Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
fel/ da der Mensch nach des Pythagoras Leh-re sich täglich bey hellem Tage im Spiegel be- sehen/ das ist/ sich selbst muste kennen und über- wünden/ also diß/ was uns die Natur an die Hand giebt/ nütze machen lernen. Denn ob wol die Welt nur eine Wohnung ist/ alle Men- schen darinnen einerley Haußhaltung führen/ und die Göttliche Versehung als eine um sie bekümmerte Mutter für einen ieden Menschen absonderlich so sehr/ als wenn er das gantze Ge- schlechte wäre/ bekümmert ist/ sie auch alle in gleicher Vollkommenheit wünschet/ und ihre Seele von dem irrdischen/ wie die Sonne die Dünste aus den Sümpffen hervor zeucht; so sind doch hingegen die Neigungen der Men- schen böse/ und wie alle schwere Dinge den Mittel-Punct der Erde zu erreichen so begie- rig: daß sich derselben zu enteussern schier un- möglich ist. Hieraus erwächset eine Wieder- setzligkeit gegen die himmlischen Leitungen. Und wenn die Tugend sich durch die engen Pforten in die Seele einlagern wil; findet sie wie in einem feindlichen Lande ihr alles auff- sätzig zu seyn. Wenn nun die unaustreiblichen Reitzungen der Natur mit einer lasterhafften Gewonheit sich verschwistert/ zeucht der Mensch eben so den Menschen/ als die Schlan- ge ihre Haut/ iedoch mit dieser Ungleichheit aus: daß diese ihre eusserliche Gestalt verän- dert/ die innerliche behält/ Menschen aber die eusserliche behalten/ die innerliche verlieren; und seinem Wesen nach zum unvernünfftigen Thiere werden. Ja diese scheinen dißfalls schier für den Menschen einen Vorzug zu ha- ben. Denn sie thun nichts übels/ als worzu sie die Eigenschafften ihres Geschlechtes bewe- gen/ und hat fast iede Art Thiere nur einerley ihnen eingepflantzte Tücke. Den Menschen aber verleiten nicht nur seine eben so viehische Regungen; sondern der Mißbrauch seiner Vernunfft; es geschehe gleich aus Jrrthum o- der aus Vorsatz/ halset ihm so gar unmenschli- [Spaltenumbruch] che Wercke auf. Welche Anmerckung denn den Vellejus zu Rom auf diesen ärgerlichen Wahn brachte: daß er wieder den Cotta be- haupten wolte: wenn die Götter einen Men- schen verfolgen wolten/ könten sie ihm nichts schädlichers/ als die Vernunfft zueignen. Sin- temahl die Fehler des Verstandes Lehrmeister des Willens/ und seiner Vergehungen wären; und keiner weniger sündigte/ als der am we- nigsten verstünde. Ob ich nun zwar diese Ke- tzereyverdamme; bleibt doch wahr: daß der na- türliche Trieb in Thieren keinen so innerlichen Krieg/ als wie die Vernunfft im Menschen mit seinen Regungen zu führen hat. Denn diese mühen sich eiffriger unsere Seele von dem Si- tze der Vernunfft zu stürtzen; als iemahls die Riesen Jupitern aus dem Himmel zu jagen gemeinet. Sie verbländen die Vernunfft: daß sie so wenig den Glantz der Tugend/ als blind- gebohrne die Schönheit der Sonne/ und den Mittag für Mitternacht erkiesen. Worüber die Göttliche