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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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[Spaltenumbruch] entfernte Völcker/ welche nur seine Thaten er-
zehlen hören/ und darunter auch unsere Deut-
schen und Gallier/ haben ihn durch Gesandten
zu Babylon dafür verehret; Und der weltbe-
rühmte Hannibal hat ihm die erste Stelle unter
allen Helden eingeräumt. Zeno fiel ein: ja/
und nach dem Pyrrhus hat Hannibal ihm den
dritten Platz zugeeignet. Alleine als ihn Sci-
pio gefragt: wo er sich hinstellen wolte/ wenn er
den Scipio überwunden/ hätte Hannibal sich
über alle zu setzen vermeinet. Da nun aber
Julius dem Scipio vorginge/ könte nach Han-
nibals Urthel Alexander nicht dem Julius vor-
gezogen werden. Marcomir nahm wahr/ daß
dieser Einwurf eine Gelegenheit zu einem
neuen Zwiste geben würde; daher er/ um selb-
ten zu unterbrechen/ anfing: Es würde Ma-
lovend seines Marcomirs drüber vergessen/
welcher Alexandern und dem Julius den Lor-
berkrantz nicht wenig zweiffelhaft machen wür-
de/ wenn die Zeit und die ihm als einem Deut-
schen dißfalls gebührende Bescheidenheit ihn
von einer umständlichen Vergleichung nicht
zurücke hielte; die aber aus Malovends Erzeh-
lung unschwer zu machen wäre. Es hätte ied-
wedes Volck und eine iegliche Zeit Beyspiele
der Tugend/ welche Frembden und der Nach-
welt ein Licht zu geben würdig wären. Er
wüste aber nicht/ ob die Mißgunst oder das Ver-
hängnüß Schuld daran wäre/ daß man neue
und einheimische Sachen mit unachtsamen Au-
gen übersehe/ und nur alte und frembde hoch
hielte. Er stellte dem Zeno und Rhemetalces
alleine zu bedencken anheim: daß Marcomir
viertzig Schlachten gewonnen/ und siebentzig
Kriege geendigt habe; daß er sechs mahl in Bri-
tannien/ sieben mahl in Sarmatien/ zwey mahl
in Colchis/ vier mahl in Gallien/ zehn mahl in
Pannonien gewesen/ und eilf mahl übers
Meer gefahren sey. Wo aber für etwas son-
derlichs zu schätzen wäre; wenn ein Fürst durch
Gemüths-Mäßigung seiner Herrschafft ehe/
[Spaltenumbruch] als das Verhängnüß/ ein Ziel steckte/ so würde
Marcomirs Beschluß/ welcher alle Wercke
krönete/ dem Alexander und Julius auser zweif-
fel den Vortheil abrennen. Denn jener wäre
von seinen Freunden durch Gifft/ dieser durch
das kalte Eisen aufgerieben worden/ als beyder
unersättliches Gemüthe noch nach grössern
Dingen dürstete/ und ihr Kopff mit vielen Chi-
mären schwanger ging. Der Feldherr Mar-
comir aber hätte für die höchste Glückseligkeit ge-
priesen/ wenn einer als ein Fürst gebohren wür-
de/ als ein Held lebte/ und als ein Weiser stürbe.
Dannenhero hätte er nach Besiegung aller sei-
ner Feinde sich selbst überwunden; und nach
dem er so gelebt/ daß es niemanden/ als die Fein-
de des Vaterlands/ gereuen dorfte; auch so lan-
ge/ daß er zu Verewigung seines Nahmens den
minsten Beysatz der Zeit bedorfte/ bey noch hur-
tigen Leibes- und Gemüths-Kräfften Würde
und Herrschafft nieder gelegt. Seine Siegs-
Gepränge verwechselte er mit einer andächtigen
Einsamkeit/ seine Reichs-Sorgen mit einer
Betrachtung irrdischer Vergängligkeit. Die
Nachsinnung über der Unsterbligkeit der See-
len/ war zugleich seine Erlustigung und Ehr-
sucht.

