Epicur unter
ſeinem Goldenſtuͤcke und Scharlach-Mantel
verborgen haͤtte. Die Weißheit waͤre nichts
minder/ als die Natur eine Magd und Befehl-
haberin Gottes; alſo koͤnte weder ihr Zweck/
noch ihre Anleitung einander zu wieder ſeyn.
Haͤtte iene nun eine Guͤte in der Heßligkeit ge-
[Spaltenumbruch] funden/ wuͤrde ſie gewiß eitel flennende Maͤu-
ler/ haͤngende Wangen/ kruͤplichte Ruͤcken/ und
hinckende Huͤfften/ ja an ſtatt der Trauben
und Pomerantzen nur Schleen und Holtz-
Aepffel haben wachſen laſſen. Warum ſolte
denn die Weißheit ihre Kraͤfften zu ſolchen Er-
findungen anwenden/ wie ſie ihren Zucker
vergaͤllen moͤchte? Warum ſolte ſie von den
Roſen-Straͤuchen ihre Purper-Blumen ver-
tilgen; und nur der Dornen warten? Da ſie
doch GOtt dem Menſchen als ein uͤberirrdi-
ſches Geſchaͤncke verliehen haͤtte: daß ſie als
eine Erfinderin vieler Kuͤnſte und Werckzeuge
die Gebrechen der Natur erſetzen; und als ei-
ne Meiſterin des Lebens/ eine Herrſcherin der
Gemuͤths-Regungen ihre Schwaͤche in Voll-
kommenheit verſetzen ſolte. Jch weiß wohl/
liebſter Herrmann/ fuhr Mecenas fort: daß
die/ welche in eitel Haaren von Wichtel-Zoͤpf-
fen/ mit rauchen Antlitzen wilder Maͤnner/ in
Lumpen voller Unflat daher gehen/ die rein-
lichte Weltweißheit eben ſo fuͤr ein verzaͤrteltes
Luſtweib/ als den Mecenas fuͤr einen Weich-
ling ſchelten; aber ich bin verſichert: daß jene
bey ihrer Faͤhigkeit viel mehr Maaß zu halten;
und/ ob ſie zwar nicht wilde und moͤrderiſch
ausſiehet/ doch hertzhafft zu ſeyn; als Mecenas
ſich ſo wol auf dem Raſen/ und in Haare/ als
auf Marmel und in Seide ſeine Vergnuͤgung
zu fuchen wiſſe. Denn in Warheit: Die/ wel-
che auf Sammet und Purper ſitzen/ empfinden
am allererſten die Folterbanck; und die Spi-
tzen des ſtachlichten Gluͤckes. Jener Sauer-
toͤpffe Unſchuld und Hertzhafftigkeit beſtehet in
einem unzeitigen Urthel/ und einer ungedulti-
gen Verzweiffelung; in dem ſie auff fremde
Fehler alle Fluͤche ausſchuͤtten/ ſelbſt aber lan-
ge Zeit das draͤuende Geſichte des Ungluͤcks
nicht vertragen koͤnnen; ſondern durch Eigen-
Mord wieder ſich ſelbſt wuͤten; Dahingegen
der ſittſame Epicur aus fremden und ſo gar
ſeines Ehgenoſſen Laſtern ein Oel der Tugend

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[1214[1216]/1280] Achtes Buch die Weltweißheit ſo vielmehr verzuckerte; be- nahm er ihm alsbald anfangs den Jrrthum des Poͤfels und der Stoiſchen Weiſen; Welche dieſe añehmliche Gefaͤrthin als eine ſauerſehen- de Unholdin abbilden/ uñ ihꝛ nichts/ als Strang und Meſſer in die Hand geben. Er zohe ihr dieſe abſcheuliche Larve vom Antlitze/ und lehrte ihn: daß weil der Zweck der unverfaͤlſch- ten Weltweißheit in der Ruhe des Gemuͤthes/ und in der Freudigkeit eines ungefaͤſſelten Gei- ſtes beſtuͤnde; muͤſte man aus allen an ſich ſelbſt auch verdruͤßlichen Dingen eben ſo Wolluſt ſchoͤpffen; als man mit ſauern Granat-Aepf- feln die allzuſuͤſſen Speiſen annehmlich mach- te. Dieſemnach waͤre es ein laͤcherlicher Aber- witz/ wenn Zeno dieſe edle Goͤttin in eine Hen- ckerin/ und ihre Liebhaber in Ruder-Knechte verwandelte; ihre Taffel in Sand und Koth deckte/ und