Barmhertzigkeit/ welche selbst gerne die Annehmung ihrer ausgegossenen Wolthaten zu Danck annähme/ wehmüthig seuffzen und bejammern muß: daß wenig die Milch ihres Heiles aus ihren gleichsam stru- tzenden Mutter-Brüsten saugen; sondern die meisten sich lieber aus den Pfützen der Wollust/ und der Galle ihrer bösen Gemüths-Regun- gen sättigen wollen. Diese nun zu bemeistern habe ich in dieser Gemeinschafft die herrlichsten/ wiewol glimpflichsten Mittel gefunden. Denn ob wol die Wahrheit/ Weißheit und Tugend nur einerley Wesen und Eigenschafft hat/ so ist sie doch nicht gezwungen stets einerley Gesichte zu zeigen/ und in einem härenen Kleide aufzu- ziehen. Viel Gemüther sind in dieser Lehre wie etliche Krancken/ welche den Artzt nicht se- hen können; und alle Kräuter für bittere Rha- barber halten/ ehe sie sie noch gekostet haben. Zugeschweigen: daß die Tugend an ihr selbst wie der anfangs aus dem Meere kommende und
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
fel/ da der Menſch nach des Pythagoras Leh-re ſich taͤglich bey hellem Tage im Spiegel be- ſehen/ das iſt/ ſich ſelbſt muſte kennen und uͤber- wuͤnden/ alſo diß/ was uns die Natur an die Hand giebt/ nuͤtze machen lernen. Denn ob wol die Welt nur eine Wohnung iſt/ alle Men- ſchen darinnen einerley Haußhaltung fuͤhren/ und die Goͤttliche Verſehung als eine um ſie bekuͤmmerte Mutter fuͤr einen ieden Menſchen abſonderlich ſo ſehr/ als wenn er das gantze Ge- ſchlechte waͤre/ bekuͤmmert iſt/ ſie auch alle in gleicher Vollkommenheit wuͤnſchet/ und ihre Seele von dem irrdiſchen/ wie die Sonne die Duͤnſte aus den Suͤmpffen hervor zeucht; ſo ſind doch hingegen die Neigungen der Men- ſchen boͤſe/ und wie alle ſchwere Dinge den Mittel-Punct der Erde zu erreichen ſo begie- rig: daß ſich derſelben zu enteuſſern ſchier un- moͤglich iſt. Hieraus erwaͤchſet eine Wieder- ſetzligkeit gegen die himmliſchen Leitungen. Und wenn die Tugend ſich durch die engen Pforten in die Seele einlagern wil; findet ſie wie in einem feindlichen Lande ihr alles auff- ſaͤtzig zu ſeyn. Wenn nun die unaustreiblichen Reitzungen der Natur mit einer laſterhafften Gewonheit ſich verſchwiſtert/ zeucht der Menſch eben ſo den Menſchen/ als die Schlan- ge ihre Haut/ iedoch mit dieſer Ungleichheit aus: daß dieſe ihre euſſerliche Geſtalt veraͤn- dert/ die innerliche behaͤlt/ Menſchen aber die euſſerliche behalten/ die innerliche verlieren; und ſeinem Weſen nach zum unvernuͤnfftigen Thiere werden. Ja dieſe ſcheinen dißfalls ſchier fuͤr den Menſchen einen Vorzug zu ha- ben. Denn ſie thun nichts uͤbels/ als worzu ſie die Eigenſchafften ihres Geſchlechtes bewe- gen/ und hat faſt iede Art Thiere nur einerley ihnen eingepflantzte Tuͤcke. Den Menſchen aber verleiten nicht nur ſeine eben ſo viehiſche Regungen; ſondern der Mißbrauch ſeiner Vernunfft; es geſchehe gleich aus Jrrthum o- der aus Vorſatz/ halſet ihm ſo gar unmenſchli- [Spaltenumbruch] che