Diese letztere Entschlüssung/ fing Zeno an/
halte ich für eine grössere Hertzhafftigkeit/ als
seine vorgehende. Denn ob schon kein Ort o-
der Stand zu finden/ darinnen ein tugendhaff-
ter Geist nicht eben so wohl als Diogenes in sei-
nem Fasse seine Vergnügung antreffen/ und
ihm eine annehmliche Einsamkeit bauen könte;
so erfoderte doch die Kunst wohl zu sterben nichts
minder Zeit und Sorgfalt/ als das Leben. Die-
se aber so lange an sich kommen lassen/ biß die
Ohnmacht des Alters und das Gespenste des
Todes uns überfalle/ wäre die schädlichste
Schlaff-Sucht. Sintemahl beydes den Men-
schen in einem Augenblicke/ wie die Nächte die
Nachbarn beyder Angelsterne mit einer kohl-
schwartzen Finsternüß überfiele; Niemand a-

ber

Anderes Buch
[Spaltenumbruch] entfernte Voͤlcker/ welche nur ſeine Thaten er-
zehlen hoͤren/ und darunter auch unſere Deut-
ſchen und Gallier/ haben ihn durch Geſandten
zu Babylon dafuͤr verehret; Und der weltbe-
ruͤhmte Hannibal hat ihm die erſte Stelle unter
allen Helden eingeraͤumt. Zeno fiel ein: ja/
und nach dem Pyrrhus hat Hannibal ihm den
dritten Platz zugeeignet. Alleine als ihn Sci-
pio gefragt: wo er ſich hinſtellen wolte/ wenn er
den Scipio uͤberwunden/ haͤtte Hannibal ſich
uͤber alle zu ſetzen vermeinet. Da nun aber
Julius dem Scipio vorginge/ koͤnte nach Han-
nibals Urthel Alexander nicht dem Julius vor-
gezogen werden. Marcomir nahm wahr/ daß
dieſer Einwurf eine Gelegenheit zu einem
neuen Zwiſte geben wuͤrde; daher er/ um ſelb-
ten zu unterbrechen/ anfing: Es wuͤrde Ma-
lovend ſeines Marcomirs druͤber vergeſſen/
welcher Alexandern und dem Julius den Lor-
berkrantz nicht wenig zweiffelhaft machen wuͤr-
de/ wenn die Zeit und die ihm als einem Deut-
ſchen dißfalls gebuͤhrende Beſcheidenheit ihn
von einer umſtaͤndlichen Vergleichung nicht
zuruͤcke hielte; die aber aus Malovends Erzeh-
lung unſchwer zu machen waͤre. Es haͤtte ied-
wedes Volck und eine iegliche Zeit Beyſpiele
der Tugend/ welche Frembden und der Nach-
welt ein Licht zu geben wuͤrdig waͤren. Er
wuͤſte aber nicht/ ob die Mißgunſt oder das Ver-
haͤngnuͤß Schuld daran waͤre/ daß man neue
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gen uͤberſehe/ und nur alte und frembde hoch
hielte. Er ſtellte dem Zeno und Rhemetalces
alleine zu bedencken anheim: daß Marcomir
viertzig Schlachten gewonnen/ und ſiebentzig
Kriege geendigt habe; daß er ſechs mahl in Bri-
tannien/ ſieben mahl in Sarmatien/ zwey mahl
in Colchis/ vier mahl in Gallien/ zehn mahl in
Pannonien geweſen/ und eilf mahl uͤbers
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derlichs zu ſchaͤtzen waͤre; wenn ein Fuͤrſt durch
Gemuͤths-Maͤßigung ſeiner Herrſchafft ehe/
[Spaltenumbruch] als das Verhaͤngnuͤß/ ein Ziel ſteckte/ ſo wuͤrde
Marcomirs Beſchluß/ welcher alle Wercke
kroͤnete/ dem Alexander und Julius auſer zweif-
fel den Vortheil abrennen. Denn jener waͤre
von ſeinen Freunden durch Gifft/ dieſer durch
das kalte Eiſen aufgerieben worden/ als beyder
unerſaͤttliches Gemuͤthe noch nach groͤſſern
Dingen duͤrſtete/ und ihr Kopff mit vielen Chi-
maͤren ſchwanger ging. Der Feldherr Mar-
comir aber haͤtte fuͤr die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit ge-
prieſen/ wenn einer als ein Fuͤrſt gebohren wuͤr-
de/ als ein Held lebte/ und als ein Weiſer ſtuͤrbe.
