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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Kennzeichen das Haupt dieser ihnen gleichsam
vom Himmel gefallener Helffer zu erkiesen.
Diesemnach sie denn sich ihm näherte/ und nach
abgezogenem Helme ihm mit der tieffsten Ehr-
erbietung nicht so wol als einem Erretter/ als
einem Schutz-Gotte für solche Erlösung danck-
te; iedoch zugleich als ein Unglück entschuldig-
te: daß sie demselben die ihr anständige Demü-
thigung nicht erzeigte/ welchen sie wegen so sel-
tzamer Erscheinung und so unvergleichlicher
Tapfferkeit nicht wol für einen Menschen hal-
ten dörffte. Dieser hingegen verkleinerte seinen
geringen Dienst/ den er in Verjagung der Räu-
ber ihnen geleistet hatte; als welche Menschen
schon wegen der in ihrem Hertzen steckenden
Boßheit auch die derselben anklebende Zagheit
im Busen trügen. Uber diß hätte er ihnen viel-
leicht mehr/ als sie ihm zu dancken; indem er
durch ihre Hülfe von diesem gefährlichen Raub-
Ufer; an welchem sein von Ostia abgelauffenes
Schiff für steben Tagen gestrandet hätte; an
einen sichern Ort zu entrinnen hoffte. Thußnel-
de hörte dieser annehmlichen und ihr in etwas
kentbaren Stimme sorgfältig zu; diese letztere
Erzehlung aber lösete ihr vollends das Rätzel
auff; und weil sie diesen ihren Schutz-Gott für
den wahrhafften Hertzog Herrmann erkennte/
fiel sie ohne einige fernere Antwort ihm mit
beyden Armen ihn küssende/ und sein Gesichte
mit tausend Freuden-Thränen netzende um
den Hals. Dieser/ weil er ihm der Fürstin
Thußnelde Reise von Rom nicht träumen las-
sen; noch sie aus der angenommenen männli-
chen Sprache erkennen konte/ stand wie ein
unbewegliches Marmel-Bild; und wuste ihm
diese zwischen Helden ungewöhnliche Liebko-
sungen nicht auszulegen; biß Thußnelda end-
lich selbst anfieng: hastu denn/ mein liebster
Herrmann/ zwischen diesen rauen Felsen ihre
unempfindliche Unart angenommen: daß du
von deiner geliebten Thußnelde die wenigste
Regung nicht empfindest. Herrmann/ der sich
[Spaltenumbruch] gleichsam von einem Meere der grösten Glück-
seligkeit überschwemmt befand; wuste ihr mit
nichts anders/ als eben so viel Küssen seine Freu-
de auszudrücken; und hätten sie hierüber bey
nahe Segesthens gantz vergessen; wenn nicht
ein Chaßuarischer Edelmann kommen/ und
Thußnelden/ wo sie ihn hintragen solten/ be-
fragt hätte. Thußnelde näherte sich hierauff
mit dem Fürsten zum Segesthes; und weil ihm
bereit die beschwerlichen Waffen abgenommen
waren; wolte sie ihn wieder lassen zu Schiffe
bringen. Hertzog Herrmann aber rieth das
Schiff nur mit genungsamer Mannschafft zu
besetzen/ er wolte für den Segesthes/ sie/ und ihr
Frauenzimmer schon einen bequemern Aufent-
halt anweisen. Hiermit befahl er etliche Kühn-
Höltzer anzuzünden; führte sie also durch den
Steinfelß vermittelst einer engen Höle in ein
aus eitel Klippen gehauenes und wol abgetheil-
tes Gebäue; welches nur von dem innern und
zwar kugel-rundten Hofe in die Zimmer Licht
bekam/ auswendig aber um und um von denen
abschüßigsten Bergen/ welche auch die Gem-
sen nicht beklettern kunten/ umgeben/ und de-
rogestalt für allen sterblichen Augen/ welche
nicht durch diesen Eingang gar hinein kamen/
verborgen ward. Jn dieser gleichsam andern
Welt wurden sie von einem alten Greiß em-
pfangen/ der nicht nur dem mit steten Ohn-
machten befallenen Segesthes/ sondern auch al-
len andern dahin gebrachten Verwundeten mit
sehr heilsamen Wund-Kräutern zu Hülffe kam.