nur Waſſer und Gritze zur Koſt auffſetzte. Wenn er ihr ein verſchimmeltes Faß zum Zimmer einraͤumte; und nur Sack-Lein- wand zum Kleide verlaubte/ wenn er ihr eine ſchlammichte Taſche zum Behaͤltnuͤß alles Vorraths anhienge; und einen knoͤrnrichten Stab zum gantzen Beyſchube ihrer Reiſen mit gaͤbe; Gleich/ als wenn die Goͤttliche Verſe- hung nicht alle Geſchaͤncke der Natur dem Menſchen zum Gebrauche geeignet haͤtte: daß alſo dieſe hartnaͤckichte Bettlerin die Natur und das Gluͤcke/ wenn ſie ihre milde Hand und Gaben mit Fuͤſſen von ſich ſtieſſe/ zu trotzen ſich nicht ſcheuete/ und zwiſchen ihrem zerriſſenen Mantel mehr Hoffart fuͤrbleckte; als der zu gelegener Zeit ſich ſeiner Gemaͤchligkeit bedie- nende/ im Fall der Noth aber ſich auch mit Waſſer und Brodt vergnuͤgende Epicur unter ſeinem Goldenſtuͤcke und Scharlach-Mantel verborgen haͤtte. Die Weißheit waͤre nichts minder/ als die Natur eine Magd und Befehl- haberin Gottes; alſo koͤnte weder ihr Zweck/ noch ihre Anleitung einander zu wieder ſeyn. Haͤtte iene nun eine Guͤte in der Heßligkeit ge- funden/ wuͤrde ſie gewiß eitel flennende Maͤu- ler/ haͤngende Wangen/ kruͤplichte Ruͤcken/ und hinckende Huͤfften/ ja an ſtatt der Trauben und Pomerantzen nur Schleen und Holtz- Aepffel haben wachſen laſſen. Warum ſolte denn die Weißheit ihre Kraͤfften zu ſolchen Er- findungen anwenden/ wie ſie ihren Zucker vergaͤllen moͤchte? Warum ſolte ſie von den Roſen-Straͤuchen ihre Purper-Blumen ver- tilgen; und nur der Dornen warten? Da ſie doch GOtt dem Menſchen als ein uͤberirrdi- ſches Geſchaͤncke verliehen haͤtte: daß ſie als eine Erfinderin vieler Kuͤnſte und Werckzeuge die Gebrechen der Natur erſetzen; und als ei- ne Meiſterin des Lebens/ eine Herrſcherin der Gemuͤths-Regungen ihre Schwaͤche in Voll- kommenheit verſetzen ſolte. Jch weiß wohl/ liebſter Herrmann/ fuhr Mecenas fort: daß die/ welche in eitel Haaren von Wichtel-Zoͤpf- fen/ mit rauchen Antlitzen wilder Maͤnner/ in Lumpen voller Unflat daher gehen/ die rein- lichte Weltweißheit eben ſo fuͤr ein verzaͤrteltes Luſtweib/ als den Mecenas fuͤr einen Weich- ling ſchelten; aber ich bin verſichert: daß jene bey ihrer Faͤhigkeit viel mehr Maaß zu halten; und/ ob ſie zwar nicht wilde und moͤrderiſch ausſiehet/ doch hertzhafft zu ſeyn; als Mecenas ſich ſo wol auf dem Raſen/ und in Haare/ als auf Marmel und in Seide ſeine Vergnuͤgung zu fuchen wiſſe. Denn in Warheit: Die/ wel- che auf Sammet und Purper ſitzen/ empfinden am allererſten die Folterbanck; und die Spi- tzen des ſtachlichten Gluͤckes. Jener Sauer- toͤpffe Unſchuld und Hertzhafftigkeit beſtehet in einem unzeitigen Urthel/ und einer ungedulti- gen Verzweiffelung; in dem ſie auff fremde Fehler alle Fluͤche ausſchuͤtten/ ſelbſt aber lan- ge Zeit das draͤuende Geſichte des Ungluͤcks nicht vertragen koͤnnen; ſondern durch Eigen- Mord wieder ſich ſelbſt wuͤten; Dahingegen der ſittſame Epicur aus fremden und ſo gar ſeines Ehgenoſſen Laſtern ein Oel der Tugend zeucht/

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1214[1216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1280>, abgerufen am 23.11.2024.