Dannenhero haͤtte er nach Beſiegung aller ſei-
ner Feinde ſich ſelbſt uͤberwunden; und nach
dem er ſo gelebt/ daß es niemanden/ als die Fein-
de des Vaterlands/ gereuen dorfte; auch ſo lan-
ge/ daß er zu Verewigung ſeines Nahmens den
minſten Beyſatz der Zeit bedorfte/ bey noch hur-
tigen Leibes- und Gemuͤths-Kraͤfften Wuͤrde
und Herrſchafft nieder gelegt. Seine Siegs-
Gepraͤnge verwechſelte er mit einer andaͤchtigen
Einſamkeit/ ſeine Reichs-Sorgen mit einer
Betrachtung irrdiſcher Vergaͤngligkeit. Die
Nachſinnung uͤber der Unſterbligkeit der See-
len/ war zugleich ſeine Erluſtigung und Ehr-
ſucht.

Dieſe letztere Entſchluͤſſung/ fing Zeno an/
halte ich fuͤr eine groͤſſere Hertzhafftigkeit/ als
ſeine vorgehende. Denn ob ſchon kein Ort o-
der Stand zu finden/ darinnen ein tugendhaff-
ter Geiſt nicht eben ſo wohl als Diogenes in ſei-
nem Faſſe ſeine Vergnuͤgung antreffen/ und
ihm eine annehmliche Einſamkeit bauen koͤnte;
ſo erfoderte doch die Kunſt wohl zu ſterben nichts
minder Zeit und Sorgfalt/ als das Leben. Die-
ſe aber ſo lange an ſich kommen laſſen/ biß die
Ohnmacht des Alters und das Geſpenſte des
Todes uns uͤberfalle/ waͤre die ſchaͤdlichſte
Schlaff-Sucht. Sintemahl beydes den Men-
ſchen in einem Augenblicke/ wie die Naͤchte die
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ſchwartzen Finſternuͤß uͤberfiele; Niemand a-

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[138/0188] Anderes Buch entfernte Voͤlcker/ welche nur ſeine Thaten er- zehlen hoͤren/ und darunter auch unſere Deut- ſchen und Gallier/ haben ihn durch Geſandten zu Babylon dafuͤr verehret; Und der weltbe- ruͤhmte Hannibal hat ihm die erſte Stelle unter allen Helden eingeraͤumt. Zeno fiel ein: ja/ und nach dem Pyrrhus hat Hannibal ihm den dritten Platz zugeeignet. Alleine als ihn Sci- pio gefragt: wo er ſich hinſtellen wolte/ wenn er den Scipio uͤberwunden/ haͤtte Hannibal ſich uͤber alle zu ſetzen vermeinet. Da nun aber Julius dem Scipio vorginge/ koͤnte nach Han- nibals Urthel Alexander nicht dem Julius vor- gezogen werden. Marcomir nahm wahr/ daß dieſer Einwurf eine Gelegenheit zu einem neuen Zwiſte geben wuͤrde; daher er/ um ſelb- ten zu unterbrechen/ anfing: Es wuͤrde Ma- lovend ſeines Marcomirs druͤber vergeſſen/ welcher Alexandern und dem Julius den Lor- berkrantz nicht wenig zweiffelhaft machen wuͤr- de/ wenn die Zeit und die ihm als einem Deut- ſchen dißfalls gebuͤhrende Beſcheidenheit ihn von einer umſtaͤndlichen Vergleichung nicht zuruͤcke hielte; die aber aus Malovends Erzeh- lung unſchwer zu machen waͤre. Es haͤtte ied- wedes Volck und eine iegliche Zeit Beyſpiele der Tugend/ welche Frembden und der Nach- welt ein Licht zu geben