Welche Sorge denn die halbe Nacht zurücke
legte. Auff den Morgen befand sich Segesthes
nach einem sanfftem Schlaffe um ein gut Theil
besser; ward auch theils erfreuet/ theils verwir-
ret; als er seine zwar auch an unterschiedenen
Orten des Leibes verbundene/ aber bey guten
Kräfften sich befindende Tochter nebst dem
Fürsten Herrmann und dem alten Greiße zu
ihm ins Zimmer kommen sahe. Nach dem diese
nun ihre Ehrerbietung abgelegt/ berichtete

Thußnel-

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] Kennzeichen das Haupt dieſer ihnen gleichſam
vom Himmel gefallener Helffer zu erkieſen.
Dieſemnach ſie denn ſich ihm naͤherte/ und nach
abgezogenem Helme ihm mit der tieffſten Ehr-
erbietung nicht ſo wol als einem Erretter/ als
einem Schutz-Gotte fuͤr ſolche Erloͤſung danck-
te; iedoch zugleich als ein Ungluͤck entſchuldig-
te: daß ſie demſelben die ihr anſtaͤndige Demuͤ-
thigung nicht erzeigte/ welchen ſie wegen ſo ſel-
tzamer Erſcheinung und ſo unvergleichlicher
Tapfferkeit nicht wol fuͤr einen Menſchen hal-
ten doͤrffte. Dieſer hingegen verkleinerte ſeinen
geringen Dienſt/ den er in Verjagung der Raͤu-
ber ihnen geleiſtet hatte; als welche Menſchen
ſchon wegen der in ihrem Hertzen ſteckenden
Boßheit auch die derſelben anklebende Zagheit
im Buſen truͤgen. Uber diß haͤtte er ihnen viel-
leicht mehr/ als ſie ihm zu dancken; indem er
durch ihre Huͤlfe von dieſem gefaͤhrlichen Raub-
Ufer; an welchem ſein von Oſtia abgelauffenes
Schiff fuͤr ſteben Tagen geſtrandet haͤtte; an
einen ſichern Ort zu entrinnen hoffte. Thußnel-
de hoͤrte dieſer annehmlichen und ihr in etwas
kentbaren Stimme ſorgfaͤltig zu; dieſe letztere
Erzehlung aber loͤſete ihr vollends das Raͤtzel
auff; und weil ſie dieſen ihren Schutz-Gott fuͤr
den wahrhafften Hertzog Herrmann erkennte/
fiel ſie ohne einige fernere Antwort ihm mit
beyden Armen ihn kuͤſſende/ und ſein Geſichte
mit tauſend Freuden-Thraͤnen netzende um
den Hals. Dieſer/ weil er ihm der Fuͤrſtin
Thußnelde Reiſe von Rom nicht traͤumen laſ-
ſen; noch ſie aus der angenommenen maͤnnli-
chen Sprache erkennen konte/ ſtand wie ein
unbewegliches Marmel-Bild; und wuſte ihm
dieſe zwiſchen Helden ungewoͤhnliche Liebko-
ſungen nicht auszulegen; biß Thußnelda end-
lich ſelbſt anfieng: haſtu denn/ mein liebſter
Herrmann/ zwiſchen dieſen rauen Felſen ihre
unempfindliche Unart angenommen: daß du
von deiner geliebten Thußnelde die wenigſte
Regung nicht empfindeſt. Herrmann/ der ſich
[Spaltenumbruch] gleichſam von einem Meere der groͤſten Gluͤck-
ſeligkeit uͤberſchwemmt befand; wuſte ihr mit
nichts anders/ als eben ſo viel Kuͤſſen ſeine Freu-
de auszudruͤcken; und haͤtten ſie hieruͤber bey
nahe Segeſthens gantz vergeſſen; wenn nicht
ein Chaßuariſcher Edelmann kommen/ und
Thußnelden/ wo ſie ihn hintragen ſolten/ be-
fragt haͤtte. Thußnelde naͤherte ſich hierauff