Wercke auf. Welche Anmerckung denn den Vellejus zu Rom auf dieſen aͤrgerlichen Wahn brachte: daß er wieder den Cotta be- haupten wolte: wenn die Goͤtter einen Men- ſchen verfolgen wolten/ koͤnten ſie ihm nichts ſchaͤdlichers/ als die Vernunfft zueignen. Sin- temahl die Fehler des Verſtandes Lehrmeiſter des Willens/ und ſeiner Vergehungen waͤren; und keiner weniger ſuͤndigte/ als der am we- nigſten verſtuͤnde. Ob ich nun zwar dieſe Ke- tzereyverdamme; bleibt doch wahr: daß der na- tuͤrliche Trieb in Thieren keinen ſo innerlichen Krieg/ als wie die Vernunfft im Menſchen mit ſeinen Regungen zu fuͤhren hat. Denn dieſe muͤhen ſich eiffriger unſere Seele von dem Si- tze der Vernunfft zu ſtuͤrtzen; als iemahls die Rieſen Jupitern aus dem Himmel zu jagen gemeinet. Sie verblaͤnden die Vernunfft: daß ſie ſo wenig den Glantz der Tugend/ als blind- gebohrne die Schoͤnheit der Sonne/ und den Mittag fuͤr Mitternacht erkieſen. Woruͤber die Goͤttliche Barmhertzigkeit/ welche ſelbſt gerne die Annehmung ihrer ausgegoſſenen Wolthaten zu Danck annaͤhme/ wehmuͤthig ſeuffzen und bejammern muß: daß wenig die Milch ihres Heiles aus ihren gleichſam ſtru- tzenden Mutter-Bruͤſten ſaugen; ſondern die meiſten ſich lieber aus den Pfuͤtzen der Wolluſt/ und der Galle ihrer boͤſen Gemuͤths-Regun- gen ſaͤttigen wollen. Dieſe nun zu bemeiſtern habe ich in dieſer Gemeinſchafft die herꝛlichſten/ wiewol glimpflichſten Mittel gefunden. Denn ob wol die Wahrheit/ Weißheit und Tugend nur einerley Weſen und Eigenſchafft hat/ ſo iſt ſie doch nicht gezwungen ſtets einerley Geſichte zu zeigen/ und in einem haͤrenen Kleide aufzu- ziehen. Viel Gemuͤther ſind in dieſer Lehre wie etliche Krancken/ welche den Artzt nicht ſe- hen koͤnnen; und alle Kraͤuter fuͤr bittere Rha- barber halten/ ehe ſie ſie noch gekoſtet haben. Zugeſchweigen: daß die Tugend an ihr ſelbſt wie der anfangs aus dem Meere kommende und
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Arminius und Thußnelda.
fel/ da der Menſch nach des Pythagoras Leh-
re ſich taͤglich bey hellem Tage im Spiegel be-
ſehen/ das iſt/ ſich ſelbſt muſte kennen und uͤber-
wuͤnden/ alſo diß/ was uns die Natur an die
Hand giebt/ nuͤtze machen lernen. Denn ob
wol die Welt nur eine Wohnung iſt/ alle Men-
ſchen darinnen einerley Haußhaltung fuͤhren/
und die Goͤttliche Verſehung als eine um ſie
bekuͤmmerte Mutter fuͤr einen ieden Menſchen
abſonderlich ſo ſehr/ als wenn er das gantze Ge-
ſchlechte waͤre/ bekuͤmmert iſt/ ſie auch alle in
gleicher Vollkommenheit wuͤnſchet/ und ihre
Seele von dem irrdiſchen/ wie die Sonne die
Duͤnſte aus den Suͤmpffen hervor zeucht; ſo
ſind doch hingegen die Neigungen der Men-
ſchen boͤſe/ und wie alle ſchwere Dinge den
Mittel-Punct der Erde zu erreichen ſo begie-
rig: daß ſich derſelben zu enteuſſern ſchier un-
moͤglich iſt. Hieraus erwaͤchſet eine Wieder-
ſetzligkeit gegen die himmliſchen Leitungen.