wuͤrdig waͤren. Er wuͤſte aber nicht/ ob die Mißgunſt oder das Ver- haͤngnuͤß Schuld daran waͤre/ daß man neue und einheimiſche Sachen mit unachtſamen Au- gen uͤberſehe/ und nur alte und frembde hoch hielte. Er ſtellte dem Zeno und Rhemetalces alleine zu bedencken anheim: daß Marcomir viertzig Schlachten gewonnen/ und ſiebentzig Kriege geendigt habe; daß er ſechs mahl in Bri- tannien/ ſieben mahl in Sarmatien/ zwey mahl in Colchis/ vier mahl in Gallien/ zehn mahl in Pannonien geweſen/ und eilf mahl uͤbers Meer gefahren ſey. Wo aber fuͤr etwas ſon- derlichs zu ſchaͤtzen waͤre; wenn ein Fuͤrſt durch Gemuͤths-Maͤßigung ſeiner Herrſchafft ehe/ als das Verhaͤngnuͤß/ ein Ziel ſteckte/ ſo wuͤrde Marcomirs Beſchluß/ welcher alle Wercke kroͤnete/ dem Alexander und Julius auſer zweif- fel den Vortheil abrennen. Denn jener waͤre von ſeinen Freunden durch Gifft/ dieſer durch das kalte Eiſen aufgerieben worden/ als beyder unerſaͤttliches Gemuͤthe noch nach groͤſſern Dingen duͤrſtete/ und ihr Kopff mit vielen Chi- maͤren ſchwanger ging. Der Feldherr Mar- comir aber haͤtte fuͤr die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit ge- prieſen/ wenn einer als ein Fuͤrſt gebohren wuͤr- de/ als ein Held lebte/ und als ein Weiſer ſtuͤrbe. Dannenhero haͤtte er nach Beſiegung aller ſei- ner Feinde ſich ſelbſt uͤberwunden; und nach dem er ſo gelebt/ daß es niemanden/ als die Fein- de des Vaterlands/ gereuen dorfte; auch ſo lan- ge/ daß er zu Verewigung ſeines Nahmens den minſten Beyſatz der Zeit bedorfte/ bey noch hur- tigen Leibes- und Gemuͤths-Kraͤfften Wuͤrde und Herrſchafft nieder gelegt. Seine Siegs- Gepraͤnge verwechſelte er mit einer andaͤchtigen Einſamkeit/ ſeine Reichs-Sorgen mit einer Betrachtung irrdiſcher Vergaͤngligkeit. Die Nachſinnung uͤber der Unſterbligkeit der See- len/ war zugleich ſeine Erluſtigung und Ehr- ſucht. Dieſe letztere Entſchluͤſſung/ fing Zeno an/ halte ich fuͤr eine groͤſſere Hertzhafftigkeit/ als ſeine vorgehende. Denn ob ſchon kein Ort o- der Stand zu finden/ darinnen ein tugendhaff- ter Geiſt nicht eben ſo wohl als Diogenes in ſei- nem Faſſe ſeine Vergnuͤgung antreffen/ und ihm eine annehmliche Einſamkeit bauen koͤnte; ſo erfoderte doch die Kunſt wohl zu ſterben nichts minder Zeit und Sorgfalt/ als das Leben. Die- ſe aber ſo lange an ſich kommen laſſen/ biß die Ohnmacht des Alters und das Geſpenſte des Todes uns uͤberfalle/ waͤre die ſchaͤdlichſte Schlaff-Sucht. Sintemahl beydes den Men- ſchen in einem Augenblicke/ wie die Naͤchte die Nachbarn beyder Angelſterne mit einer kohl- ſchwartzen Finſternuͤß uͤberfiele; Niemand a- ber

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/188>, abgerufen am 24.11.2024.