mit dem Fuͤrſten zum Segeſthes; und weil ihm
bereit die beſchwerlichen Waffen abgenommen
waren; wolte ſie ihn wieder laſſen zu Schiffe
bringen. Hertzog Herrmann aber rieth das
Schiff nur mit genungſamer Mannſchafft zu
beſetzen/ er wolte fuͤr den Segeſthes/ ſie/ und ihr
Frauenzimmer ſchon einen bequemern Aufent-
halt anweiſen. Hiermit befahl er etliche Kuͤhn-
Hoͤltzer anzuzuͤnden; fuͤhrte ſie alſo durch den
Steinfelß vermittelſt einer engen Hoͤle in ein
aus eitel Klippen gehauenes und wol abgetheil-
tes Gebaͤue; welches nur von dem innern und
zwar kugel-rundten Hofe in die Zimmer Licht
bekam/ auswendig aber um und um von denen
abſchuͤßigſten Bergen/ welche auch die Gem-
ſen nicht beklettern kunten/ umgeben/ und de-
rogeſtalt fuͤr allen ſterblichen Augen/ welche
nicht durch dieſen Eingang gar hinein kamen/
verborgen ward. Jn dieſer gleichſam andern
Welt wurden ſie von einem alten Greiß em-
pfangen/ der nicht nur dem mit ſteten Ohn-
machten befallenen Segeſthes/ ſondern auch al-
len andern dahin gebrachten Verwundeten mit
ſehr heilſamen Wund-Kraͤutern zu Huͤlffe kam.
Welche Sorge denn die halbe Nacht zuruͤcke
legte. Auff den Morgen befand ſich Segeſthes
nach einem ſanfftem Schlaffe um ein gut Theil
beſſer; ward auch theils erfreuet/ theils verwir-
ret; als er ſeine zwar auch an unterſchiedenen
Orten des Leibes verbundene/ aber bey guten
Kraͤfften ſich befindende Tochter nebſt dem
Fuͤrſten Herrmann und dem alten Greiße zu
ihm ins Zimmer kommen ſahe. Nach dem dieſe
nun ihre Ehrerbietung abgelegt/ berichtete

Thußnel-
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[1258[1260]/1324] Achtes Buch Kennzeichen das Haupt dieſer ihnen gleichſam vom Himmel gefallener Helffer zu erkieſen. Dieſemnach ſie denn ſich ihm naͤherte/ und nach abgezogenem Helme ihm mit der tieffſten Ehr- erbietung nicht ſo wol als einem Erretter/ als einem Schutz-Gotte fuͤr ſolche Erloͤſung danck- te; iedoch zugleich als ein Ungluͤck entſchuldig- te: daß ſie demſelben die ihr anſtaͤndige Demuͤ- thigung nicht erzeigte/ welchen ſie wegen ſo ſel- tzamer Erſcheinung und ſo unvergleichlicher Tapfferkeit nicht wol fuͤr einen Menſchen hal- ten doͤrffte. Dieſer hingegen verkleinerte ſeinen geringen Dienſt/ den er in Verjagung der Raͤu- ber ihnen geleiſtet hatte; als welche Menſchen ſchon wegen der in ihrem Hertzen ſteckenden Boßheit auch die derſelben anklebende Zagheit im Buſen truͤgen. Uber diß haͤtte er ihnen viel- leicht mehr/ als ſie ihm zu dancken; indem er durch ihre Huͤlfe von dieſem gefaͤhrlichen Raub- Ufer; an welchem ſein von Oſtia abgelauffenes Schiff fuͤr ſteben Tagen geſtrandet haͤtte; an einen ſichern Ort zu entrinnen hoffte. Thußnel- de hoͤrte dieſer annehmlichen und ihr in etwas kentbaren Stimme ſorgfaͤltig zu; dieſe letztere Erzehlung aber loͤſete ihr vollends das