Und wenn die Tugend ſich durch die engen
Pforten in die Seele einlagern wil; findet ſie
wie in einem feindlichen Lande ihr alles auff-
ſaͤtzig zu ſeyn. Wenn nun die unaustreiblichen
Reitzungen der Natur mit einer laſterhafften
Gewonheit ſich verſchwiſtert/ zeucht der
Menſch eben ſo den Menſchen/ als die Schlan-
ge ihre Haut/ iedoch mit dieſer Ungleichheit
aus: daß dieſe ihre euſſerliche Geſtalt veraͤn-
dert/ die innerliche behaͤlt/ Menſchen aber die
euſſerliche behalten/ die innerliche verlieren;
und ſeinem Weſen nach zum unvernuͤnfftigen
Thiere werden. Ja dieſe ſcheinen dißfalls
ſchier fuͤr den Menſchen einen Vorzug zu ha-
ben. Denn ſie thun nichts uͤbels/ als worzu
ſie die Eigenſchafften ihres Geſchlechtes bewe-
gen/ und hat faſt iede Art Thiere nur einerley
ihnen eingepflantzte Tuͤcke. Den Menſchen
aber verleiten nicht nur ſeine eben ſo viehiſche
Regungen; ſondern der Mißbrauch ſeiner
Vernunfft; es geſchehe gleich aus Jrrthum o-
der aus Vorſatz/ halſet ihm ſo gar unmenſchli-
che Wercke auf. Welche Anmerckung denn
den Vellejus zu Rom auf dieſen aͤrgerlichen
Wahn brachte: daß er wieder den Cotta be-
haupten wolte: wenn die Goͤtter einen Men-
ſchen verfolgen wolten/ koͤnten ſie ihm nichts
ſchaͤdlichers/ als die Vernunfft zueignen. Sin-
temahl die Fehler des Verſtandes Lehrmeiſter
des Willens/ und ſeiner Vergehungen waͤren;
und keiner weniger ſuͤndigte/ als der am we-
nigſten verſtuͤnde. Ob ich nun zwar dieſe Ke-
tzereyverdamme; bleibt doch wahr: daß der na-
tuͤrliche Trieb in Thieren keinen ſo innerlichen
Krieg/ als wie die Vernunfft im Menſchen mit
ſeinen Regungen zu fuͤhren hat. Denn dieſe
muͤhen ſich eiffriger unſere Seele von dem Si-
tze der Vernunfft zu ſtuͤrtzen; als iemahls die
Rieſen Jupitern aus dem Himmel zu jagen
gemeinet. Sie verblaͤnden die Vernunfft: daß
ſie ſo wenig den Glantz der Tugend/ als blind-
gebohrne die Schoͤnheit der Sonne/ und den
Mittag fuͤr Mitternacht erkieſen. Woruͤber
die Goͤttliche Barmhertzigkeit/ welche ſelbſt
gerne die Annehmung ihrer ausgegoſſenen
Wolthaten zu Danck annaͤhme/ wehmuͤthig
ſeuffzen und bejammern muß: daß wenig die
Milch ihres Heiles aus ihren gleichſam ſtru-
tzenden Mutter-Bruͤſten ſaugen; ſondern die
meiſten ſich lieber aus den Pfuͤtzen der Wolluſt/
und der Galle ihrer boͤſen Gemuͤths-Regun-
gen ſaͤttigen wollen. Dieſe nun zu bemeiſtern
habe ich in dieſer Gemeinſchafft die herꝛlichſten/
wiewol glimpflichſten Mittel gefunden. Denn
ob wol die Wahrheit/ Weißheit und Tugend
nur einerley Weſen und Eigenſchafft hat/ ſo iſt
ſie doch nicht gezwungen ſtets einerley Geſichte
zu zeigen/ und in einem haͤrenen Kleide aufzu-
ziehen. Viel Gemuͤther ſind in dieſer Lehre
wie etliche Krancken/ welche den Artzt nicht ſe-
hen koͤnnen; und alle Kraͤuter fuͤr bittere Rha-
barber halten/ ehe ſie ſie noch gekoſtet haben.
Zugeſchweigen: daß die Tugend an ihr ſelbſt
wie der anfangs aus dem Meere kommende
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1343[1345]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1411>, abgerufen am 17.06.2024. |