Raͤtzel auff; und weil ſie dieſen ihren Schutz-Gott fuͤr den wahrhafften Hertzog Herrmann erkennte/ fiel ſie ohne einige fernere Antwort ihm mit beyden Armen ihn kuͤſſende/ und ſein Geſichte mit tauſend Freuden-Thraͤnen netzende um den Hals. Dieſer/ weil er ihm der Fuͤrſtin Thußnelde Reiſe von Rom nicht traͤumen laſ- ſen; noch ſie aus der angenommenen maͤnnli- chen Sprache erkennen konte/ ſtand wie ein unbewegliches Marmel-Bild; und wuſte ihm dieſe zwiſchen Helden ungewoͤhnliche Liebko- ſungen nicht auszulegen; biß Thußnelda end- lich ſelbſt anfieng: haſtu denn/ mein liebſter Herrmann/ zwiſchen dieſen rauen Felſen ihre unempfindliche Unart angenommen: daß du von deiner geliebten Thußnelde die wenigſte Regung nicht empfindeſt. Herrmann/ der ſich gleichſam von einem Meere der groͤſten Gluͤck- ſeligkeit uͤberſchwemmt befand; wuſte ihr mit nichts anders/ als eben ſo viel Kuͤſſen ſeine Freu- de auszudruͤcken; und haͤtten ſie hieruͤber bey nahe Segeſthens gantz vergeſſen; wenn nicht ein Chaßuariſcher Edelmann kommen/ und Thußnelden/ wo ſie ihn hintragen ſolten/ be- fragt haͤtte. Thußnelde naͤherte ſich hierauff mit dem Fuͤrſten zum Segeſthes; und weil ihm bereit die beſchwerlichen Waffen abgenommen waren; wolte ſie ihn wieder laſſen zu Schiffe bringen. Hertzog Herrmann aber rieth das Schiff nur mit genungſamer Mannſchafft zu beſetzen/ er wolte fuͤr den Segeſthes/ ſie/ und ihr Frauenzimmer ſchon einen bequemern Aufent- halt anweiſen. Hiermit befahl er etliche Kuͤhn- Hoͤltzer anzuzuͤnden; fuͤhrte ſie alſo durch den Steinfelß vermittelſt einer engen Hoͤle in ein aus eitel Klippen gehauenes und wol abgetheil- tes Gebaͤue; welches nur von dem innern und zwar kugel-rundten Hofe in die Zimmer Licht bekam/ auswendig aber um und um von denen abſchuͤßigſten Bergen/ welche auch die Gem- ſen nicht beklettern kunten/ umgeben/ und de- rogeſtalt fuͤr allen ſterblichen Augen/ welche nicht durch dieſen Eingang gar hinein kamen/ verborgen ward. Jn dieſer gleichſam andern Welt wurden ſie von einem alten Greiß em- pfangen/ der nicht nur dem mit ſteten Ohn- machten befallenen Segeſthes/ ſondern auch al- len andern dahin gebrachten Verwundeten mit ſehr heilſamen Wund-Kraͤutern zu Huͤlffe kam. Welche Sorge denn die halbe Nacht zuruͤcke legte. Auff den Morgen befand ſich Segeſthes nach einem ſanfftem Schlaffe um ein gut Theil beſſer; ward auch theils erfreuet/ theils verwir- ret; als er ſeine zwar auch an unterſchiedenen Orten des Leibes verbundene/ aber bey guten Kraͤfften ſich befindende Tochter nebſt dem Fuͤrſten Herrmann und dem alten Greiße zu ihm ins Zimmer kommen ſahe. Nach dem dieſe nun ihre Ehrerbietung abgelegt/ berichtete Thußnel-

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1258[1260]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1324>, abgerufen am 23.11.2024.